Christen mit und ohne Uniform
Kritischer Pastor entfacht Debatte über das Verhältnis zwischen Kirche und Militär
(iz) Stellen Sie sich vor, Sie sind Bräutigam. Sie sind aufgeregt und glücklich, die Trauung beginnt in wenigen Minuten. Da haut Ihnen der Pastor mit Blick auf Ihre Kleidung um die Ohren: „Hätte ich gewußt, daß Sie in Uniform heiraten, ich hätte Sie nicht getraut.“ Der schönste Tag – vorbei, versaut.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Pastor. Routinemäßig haben Sie sich im Gespräch mit dem Brautpaar auf die Trauung vorbereitet. Wenige Minuten vor Beginn der Zeremonie trifft der Bräutigam ein – in Militäruniform. Der Schock fährt Ihnen in die Glieder. Als ehemaliger Berufssoldat haben Sie aus gutem Grund nachträglich den Wehrdienst verweigert. Die Uniformierung des Bräutigams war nicht abgesprochen. Spontan entfährt es Ihnen:- „Hätte ich gewußt, daß Sie in Uniform heiraten, ich hätte Sie nicht getraut.“
So geschehen vor wenigen Wochen in der Neuender Kirche. Pastor Anders, der sich traute, seine kritische Äußerung vorzubringen, traute das Brautpaar anschließend doch noch. Ein Nachspiel hatte die Sache trotzdem. Dem Gemeindekirchenrat Neuende wurde der Vorfall erst durch einen Leserbrief in der WZ („Freude des Paares getrübt“ v. 15.7.95) bekannt. Es kam Unruhe in der Gemeinde auf, vor allem unter Soldatenfamilien, die androhten, die Kirchengemeinde zu wechseln.
In einer Sondersitzung des Gemeindekirchenrates bestätigte Pastor Anders, daß ihm seine spontane Äußerung anschließend sofort leid getan hätte. Es sei sein Fehler gewesen, nicht vorab mit dem Paar über die Kleidung gesprochen zu haben – bisher hatte es nie Probleme damit gegeben.
Konflikt als Chance
Der Gemeindekirchenrat war sich einig, daß ein Leserbrief in der WZ oder andere schriftliche öffentliche Äußerungen nicht die angemessene Form der Auseinandersetzung sein, und ergriff deshalb den Konflikt als Chance, zu einem Diskussionsabend „Christen mit und ohne Uniform“ einzuladen. Unter den etwa 40 TeilnehmerInnen waren mehrere Marineangehörige und Militärseelsorger vertreten.
Pastor Anders selbst war in Urlaub. Man wollte das Gespräch nicht bis zu seiner Rückkehr aufschieben. Der betroffene Bräutigam fehlte ebenfalls. Anders‘ Kollege, Pastor Andrae, gab als Gesprächsleiter zunächst allen Anwesenden Gelegenheit, ihre spontanen Gedanken und Gefühle zu dem Vorfall zu äußern (s. Kasten). Dabei gab es keinen eindeutigen Trend, für den Pastor oder den Bräutigam, für ein Miteinander oder einen Widerspruch von Kirche und Militär zu plädieren.
Deutlich wurde, daß es nicht vorrangig um Recht oder Unrecht geht, sondern um Verletzungen, die man durch Meinungsäußerung einander zufügen kann, und um Eskalation, die dadurch entsteht, daß man einander nicht richtig zuhört, sondern sich hinter herrschenden Klischees versteckt.
Die anwesenden PastorInnen konnten einiges zur Versachlichung beitragen. So erklärte Pastor Andrae, daß jede/r PastorIn alle Menschen gleich behandeln muß und niemanden aus der Kirche weisen darf; andernfalls droht ein Disziplinarverfahren. Andererseits hat jede/r PastorIn das Recht und die Pflicht, alles nach der Heiligen Schrift und nach ihrem/seinem Gewissen zu entscheiden und zu äußern, wann er/ sie etwas nicht vertreten kann. In diesem Sinne hätte Anders z.B. eine/n KollegIn bitten können, die Trauung vorzunehmen.
Mißverständnissen vorbeugen
Pastorin Hoffmann konnte den Konflikt ihres Kollegen Anders nachvollziehen und verdeutlichen. In der protestantischen Kirche gibt es keine Lehrmeinung, wie sie z. B. der Papst für bestimmte gesellschaftliche Bereiche vorschreibt. Und es hat nie eine abschließende Diskussion zum Thema „Kirche und Militär“ gegeben. Wenn nun, so Hoffmann, ein „sterbliches“, also weltliches Symbol – die Uniform – in den Mittelpunkt einer christlichen Symbolhandlung rückt, nämlich der Trauung, deren Mittelpunkt das Brautpaar nun mal bildet – dann kann das Mißverständnis entstehen, daß es eine eindeutige Entscheidung zugunsten des Militärs gäbe – seitens der Pastorin, der Gemeinde oder der Kirche schlechthin.
Jeder Berufsstand hat seine Vor- und Nachteile, muß sich Vorwürfe gefallen lassen, bei denen die Trennung zwischen dem Menschen und seiner Tätigkeit oft schwerfällt. Auch der Beruf der PastorInnen, so Frau Hoffmann, hat seine „heiklen“ Seiten. So wird sie z. B. häufig persönlich für die Verschwendung von Kirchensteuern verantwortlich gemacht. LehrerInnen und andere Beamte müssen sich öffentlich als „Faulsäcke“ beschimpfen lassen. NaturschützerInnen, im christlichen Sinne Bewahrer der Schöpfung, werden von Vertretern aus Politik und Wirtschaft „verteufelt“.
„Heilige“Marine?
Warum dann gerade Marineangehörige so empfindlich auf Kritik reagieren und von denselben Politikern in Schutz genommen werden, dazu äußerten sich mehrere „Zugereiste“, also Nicht-WilhelmshavenerInnen. Seit sie hier wohnen, hätten sie gelernt, dass grundsätzlich die Marine in Wilhelmshaven einem Tabu unterliegt und man als Außenstehender besser den Mund hält.
Der „Kirchenstreit“ ums Militär konnte an diesem Abend nicht abschließend bewältigt werden. (Er weitet sich sogar aus – vor wenigen Tagen weigerte sich eine Pastorin aus Minsen, einen uniformierten Bräutigam zu trauen.) Die Initiatoren waren sich jedoch einig, daß dieser Abend erst ein Anfang war, um sich innerhalb der Kirche und auch nach außen wirklich offen und konstruktiv mit Konflikten wie diesem auseinanderzusetzen.
„Kleines Gottverhalten“
Gefühle und Gedanken von DiskussionsteilnehmerInnen zum Vorfall in der Neuender Kirche
„Eine Uniform in der Kirche ist ebenso unhöflich, wie in der Moschee die Schuhe anzubehalten.“ (ein junges Mädchen)
„Ist so ein Pastor in Wilhelmshaven gut aufgehoben?“ (Marineoffizier)
„Lieber Gott, laß es keinen Pastor aus unserer Gemeinde gewesen sein, der an diesem Vorfall beteiligt war.“
„Soldat ist kein Beruf, sondern eine Weltanschauung.“ (Soldatenfrau)
„Symbole staatlicher Macht gehören nicht in die Kirche.“ (Pastor)
„Für Oma zieh ich schon mal die Ausgehuniform an – das ist der Donald-Duck-Anzug.“ (ein junger Marinesoldat)
„Ich habe in Uniform geheiratet, weil sie mich zu einem anderen Manschen macht: hinter mir steht das Ganze.“ (Marine-Offizier)
„Ich habe in Uniform geheiratet, weil meine Frau das so wollte.“ (dito)
„Das kleine Gott-Verhalten des Pfarrers ist nicht zu akzeptieren.“
„Ein Pfarrer muss nicht allezeit bereit sein zum Segnen.“
„Ich habe als Süddeutsche in Wilhelmshaven gelernt, zur Marine zu schweigen.“
„Die Offenheit des Pastors wäre für mich (fast) ein Grund, wieder in die Kirche einzutreten.“
PS: Unser Bräutigam hatte seine uniformierte Trauung damit begründet, dass seine Frau „weiß, worauf sie sich einlässt“.
Kommentar:
WESPENNEST
Wo ist eigentlich das Problem? Ein Versäumnis beim Vorgespräch zur Trauung. Ein verbaler Ausrutscher, zur. Falschen Zeit – nicht unbedingt am falschen Ort. Nicht gewollt nicht rückgängig zu machen, aber zu entschuldigen. Die Entschuldigung ist erfolgt und die Trauung auch.
Warum dann der öffentliche Aufschrei bis hin zur Diskreditierung des Pastors in einem Leserbrief- durch Unterstellungen, die mit der Sache nichts mehr zu tun haben, und gegen die ihn niemand öffentlich beschützt? Seine Versetzung wird gefordert und der kollektive Wechsel von Marinefamilien zur ‚Konkurrenzgemeinde’ angedroht.
Die Kirchengemeinde als Dienstleistungsbetrieb, der um seine Kunden resp. deren Kirchensteuer kämpfen muß. Die Angestellten des Betriebs (Pastoren) haben Loyalität zu wahren. Pastor Anders wird seitens der meisten „Kunden“ (Gemeindemitglieder). eine hohe seelsorgerische Qualität bescheinigt – und dann dieser Fauxpas. War es einer?
Pastor Anders. war nicht Ursache, sondern Auslöser einer Diskussion, die in der Marinestadt Wilhelmshaven lange fällig war. Einer hat nur – versehentlich – in ein Wespennest gestochen, in dem es schon lange brodelte. Alle Beteiligten müßten ihm eigentlich dankbar sein.
Der Ansatz der Gemeinde Neuende, zu einer offenen – wenn auch (noch) nicht öffentlichen – Diskussion einzuladen; war der einzig richtige, weil konstruktive Weg. Auch Pastor Anders wird vor dem Konflikt nicht flüchten, wenn er aus dem Urlaub zurückkehrt. Feige Flucht wäre es jedoch, wenn. die Marinefamilien ihre Drohung wahrmachen, die Gemeinde zu verlassen. Der schnöde Mammon (als Druckmittel) ersetzt die Pflicht: sich mit dem Mitmenschen auseinanderzusetzen. Löste deshalb Jesus damals den Bazar im Tempel auf?
Trotz mancher Polemik .hat der Diskussionsabend sich als fruchtbar erwiesen. Vielleicht ist das ein Schritt dazu, dass sich die Kirche (auch anderen) aktuellen gesellschaftlichen Themen öffnet und es als Ihre Aufgabe begreift, auf diese und andere Art zu deren Lösung beizutragen.
Imke Zwoch