Sende-Zeichen setzen
Unabhängiger Bürgerfunk oder „Tönende WZ“?
(red) Es war einmal… vor einem Jahr, oder noch etwas früher, da hatten einige Bürgerinnen und Bürger eine tolle Idee. Sie wollten mithelfen, das in letzter Zeit arg angekratzte Image unserer Kaiserstadt wieder etwas aufzupolieren. Sie setzten sich zusammen, ließen ihre grauen Zellen heftig arbeiten und entwickelten nach langen, langen Diskussionen aus der Idee einen Plan. Man wollte in unserer Heimatstadt einen eigenen, unabhängigen Rundfunksender in die Gänge bringen. Die Chance dazu war gegeben, denn das Land Niedersachsen hatte ein entsprechendes Gesetz aus der Taufe gehoben. So gründete man, wie das so üblich ist, erst einmal einen Verein, und die Mitglieder gaben dem Projekt einen Namen. „Radio Jade“ sollte der Wilhelmshaven- und Umlandsender heißen.
Gleich nach der Gründung des Vereins bei der ersten öffentlichen Veranstaltung geschah dann schier Unglaubliches.
Schon bei der Präsentation meldeten sich Hunderte Mitbürgerinnen, die alle gern mitmachen wollten. Am nächsten Morgen standen das Telefon und das Faxgerät im provisorischen Büro nicht mehr still. Als erster rief (noch im Morgengrauen) Herr Konken, oberster Chef des Referats für Presse und Stadtmarketing, an und bot dem Verein seine überreichen Erfahrungen in Sachen Werbung an. Er ging sogar so weit, daß er zugunsten dieser einmaligen Zeichensetzungsmaßnahme seinen Arbeitsvertrag mit der Stadt kündigen wollte, um beim Radioverein die gesamte PR-Arbeit zu übernehmen. Nur mit Mühe konnte ihn der Vereinsvertreter davon abbringen.
Aus ihren Urlaubsorten – die hiesige Presse berichtete von diesem Vorhaben fast täglich und seitenlang in aller Ausführlichkeit – riefen Oberstadtdirektor Schreiber und Oberbürgermeister Menzel an. Schreiber hatte – wie immer – gleich Superideen parat. Der Radio Jade-Sendeturm sollte ins Sail 99-Logo der Stadt integriert werden. Standort des Turms sollte die ehemalige Parzelle 12 des Kleingartengeländes (nunmehr geplantes Expoareal) sein. Und für den Sendetrakt hatte er so ein gläsernes Unterwasserstudio, exakt 99 m lang (wg. Sail 99-Werbung) nordöstlich vom Columbus im Sinn. OB Menzel dagegen bot an, erstens die Schirmherrschaft für sämtliche künftigen Sendestunden zu übernehmen und zweitens die kostenlose Vermarktung seines Konterfeis auf Werbeplakaten und in der örtlichen Rundfunkzeitung „Jetzt funkt’s in Wilhelmshaven“ zuzulassen.
Der Stadtsäckelbewahrer Frank wollte trotz gähnender Leere in selbigem sofort die technischen Voraussetzungen für Übertragungen der so hochinteressanten Ratssitzungen (mit geheimer Umschaltvorrichtung für nichtöffentliche Beratungen) schaffen und durch ein Gutachten prüfen lassen, ob diese Sonderausgabe mit dem § 88 NGO vereinbar sei. Der Landtagsabgeordnete der SPD faxte von Vichy aus das Büro an und bat um günstige Sendezeiten. Willi Adam wollte seine Sendung gar selbst moderieren. „Willis Hafenmelodie“ sollte sie heißen. Unsere beiden Bundestagsabgeordneten versprachen finanzielle Zuwendungen; sie wollten nur erst die kleine Diätenerhöhung abwarten.
Prominente Rechtsanwälte boten dem Verein kostenlosen Rechtsrat an. Gemeinsam mit anderen wichtigen Personen (Häusermakler, Immobilienhändler, Verleger…) gingen sie sogar noch weiter: Um nach dem Motto „Getrenntes Marschieren und dann gemeinsames Schlagen“ dem Verein Radio Jade zur Verwirklichung der Idee zu verhelfen, gründeten sie (nur pro forma) einen eigenen Verein.
Auch prominente Sponsoren, die der Stadt schon einmal mit vielen Talern ein Standbild kauften, wollten „voll mitziehen und -zahlen“. Der Stadtkünstler Wiesner hatte sofort begonnen, eine Figur zu entwerfen, die ihren Platz vor dem Portal des künftigen Senders (also nach der Schreiber-Idee im gläsernen Sarg vor dem UWS = Unterwasserstudio) haben sollte. „Die Senderin“ sollte das eherne Standbild dann heißen. Als Material wollte der Künstler Überreste der dann platten Form der Brent Spar verwenden.
Auch der stadtbekannte Orgel-August wollte nicht abseits stehen. Er baute einen Motor an seine Orgel (überflüssig zu erwähnen, daß dieser mit dem umweltfreundlichen BETA-City-Diesel besäugt wird), um noch schneller Knete zu erspielen, die er ausschließlich Radio Jade zur Verfügung stellen wollte. Augusts (nicht verbriefte) Aussage: „Ich gab dem Kaiser, was des Kaisers ist, aber jetzt dudle ich für den Bürgerfunk. Ich will mich auch mal selbst im Radio hören.“
Kurzum, ganz Wilhelmshaven und das Umland wollten dem Verein helfen, dass Schlicktau einen lobbyistenfreien Ortssender bekommt.
Nur einen klitzekleinen Haken hat die ganze Sache: Als der Gegenwind-Redakteur, immer noch beglückt lächelnd, erwachte, merkte er, daß er nur geträumt hatte.
Wie im Traum unseres Redaktionsmitgliedes – oder doch ein bißchen so ähnlich – hätte man’s erwarten mögen. Ein eigener Radiosender für Wilhelmshaven und Umgebung kann doch nicht nur im Interesse einiger weniger Mitmenschen sein. Tatsächlich aber bekommt der Verein Radio Jade keinerlei Unterstützung der ansonsten so sehr um Außenwirkung und -werbung bemühten Stadt; die WZ schweigt alle Aktivitäten des Vereins beharrlich tot; die örtliche Prominenz unterstützt die Bemühungen des Vereins nicht nur nicht, sondern behindert sie sogar; einige Stadtpromis betreiben gar mit Gründung ihrer eigenen Radioinitiative „Störfunk“.
Die Konsequenz: MitbürgerInnen, Firmen, Institutionen und Vereine treten nur sehr zögerlich dem Verein bei. Alles wartet – verständlicherweise – ab, bis Radio Jade die Sendelizenz erhält. Dies aber hängt andererseits u.a. davon ab, dass MitbürgerInnen, Firmen, Institutionen und Vereine ihr Interesse an einem Lokalsender bekunden! Doch alle sollen es wissen: Die Chancen zur Verwirklichung sind nach wie vor sehr gut! Es wäre schön, wenn die vielen, die dem Verein in zahlreichen Umfragen und Gesprächen gesagt haben, daß sie einen unabhängigen Bürgerfunk „einfach toll“ finden würden, dies auch tatkräftig dokumentieren würden!
Die Redaktion
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