Hohn und Spott kübelweise?
Bleibt nach dem Kampf um die Entsorgung der Ölplattform ‚Brent Spar’ die Ökonomie letztlich doch wieder Sieger über die Ökologie?
(jm) „Erst mal ‚Hier‘ schreien“ mögen sich die jadestädtischen Hafenstrategen gesagt haben, als sich nach erfolgreichem Boykott der Shell-Tankstellen die Möglichkeit eröffnete, die Öl-Plattform Brent-Spar an Land – statt im Meer – zu entsorgen.
Doch wie das Ding nach Wilhelmshaven gebracht werden soll – ob in einem Stück an Deck eines riesigen Kranleichters oder scheibchenweise auf zu verschleppenden Hochseepontons – das weiß man bis heute noch nicht so recht. Denkbar wären darüber hinaus noch andere Transportvarianten, aber gesucht wird zweifellos die billigste Lösung. Ob die dann auch die sicherste hinsichtlich des Meeresschutzes bzw. der Transport- und Verkehrssicherheit ist, steht nicht von vornherein zu erwarten.
Und bei der Landaufbereitung für den Hochofen wird Shell so frei sein, unter zahlreichen potentiellen Bewerbern in Europa und Übersee – es kommen die Nutzer stillgelegter bzw. unausgelasteter Werften und Hafenanlagen in Frage – den kostengünstigsten herauszupicken.
Im dadurch entfesselten Konkurrenzkampf geraten die Aspekte von Sicherheit und Gesundheit bzw. vom Schutz vor Luft-, Boden- und Gewässerverunreinigungen nur allzu leicht unter die Räder.
Dabei sind in der Brent Spar ja bekanntermaßen giftige Abfälle gelagert: In ihren Tanks und Rohrleitungen lagern über 100 t Giftschlamm aus einem Cocktail von Öl, chlorhaltigen Substanzen wie PVC und PCB, Schwermetallen und radioaktiver Abfall aus der langjährigen Ausbeutung des Brent Ölfeldes.
Dieses Giftzeug ohne Gesundheitsgefährdung der Arbeiter und ohne Umweltsauereien aus in Wilhelmshaven oder anderswo angelandeten Konstruktionsteilen herauszuholen bzw. die Tanks und Rohrleitungen rückstandsfrei zu reinigen, wird nicht einfach sein. Kaum zu verhindern sein werden dabei Luftemissionen durch ausgasende Öle sowie die radioaktive Strahlung.
Allein schon dadurch, daß Wilhelmshaven sich als Entsorgungsstandort für die Brent Spar empfohlen hat, entsteht ein Informationsbedarf für die hiesige Öffentlichkeit. Bisher ist in dieser Hinsicht nichts zu vernehmen außer nervösen Ausfällen gegen Bedenkenträger.
Wie diese Gifte möglichst umweltneutral entsorgt werden können, steht hoffentlich in dem von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten drin, mit dessen Fertigstellung für Ende Juli (WZ, 11.07.95) gerechnet wurde. Seine Veröffentlichung könnte von der interessierten Öffentlichkeit als vertrauensbildende Maßnahme gewertet werden.
Schließlich soll die Brent Spar -. wenn es nach den Wünschen hiesiger Macher geht – nur den Auftakt für die Verschrottung von mehr als 200 Öl- und Gasplattformen in Wilhelmshaven bilden.
Neben Schrott und Giftschlämmen ist bei deren Verschrottung außerdem noch mit der erforderlichen Entsorgung von Küchen-, Sanitär- und Wohneinrichtungen sowie dem Isoliermaterial der Wohnbereiche zu rechnen. Sie würden als hausmüllähnlicher Abfall kostbaren Wilhelmshavener Deponieraum verbrauchen, soweit sie nicht zusätzlichen Giftmüll, z. B. das krebserregende Asbest, enthalten.
Es gibt also einen Haufen offener Entsorgungsfragen, die einer Antwort harren. Die Entscheidungsträger wären gut beraten, wenn sie die Öffentlichkeit beizeiten in die Planungsvorgänge mit einbeziehen. Es sollte zudem der Eindruck vermieden werden, daß statt der umweltverträglichsten Entsorgungslösung die zweitbilligste gesucht wird, nachdem die billigste – nämlich die Versenkung der Brent Spar – von der Öffentlichkeit vereitelt worden ist. Letzteres könnte dem einig Volk von Shell-Boykotteuren (einschließlich des Bundeskanzlers ) kübelweise Hohn und Spott auf internationalem Parkett eintragen …
Zu stellen hat man sich nicht zuletzt dem erhöhten Risiko einer Schiffskatastrophe an den Verkehrsknotenpunkten der Deutschen Bucht, insbesondere in der tankerreichen Zufahrt zu den Jade- und Weserfahrwassern: Für den Fall, das Seepontons für den Transport der ca. 200 Bohrinseln nach Wilhelmshaven eingesetzt werden sollten, müssten ungefähr 3,2 Millionen t Schrott und Abfall von mindestens 400 Schleppzügen (nur auf die Tragfähigkeit von 8.000 t pro Seeponton bezogen) durch dieses Verkehrsknäuel hindurchlaviert werden. Solche Schleppzüge sind jedoch fast manövrierunfähig. Für seitliches Ausweichen brauchen sie bei 500 Meter langer Schleppleine mehr Raum als ein Supertanker, und stoppen bzw. rückwärts
fahren können sie überhaupt nicht.
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