Wildschweine im Voslapper Groden
Okt 292019
 

BUND und NABU widersprechen der Darstellung der Jagdpächter

Wildschwein. Foto: BUND

Wildschweine sind Allesfresser und deshalb für bedrohte Vogelarten und ihre Lebensräume eine große Gefahr. Foto: BUND

(red) Im WZ-Artikel vom 22.10. „Wildschweine: Stadt braucht Bedenkzeit“ erhielten die Jagdpächter Gelegenheit, die Situation im Naturschutzgebiet Voslapper Groden aus ihrer Sicht darzustellen. Naturschutzverbände kritisieren diese Darstellung als einseitig und in Teilen falsch. In einer gemeinsamen Presseerklärung erläutern die Wilhelmshavener Kreisgruppen des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) und des NABU (Naturschutzbund Deutschland) die naturschutzfachlichen Zusammenhänge.

Hintergrund des WZ-Artikels ist eine gerichtliche Auseinandersetzung zwischen Stadt und Jagdpächtern. Die Stadt hatte verfügt, dass die Pächter die im EU-Vogelschutzgebiet und Naturschutzgebiet „Voslapper Groden Süd“ lebenden Wildschweine zum Schutz der dort vorkommenden bedrohten Vogelarten zeitnah erlegen sollen. Die Pächter hatten dagegen geklagt.

„Der genannte Beitrag liest sich wie ein Loblied auf die Jagdpächter“, so der NABU-Vorsitzende Klaus Börgmann. „Der Ernsthaftigkeit des Wildschweinproblems in einem EU-Vogelschutzgebiet wird damit nicht Rechnung getragen.“ Nach Auffassung der Verbände würden Tatsachen verdreht und die Arbeit der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) diskreditiert.

So führen die Jäger an, sie würden „tatkräftigen Naturschutz für die Erhaltung des Biotops, beispielsweise von Magerrasenflächen oder zur Wasserstandsregulation“ leisten. Der Stadt hingegen werfen die Jäger vor, sie unternehme nichts für die Naturschutzpflege, „so dass wertvolle Magerrasenflächen verbuschen“. Nach Ansicht der Jagdpächter ist der Bestand der geschützten Vögel im Voslapper Groden nicht durch die Wildschweine, sondern die „behördlich genehmigte Ernte der Altschilfbestände, Wasserentnahme für Baumaßnahmen und Beweidung durch Schafe“ gefährdet. De facto sieht die Schutzgebietsverordnung die Mahd von Röhrichten, den Rückschnitt von Gehölzen sowie Maßnahmen zur Sicherung des Wasserstandes ausdrücklich zur Biotop-Pflege vor. All diese Maßnahmen wurden von der Stadt gemäß einem Pflege- und Entwicklungsplan in Angriff genommen.

„Bei der Schilfmahd geht es um den gesetzlich geforderten Erhalt eines stabilen Schilfbestandes“, erklärt die BUND-Vorsitzende Imke Zwoch. „Überaltertes Schilf bricht mit der Zeit zusammen und verbuscht. Durch Rückschnitt wird Gehölzaufwuchs zurückgedrängt und der Schilfbestand verjüngt, so erhält man ein stabiles Röhricht.“ Beweidet wird nur ein schmaler Streifen südlich der Raffineriestraße. Es handelt sich um die Trift zwischen Deichschäferei und Seedeich – die Beweidung des Deiches ist für den Küstenschutz lebensnotwendig.

Unerwähnt bleibt in dem Artikel die Zerstörung von Einrichtungen der UNB zur Erhaltung eines hohen Wasserstandes im Gebiet. Eigene Maßnahmen zur Wasserstandsregulierung für den Naturschutz durch die Jägerschaft sind den Naturschutzverbänden nicht bekannt, gleichwohl aber die Zerstörung eines gesetzlich geschützten Sandmagerrasens zur Anlage eines Wildackers.

Damhirsch. Foto: BUND

Zeitgleich mit den Wildschweinen tauchte vor 3 Jahren auch Damwild im Voslapper Groden auf. Foto: BUND

Wildschweine wurden erstmals 2016 (nicht 2015) im Voslapper Groden festgestellt. Nach Darstellung der Jäger „wanderten diese ungehindert und unvermeidbar in das Gelände ein“. Die angebliche Zuwanderung von Schwarzwild in das Natura 2000-Gebiet steht allerdings im Widerspruch zu der Polizei vorliegendem Bildmaterial: Aus nächster Nähe wurden mit einer Handykamera deutlich zutrauliche Wildschweine aufgezeichnet, die zudem ungewöhnliche, an Zuchtschweine erinnernde Musterungen aufweisen. Eine weitere Fragestellung ergibt sich aus dem zeitgleich zu den Wildschweinen neu aufgetretenen Damwild im Voslapper Groden, das – anders als Rothirsche – keine wandernde Art ist, sondern als raumtreu gilt.

Die Behauptung der Jagdpächter, dass die Stadt WHV sie auffordere, ohne Rücksicht auf Bestimmungen des Jagdrechts zu handeln, entbehrt jeder Grundlage. Bundesweit haben die Bachen eine Schonzeit von ungefähr viereinhalb Monaten. Diese ist in der Regel im Jahr von Februar bis Juni festgelegt. Insofern bleibt ein ausreichendes Zeitfenster für den jagdgerechten Abschuss. „Die Jagd auf das Schwarzwild mag durch die Bedingungen im Grodengelände erschwert sein, jedoch nicht unmöglich“, so Klaus Börgmann. „Wenn Hobbyjäger wie die im Groden aktiven Jagdpächter dieser Aufgabe nicht gewachsen sind, gehört sie in professionelle Hände.“

Absurd sei, im Zusammenhang mit einer vollständigen Entnahme der Wildschweine aus dem Europäischen NATURA-2000 Gebiet von einer „Ausrottung“ der Wildschweine zu sprechen. Etwa 600.000 Wildschweine werden jährlich in Deutschland geschossen, in der letzten Saison waren es mehr als 820.000 erlegte Tiere. Nach verschiedenen Angaben von Wildtier- und Jagdexperten umfasst die Wildschweinpopulation in Deutschland ca. 1,2 bis 1,5 Mio Tiere und bleibt aufgrund der hohen Vermehrungsfreude stabil. Wildschweine sind also weder selten, noch vom Aussterben bedroht. Dem gegenüber steht der Schutz der im Voslapper Groden vorkommenden wertgebenden, weil EU-weit gefährdeten Vogelarten (Rohrdommel, Tüpfelsumpfhuhn, Blaukehlchen, Rohrschwirl, Schilfrohrsänger und Wasserralle). Diese sehr viel höher einzuschätzenden naturschutzfachlichen Güter im Voslapper Groden gelte es dauerhaft vor der Vernichtung durch das Schwarzwild zu bewahren.

Nicht zuletzt wurden zum Erhalt der wertgebenden Arten bereits große Anstrengungen unternommen und Investitionen getätigt, bis hin zum Lärmschutzwall zwischen Groden und Bahngleis zum JadeWeserPort. „Wenn die Wildschweine im Groden weiter freie Bahn haben, Jungvögel und Eier fressen und Vegetationsbestände umpflügen, wird der Bestand der gefährdeten Vögel dort bald erloschen sein und die genannten Vorsorgemaßnahmen wurden völlig sinnlos getätigt“ gibt Imke Zwoch zu bedenken.

Stadt trägt große Verantwortung

Hinsichtlich des Artenschutzes stehe die Stadt in großer Verantwortung, so die Sprecher der Naturschutzverbände. „Der Begriff ‚Biologische Vielfalt‘ darf nicht als theoretische Forderung auf dem Papier existieren, sondern sollte – auch im Sinne künftiger Generationen – fest in unseren Köpfen und unserem Handeln verankert sein. Im Wissen um das zunehmende Artensterben haben Rote Listen gefährdeter Tierarten eine maßgebliche Bedeutung. Naturschutz gelingt im stark zersiedelten, durch Einflussnahme des Menschen beeinträchtigten Landschaftsraum Mitteleuropas nicht als Selbstläufer.“ Hier bedürfe es eines gezielten, keiner Lobby unterliegenden Managements. „Die Zeit drängt. Mitten in der Zeit des Überflusses erleben wir den Mangel an Vielfalt. Wir und unsere Nachkommen werden bedauern, was wir heute zerstören. Das sollte unser Handeln und unsere Entscheidungen sinngebend beeinflussen.“

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