Für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit
Mai 272020
 

Rat verabschiedet Resolution gegen Hass und Rassismus

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Foto: Gegenwind

(iz) In der Mai-Sitzung verabschiedete der Rat der Stadt eine Resolution, die eigentlich jede*r aufrichtige Demokrat*in so unterschreiben müsste: für Menschlichkeit, Toleranz, Demokratie, kulturelle Vielfalt und Solidarität. Uneigentlich gab es jedoch keinen einstimmigen Beschluss: Die vierköpfige AfD-Fraktion stimmte gegen die Resolution, die 3 FDP-Ratsherren enthielten sich der Stimme. Die vorangegangene Diskussion war sozusagen selbstredend.

Ob auf der Straße, in den Parlamenten oder im Internet: Bundesweit macht sich rechtes Gedankengut in Worten und dann auch in Taten breit. Gleichzeitig formieren sich gesellschaftlich breit aufgestellte Bündnisse, um dieser Entwicklung entgegenzutreten. Nach dem Anschlag in Hanau (19.2.2020), bei dem der rechtsextremistisch motivierte Täter acht Menschen mit Migrationshintergrund erschoss und anschließend seine Mutter und sich selbst tötete, fanden in ganz Deutschland Mahnwachen statt, so auch in Wilhelmshaven, wo über 400 Menschen zum Gedenken zusammenkamen (siehe Bericht vom 22.2.) Der Deutsche Städtetag hat seine Mitglieder ermutigt, weiterhin gegen rechtes Gedankengut Haltung zu zeigen und diese auch durch eine entsprechende Resolution zum Ausdruck zu bringen: „Unsere Demokratie und die damit verbundenen Werte des Grundgesetzes sind die bedeutendsten Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland. Viele Städte und ihre Bürgerinnen und Bürger haben in den letzten Wochen Zeichen gesetzt für eine offene und tolerante Gesellschaft. Die Städte treten ein für eine Stadtgesellschaft, die von Menschlichkeit, Toleranz, Demokratie, kultureller Vielfalt und Solidarität getragen ist. Wir dürfen nicht zulassen, dass Rassismus, Hass und Gewalt weiter Fuß fassen.“

Diese Resolution stand nun auf der Tagesordnung der Ratssitzung. Sogleich meldete sich der AfD-Fraktionsvorsitzende Thorsten Morisse zu Wort: Er sieht die Zukunft der Stadt durch die Zuwanderung in Gefahr. Die Migranten hätten nicht ins Sozialsystem eingezahlt, würden uns in eine Schuldenkrise führen und Parallelgesellschaften bilden. In den Schulen seien Deutsche bereits in der Minderheit.

Michael von den Berg (Bündnis 90/Die Grünen) fühlt sich als Angehöriger einer Minderheit selbst betroffen, wegen seiner sexuellen Orientierung erfahre er regelmäßig Hass und Bedrohungen. Er erinnerte an den Eklat in der Februar-Ratssitzung, als Morisse die Anwesenden als „dreckiges Volk“ bezeichnete. Mit solchen Äußerungen habe es vor 90 Jahren auch begonnen, so etwas sei No-Go. „Ich werde demokratische Werte bis zu meinem letzten Atemzug verteidigen!“

Frank-Uwe Walpurgis (UWG) ergänzte, neben dem „erstaunlichen“ Vortrag von Morisse seien auch auf dessen facebook-accounts regelmäßig Äußerungen zu lesen, die der Resolution widersprechen.

Aufkleber FCKAFD

Foto: Gegenwind

Andreas Tönjes (Die PARTEI) befand, Morisses Reaktion sei zu erwarten gewesen. Gegen andere zu hetzen, sie auszugrenzen, zu verunglimpfen, sei nicht durch Meinungsfreiheit gedeckt. Er hoffe, dass Morisse bei der nächsten Entgleisung des Saales verwiesen werde. Einen solchen Verweis hatte der Ratsvorsitzende Stefan Becker vor einiger Zeit (WBV) bislang nur Tönjes erteilt – wegen eines AfD-kritischen Aufklebers auf seinem Notebook. Tönjes zog vors Verwaltungsgericht, das Verfahren läuft noch. Jetzt sprang Becker (nach Hinweis aus der AfD-Fraktion) dieser Schriftzug („FCKAFD“) auf Tönjes‘ Aktentasche ins Auge. Becker warf ihm vor, damit andere zu „diskreditieren“, und forderte ihn auf, das zu verdecken, „sonst werde ich die Ratssitzung nicht weiterführen“. Tönjes lenkte ein, ohne sich unterlegen zu fühlen – Becker hatte sich vorführen lassen, mit zweierlei Maß zu messen: Auf der einen Seite ein (durchaus interpretierbarer) Schriftzug, der echte Konsequenzen nach sich zieht; auf der anderen Seite fortwährende Beleidigungen und Hetze gegen Migrant*innen und auch andere Ratsmitglieder, mit denen ein AfD-Ratsmitglied auf seinen Facebook-accounts seit Jahren das Ansehen der Stadt und des Rates beschädigt und nur für seine Äußerungen im Ratssaal einmal ein „Du-du!“ vom Ratsvorsitzenden kassiert. (Strafanzeige erfolgte erst später auf Nachdruck der Verwaltung).

„Jetzt erst recht!“

Christina Heide (SPD) erinnerte daran, dass Wilhelmshavens Bevölkerung aufgrund der jungen Stadtgeschichte sehr stark von Zuwanderung aus anderen Regionen und Ländern geprägt ist. Sie selbst sei aus Berlin zugewandert und sehr glücklich gewesen, hier diese Vielfalt anzutreffen.

Detlef Schön (SPD) bezeichnete Morisses migrantenfeindliche Äußerungen im Rat als „unerträglich“. Bezüglich Verabschiedung der Resolution ist für ihn die Konsequenz: „Jetzt erst recht!“

Michael von Teichman (FDP) berichtete von Forschungsergebnissen genetischer Analysen, wonach es DEN Deutschen gar nicht gibt, sondern eine genetische Vielfalt europäischer und außereuropäischer Prägung. Ebenso gäbe es, mit Ausnahme der „Indianer“, keine „Amerikaner“, dort setze sich die Bevölkerung aus Einwanderern und auch verschleppten aus aller Welt zusammen. Eine genetische Auffrischung habe immer weitergeholfen. „Wir essen überall, fliegen durch die Welt, nehmen von dort Einflüsse mit nach Hause, treiben Handel mit der ganzen Welt. Unsere Landwirtschaft und Gastronomie wäre ohne Personal aus anderen Ländern undenkbar. Menschen zu helfen, die anderswo in erbärmlichem Zustand leben, sie bei uns aufzunehmen, ist eine ganz normale Reaktion. Die Resolution müsste eigentlich unnötig sein.“ Trotz grundsätzlicher Zustimmung stellte er im Namen der FDP einen Änderungsantrag: Die Formulierungen im letzten Absatz des vorgelegten Resolutionstextes („Wir unterstützen Bündnisse und Initiativen …“, siehe unten) könnten finanzielle und personelle Verpflichtungen nach sich ziehen und sollten gestrichen werden.

Helga Weinstock (BASU) erklärte, dass mit „Wir“ nicht Rat und Verwaltung gemeint seien, sondern alle Wilhelmshavenerinnen, die sich vor allem auf ehrenamtlicher Basis für die beschriebenen Aktivitäten einsetzen (z.B. die Flüchtlingshilfe oder das Bündnis gegen Rechts – Anm. d. Red.) Der Änderungsantrag der FDP wurde mehrheitlich abgelehnt.

„Man muss sich fremdschämen!“

Nurhayat Bakir berichtete, wie sie als Kind türkischer „Gastarbeiter“ nach Deutschland kam und sich über die Jahre kulturell integriert hat, ob sprachlich, beruflich oder seit nunmehr neun Jahren als Ratsmitglied. Bei ihrer Tätigkeit im Baubereich trifft sie überwiegend auf Arbeiter ausländischer Herkunft. Ihr Fraktionskollege Al-Chafia Hammadi ergänzte: „Integration ist keine Einbahnstraße, es muss von beiden seiten die Bereitschaft dazu vorhanden sein“.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Howard Jaques bewertete Morisses Äußerungen abschließend kurz und bündig: „Man muss sich fremdschämen!“

Die Resolution wurde mit großer Mehrheit angenommen, bei 4 Nein-Stimmen der AfD-Fraktion und 3 Enthaltungen der FDP. Letzteres korrespondiert so gar nicht mit von Teichmans Ausführungen. Sich der Resolution allein deshalb nicht anzuschließen, weil die damit verbundenen Aktivitäten möglicherweise etwas kosten könnten, ist ein Armutszeugnis.

Resolution für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit

Demokratie, Toleranz und Menschlichkeit sind unsere Werte

Wilhelmshaven ist eine weltoffene und tolerante Stadt. Menschen vieler Nationalitäten, Kulturen und Religionen sind hier zu Hause. Gemeinsam treten wir ein für eine offene Stadtgesellschaft, die von Humanität, Toleranz, Demokratie, kultureller Vielfalt und Solidarität getragen ist.
Unsere Demokratie und die damit verbundenen Werte des Grundgesetzes sind die bedeutendsten Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland. Wir treten ein für ein Wilhelmshaven, das Chancen und Perspektiven für alle Menschen bietet, die friedlich hier leben, im Einklang mit dem Grundgesetz.
Das Miteinander von Menschen verschiedener Herkunft, Religionen und Kulturen prägt das Gesicht unserer Stadt. Es macht unsere Stadt lebendig. Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus lehnen wir entschieden ab. Für sie gibt es kein Verständnis und keine Rechtfertigung. Extremen Haltungen und Handlungen wollen wir entschlossen entgegentreten und sie bekämpfen. Demokratische Werte zu leben und immer wieder zu beleben, ist ein ständiger Prozess, der uns alle gemeinsam fordert.

Wir treten ein für einen respektvollen Umgang

In unserer Stadt treffen vielfältige Interessen, Ansichten und Meinungen aufeinander. Deshalb braucht es Debatte und Streit der Meinungen. Meinungsverschiedenheiten dürfen aber nicht in Feindschaft und Hass münden. Wir stehen ein für Grundregeln der demokratischen Kultur und einen respektvollen Umgang, sonst nehmen der Zusammenhalt der Gesellschaft und die Demokratie Schaden. Verunglimpfung, Beleidigungen und Gewalt in der Sprache, auch und vor allem im Internet, dürfen nicht toleriert werden. Wir treten entschieden dafür ein, dass Menschen in ihrer Würde nicht herabgesetzt werden. Wir treten entschieden dafür ein, dass menschenverachtende Ideologien nicht salonfähig werden.
Kommunalpolitik braucht Bürgernähe, Empathie und offene Ohren. Wir kämpfen für ein menschliches Miteinander. Wir stärken und schützen diejenigen, die sich ehrenamtlich in der Stadtpolitik und für die Stadtgesellschaft engagieren.

Wir stärken Allianzen und Bündnisse

Wir unterstützen Bündnisse und Initiativen, die Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus bekämpfen und Radikalisierung verhindern. Hierfür braucht es gemeinsame Strategien und Anstrengungen. Wir schaffen Anlaufstellen, informieren, beraten, bündeln und vernetzen kommunale Aktivitäten. Wir initiieren und fördern Präventionsarbeit.
Wir stellen uns der Debatte über die Verantwortung eines jeden Einzelnen für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

 

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