Biosphärenreservat als Chance
Feb 262020
 

BUND: „Es geht darum, lokale Chancen und Stärken für nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweisen zu identifizieren und zu nutzen“

(red) Derzeit wird in vielen Kommunen entlang der niedersächsischen Nordseeküste und auf den Inseln über einen freiwilligen Beitritt zur Entwicklungszone des Biosphärenreservates „Niedersächsisches Wattenmeer“ diskutiert. Am 26. Februar 2020 (18 Uhr) findet dazu im Pumpwerk eine Informations- und Gesprächsveranstaltung mit Workshops (Kommunale Arbeitsgemeinschaft) statt. Bürgerinnen und Bürger sowie Vereine und Interessensverbände sind eingeladen, ihre Ideen für die inhaltliche Ausgestaltung einer nachhaltigen Entwicklung einzubringen. Die BUND Kreisgruppe Wilhelmshaven sieht das als große Chance für eine nachhaltige Stadtentwicklung – und bedauert, dass große Wirtschaftsverbände sich schon im Vorfeld ablehnend äußern.

„Wir werden uns gerne und konstruktiv am Gestaltungsprozess für die Entwicklungszone beteiligen“, erklärt Rainer Büscher, Vorstandsmitglied der BUND Kreisgruppe Wilhelmshaven. „Wir freuen uns darauf, gemeinsam mit anderen aktiven und kreativen Menschen aus Wilhelmshaven Konzepte zu entwickeln, die auf lokaler Ebene den globalen Gedanken einer ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltigen Entwicklung voranbringen.“

Mit Bedauern habe der BUND zur Kenntnis genommen, dass die großen Wirtschaftsverbände AWV und WHV bereits im Vorfeld der Informations- und Diskussionsveranstaltung den Biosphären-Prozess gedanklich blockieren. „Im offenen Brief der Verbände an Oberbürgermeister und Rat der Stadt werden Befürchtungen geäußert, die auf falschen Annahmen beruhen“, so Büscher. „Es gab im letzten Jahr bereits einen öffentlichen Info-Abend im Wattenmeer Besucherzentrum, es gibt ausführliche Infos auf der Nationalpark-Webseite, und für vertiefende Infos und Fragen ist doch genau diese Veranstaltung heute Abend da. Warum werden dann vorab schon negative Einschätzungen gestreut?“

Wie das Weltnaturerbe, so ist auch das Biosphärenreservat ein von der UNESCO verliehener Titel. „Die UNESCO macht keine Gesetze. Der Schutz des Wattenmeeres ist durch das Nationalparkgesetz abschließend geregelt.“ Die großen Schifffahrtswege, so auch das Jadefahrwasser, einschließlich der Hafenanlagen sind kein Bestandteil des Nationalparks. „Es geht hier um die Einrichtung einer Biosphären-Entwicklungszone binnendeichs“, so Büscher. „Es geht darum, lokale Chancen und Stärken für nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweisen zu identifizieren und zu nutzen“. Damit fange Wilhelmshaven nicht bei null an. „Wir sind schon Klima-Kommune, vergangene Woche beschloss der Rat die Fortschreibung des Integrierten Energie-und Klimaschutzkonzeptes, das bereits etwa 20 konkrete Maßnahmen beinhaltet. Es gibt eine lebendige Wochenmarktkultur, die den Einkauf regionaler und unverpackter Lebensmittel ermöglicht und den Erhalt von Betrieben aus Landwirtschaft und Lebensmittel-Handwerk stärkt. Es gibt Start-ups junger Unternehmer/innen, die Gebrauchsgegenstände recyceln. Es gibt viele Aktivitäten für #whvohneplastik. Wir haben aktive junge Menschen wie die Junior Ranger und die Gruppe Grüncool, um nur einige Beispiele zu nennen.“

Nicht zielführend sei die Äußerung der Wirtschaftsverbände bezüglich möglicher Standort-Nachteile. „Die Zeit des Kirchturmdenkens muss vorbei sein. Wir dürfen unsere Stadt nicht als isolierten Standort begreifen, der um jeden Preis mit den Nachbarn konkurriert, sondern als Teil einer lebendigen Region“. Als Oberzentrum habe Wilhelmshaven auch Initial- und Vorbildfunktion für zukunftsfähige Wirtschafts- und Arbeitsweisen.

Gerade die Tourismusbranche gehe hier mit gutem Beispiel voran. Unlängst trat das ATLANTIC-Hotel – als erstes Hotel in Wilhelmshaven – der Initiative von mehr als 250 Partnern des Nationalparks und Biosphärenreservates Niedersächsisches Wattenmeer bei. „Wenn die Geschäftsführung eines Hauses einer renommierten Hotelkette sich freiwillig entscheidet, ihren Betrieb nach Kriterien der Nachhaltigkeit unterm Dach des Biosphärenreservates zu führen, dann setzt sie Zeichen“, macht Büscher deutlich.  „Durch die Verwendung regionaler Produkte stärkt das Hotel andere hiesige Betriebe.“

Falsch sei die Annahme, dass die Entwicklung Wilhelmshavens zur Drehscheibe für erneuerbare Energien durch den Beitritt zum Biosphärenreservat behindert würde. „Das Gegenteil ist der Fall. Gerade die Umstellung auf klimafreundliche Energieträger wie Wasserstoff ist im Sinne einer ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung“. Die aktuelle Diskussion böte die Chance, das Ruder noch herumzureißen, bevor Ressourcen in den weiteren Ausbau fossiler Energieträger wie LNG gesteckt werden oder über ein Seekabel kostbarer Windstrom im Austausch gegen Atomstrom nach Großbritannien exportiert werde.

Landwirtschaft muss bleiben

Dem BUND sei sehr daran gelegen, so Büscher, die landwirtschaftlichen Familienbetriebe und die damit verbundenen Arbeitsplätze zu erhalten und zu stärken, auch im Sinne des Naturschutzes. Gerade die klassische Grünlandwirtschaft in den Marschen sei ein wesentlicher Faktor für den Erhalt bedrohter Wiesenvögel. Statt „wachsen oder weichen“ müsse die Devise sein, das Betriebseinkommen auf ein solides Fundament zu stellen, „unabhängig vom Preisdiktat der Lebensmittelkonzerne. Wir möchten, dass unsere Bauern bleiben.“ Die Entwicklungszone des Biosphärenreservates beinhalte keine zusätzlichen Restriktionen für Landwirte, sondern die Entscheidungsfreiheit, Teil regionaler Wirtschaftskreisläufe zu werden und für nachhaltig produzierte Lebensmittel faire Preise zu erzielen. Deshalb haben sich in anderen Gemeinden auch landwirtschaftliche Betriebe dem bestehenden Partner-Netzwerk des Biosphärenreservates angeschlossen.

Weitere Infos zur Entwicklungszone gibt es auf der Website der Nationalparkverwaltung.

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