Weltnaturerbe statt Feuerwerk
Aug 202020
 

Stadt und WTF verzichten zukünftig auf Höhenfeuerwerke bei Großveranstaltungen

Stopp Feuerwerke. Foto: BUND

Feuerwerke passen nicht zu einer nachhaltigen Zukunft. Foto: BUND

Als Stadt am Weltnaturerbe Wattenmeer trägt Wilhelmshaven eine besondere Verantwortung für die Umwelt. Aus diesem Grund verzichtet die Wilhelmshaven Touristik & Freizeit GmbH ab 2021 bei Großveranstaltungen wie dem „Wochenende an der Jade“ und dem „Wilhelmshaven Sailing-Cup“ auf Höhenfeuerwerke. Die Sparkasse Wilhelmshaven, die die beiden Feuerwerke bislang sponsert, hat bereits signalisiert, weiterhin als Partner für alternative Formate bereit zu stehen.

Seit langem werden Feuerwerke nicht nur in der Jadestadt heiß diskutiert. Aus Sicht von Natur- und Tierschützer:innen wurde es in den letzten Jahren immer mehr übertrieben. Neben den genannten zwei Großveranstaltungen wurden auch Firmenjubiläen, Hochzeiten und anderes zum Anlass genommen, größere Feuerwerke zu zünden, sodass bei Einbruch der Dunkelheit, auch mitten in der Woche, mangels Vorwarnung viele hochschreckten, sich wunderten oder ärgerten.

„Feuerwerke stehen immer stärker in der öffentlichen Kritik. Kinder, Senioren oder traumatisierte Menschen fürchten sich vor ihnen, Tiere werden aufgeschreckt, die Natur durch Müll verdreckt. Auch wenn die professionellen Feuerwerke, die wir am Wochenende an der Jade und zum Wilhelmshaven Sailing-Cup machen, kaum Müll verursachen, sind sie schlichtweg nicht mehr zeitgemäß. Deswegen haben wir beschlossen, keine Feuerwerke mehr in die Luft zu schicken“, führt Oberbürgermeister Carsten Feist aus. Mit dem Bau des Trilateralen Weltnaturerbe Wattenmeer Partnerzentrums (TWWP) am Banter See wird Wilhelmshaven gewissermaßen zur „Hauptstadt“ des Weltnaturerbes. Da ist dieser beispielhafte, zukunftsweisende Schritt nur konsequent.

„Für die Besucher ist ein Höhenfeuerwerk immer ein besonderer, emotionaler Moment“, erklärt WTF-Chef Michael Diers. Das schlägt sich in kritischen Kommentaren zur Bekanntgabe des Feuerwerks-Verzichts nieder. Doch: „Diese Momente werden wir aber sicherlich auch mit anderen Formaten kreieren können – zum Beispiel mit einer Lichtershow oder eine musikalischen Inszenierung. Jetzt haben wir ein Jahr Zeit, uns über geeignete Alternativen Gedanken zu machen und zu überlegen, wie wir die Besucher ab dem Jahr 2021 begeistern können.“ Mit dem besinnlichen Lichterfest am Südstrand, das ebenfalls Emotionen weckt, gibt es schon seit einigen Jahren ein solches Angebot, das nicht nur naturverträglich ist, sondern auch aus touristischer Sicht ein wertvolles Alleinstellungsmerkmal. Feuerwerke gibt es auch in vielen anderen Städten – mit alternativen Angeboten hat man nicht nur ökologisch die nase vorn.

Die Stadt hofft, mit ihrer Initiative auch Nachahmer zu finden, so Carsten Feist: „Wenn sich immer mehr andere Veranstalter, aber vor allem auch Privatpersonen entschließen, auf Feuerwerke zu verzichten, setzen wir in Wilhelmshaven gemeinsam ein deutliches Zeichen für einen zeitgemäßen und verantwortungsvollen Umgang mit unserer Umwelt.“

Was ist an Feuerwerken so schlecht?

Vielen Menschen ist nicht bewusst, welchen Schaden Feuerwerke in der Natur anrichten. Zu Silvester wird viel über Feinstaub diskutiert, der oft tagelang in der Luft hängt. Am Neujahrstag liegt auf Straßen und Grünflächen, an und in Gewässern viel Feuerwerksmüll herum, um den sich häufig Ehrenamtliche kümmern, die selbst aus gutem Grund nicht „böllern“. Besitzer:innen von Hunden und Katzen, Pferden und anderen Tieren verbringen den Jahreswechsel oft damit, ihren Vierbeinern die Angst zu nehmen. Auch Kleinkinder leiden instinktiv unter dem plötzlich einsetzenden bzw. anhaltenden Krach, den sie nicht einordnen können. Bei alten Menschen, die den letzten Weltkrieg noch miterlebt haben, wie auch bei Geflüchteten aus Kriegsgebieten kommen traumatische Erinnerungen an Bombenangriffe hoch.

Neben diesen unmittelbar sicht- und spürbaren Effekten von Feuerwerken gibt es jedoch auch drastische Auswirkungen auf Wildtiere, die den meisten Menschen verborgen bleiben. Hierzu gibt es zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen insbesondere im Bereich der Vogelwelt. Bei panischen Fluchtreaktionen verlassen Brutvögel Nester oder Nachwuchs und kehren oft erst nach vielen Stunden oder Tagen zurück – bis dahin sind die Küken verhungert oder fallen (wie auch Eier) Kälte oder Fressfeinden zum Opfer. Im Herbst und Winter sind Millionen von Zugvögeln betroffen, die in ihren Rastgebieten (wie dem Wattenmeer) gestört werden. Sie haben tausende Kilometer Zugweg hinter oder noch vor sich und müssen unentwegt fressen, um die dafür nötigen Fettvorräte zu speichern. Jede Flucht verbraucht kostbare Energie und je nachdem, wie intensiv oder andauernd die Störung ist, kann es lange dauern, bis sie an die Nahrungsplätze zurückkehren und weiter fressen. Das kann für die ohnehin erschöpften Tiere das Todesurteil bedeuten, sie überleben dann den weiteren Langstreckenflug nicht oder können am Ziel nicht erfolgreich brüten.

„Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“?

Der große Brachvogel steht nicht auf Knalleffekte. Foto: I. Zwoch

Das alles spielt sich „draußen“ ab, jenseits der Wahrnehmung von Menschen, die gerade fröhlich Silvester oder das Wochenende an der Jade oder eine andere Großveranstaltung feiern. Für viele ist schwer vorstellbar, dass ein Brachvogel ein 20minütiges Feuerwerk nicht einfach so wegstecken kann. Die meisten Wattenmeer-Zugvögel stammen aus menschenleeren Brut-Gebieten im hohen Norden und sind ungleich störungsempfindlicher als eine Stockente, die ganzjährig auf dem Banter See lebt und an allerhand Trubel gewöhnt ist. Naturschutz-Fachleute informieren bei Feuerwerksdiskussionen regelmäßig über diese Zusammenhänge, werden aber oft nicht ernst genommen, weil Feuerwerks-Fans nicht glauben, was sie selbst aus ihrer subjektiven Wahrnehmung heraus nicht erkennen. Wer mal an der einen oder anderen Veranstaltung im Rahmen der Zugvogeltage im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer teilgenommen hat, bekommt einen anderen Blick auf das „Leben am Limit“, das die Biografie aller Zugvögel kennzeichnet.

In der Diskussion paart sich oft viel Meinung mit wenig Wissen. „Ein Feuerwerk ist doch auch nicht anders als ein natürliches Gewitter“, ist ein häufiger Beitrag. Falsch: Ein Gewitter können Tiere anhand der Luftdruck-Änderungen lange vorher spüren und sich darauf einstellen – ein Feuerwerk kommt sozusagen aus heiterem Himmel. Dazu gesellt sich Polemik und Whataboutism: „In Wilhelmshaven wird alles verboten!“ Oder: „Auf Feuerwerk bei Veranstaltungen verzichten, aber Silvester Privat Feuerwerk weiter erlauben.“ Von einem (kommunalen) Feuerwerks-Verbot sind wir weit entfernt, das ist in erster Linie bundesgesetzlich geregelt. Die WTF hat sich als Veranstalter (in Abstimmung mit der Stadtverwaltung) entschieden, eine bestimmte Veranstaltung nicht mehr durchzuführen – das steht ihr frei, genau wie dem Atlantic-Hotel, das seit Januar Nationalpark-Partner ist und zukünftig auch auf Feuerwerke bei Festveranstaltungen verzichten wird.

Wieder andere behaupten, sie bzw. Touristen würden ohne Feuerwerk dem Wochenende an der Jade komplett fernbleiben und woanders hinfahren. Das klingt kaum plausibel, denn das WadJ lebt nicht vom Feuerwerk allein, sondern von Livemusik, essen, trinken und feiern in maritimer Atmosphäre und wenn es eine andere Form der Lichtshow gibt, wird diese viele Neugierige anziehen.

Insgesamt hat die Entscheidung von WTF und Stadt in der online-Diskussion aber bislang eine überwältigend positive Resonanz. Neben sehr vielen Befürwortern und einigen, die ohne Feuerwerk den Untergang des Abendlandes befürchten, gibt es auch eine differenzierte Betrachtungsweise, stellvertretend dafür folgendes Zitat:

Ich liebe Feuerwerk, aber mein Verstand sagt mir, dass es richtig ist, darauf zu verzichten!

 

 

 

 

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