Lehrerinnen beim Ministerpräsidenten
Nov 221993
 

Warten warten warten

Abgelehnte Lehrerinnen bei Schröder

(hh)Das Thema LehrerInnenarbeitslosigkeit taucht in den Statistiken des Arbeitsamtes kaum noch auf. Da kann leicht der Eindruck entstehen, dies als ein Problem der 80er Jahre und als erledigt anzusehen. Dem ist nicht so. Der GEGENWIND berichtet über eine Initiative von Altbewerbern in Wilhelmshaven.

Die Problematik ist hinreichend bekannt: Nach einem generellen Einstellungsstopp Mitte der 80er Jahre wuchs die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber für den Schuldienst enorm an. War es in den vorangegangenen Jahren noch möglich gewesen mit Mangelfächern einen der ersehnten Jobs zu erhalten, so wurde es nach 1986 völlig aussichtslos. Viele schulten um oder hatten die Hoffnung, nach ein paar Jahren Wartezeit doch noch eingestellt zu werden.

An der VHS Wilhelmshaven arbeiten beispielsweise 9 Lehrerinnen und Lehrer in Deutschkursen für AussiedlerInnen, die teilweise schon mehr als 10 Jahre auf eine Einstellung warten. Keine(r) hat untätig abgewartet, im Gegenteil. Schaut man sich die Berufserfahrungen nach dem Examen an, so kommt Beachtliches zum Vorschein: Arbeit mit langzeitarbeitslosen Jugendlichen und schwervermittelbaren Erwachsenen, in der Alphabetisierung, im nachträglichen Erwerb von Schulabschlüssen bzw. Tagesrealschulen, Abendoberschulen, Feuerwehrverträge im Schuldienst, Deutschunterricht für Ausländer, Förderunterricht für leserechtschreibschwache Kinder, Bewerbungstraining und andere Kurse bei privaten und öffentlichen Trägern etc. Diese Tätigkeiten erfordern ein hohes Maß an Flexibilität, insbesondere durch zeitliche Begrenzung der Arbeitsverträge, die zumeist auf Honorarbasis laufen.
Auch die Deutschkurse für AussiedlerInnen bieten keine Sicherheit. Die Arbeitsverträge (1/2 Stellen) sind auf 6 Monate, die Dauer eines Kurses, beschränkt und werden, so ein neuer Kurs in Aussicht, neu abgeschlossen oder auch nicht.
Verständlich, daß Bitterkeit und Unmut aufkam, als Kolleginnen, die gerade frisch von der Universität kommend, nach ein paar Monaten Bildungsarbeit mit Aussiedlern an den Altbewerbern vorbei in den Schuldienst zogen. So entschloß man sich, innerhalb des Kollegiums eine Initiative zu gründen, um eine Veränderung der Einstellungskriterien für den Schuldienst zu erreichen. Die Wartezeit, das Alter und damit auch die pädagogische Praxiserfahrung der Bewerber sollten bei der Vergabe von Planstellen stärker berücksichtigt werden. Grundsätzlich sollte sich die Auswahl der Lehramtsbewerber nicht mehr ausschließlich an der Fächerkombination und „Leistung“, ausgewiesen durch einen Notendurchschnitt, orientieren. Nur so gibt es für Altbewerber überhaupt eine gerechte Chance bei der Planstellenvergabe.

So wandte man sich mit einem Schreiben an den Kultusminister Dr. Wernstedt und bekam, durch Vermittlung des hiesigen Landtagsabgeordneten der SPD, Wilfried Adam, im September einen Gesprächstermin mit Herrn Wernstedt und für den November eine Einladung des Ministerpräsidenten Dr. Gerhard Schröder und seinen MitarbeiterInnen. Der Kultusminister zog sich allerdings, mögliche Konkurrentenklagen ins Feld führend, auf juristische Bedenken zurück. „Praxiserfahrung ist nicht quantifizierbar“. Seine Einschätzung der Chancen, besonders für Realschul- und GymnasiallehrerInnen war niederschmetternd. Dies träfe besonders diejenigen, die eine Fächerkombination Deutsch/Sozialkunde oder Deutsch/Geschichte studiert haben. Mit einem Notendurchschnitt schlechter als 2,0 habe man überhaupt keine Chancen. Er wolle jedoch prüfen, ob es möglich sei, an Schulen mit hohem Aussiedler- und Ausländeranteil eine dahingehende Praxiserfahrung stärker zu berücksichtigen. Interessant scheint seine Idee, dem fehlenden Lehrerbedarf an Sonderschulen mit einer Einstellung von Grund- und HauptschullehrerInnen sowie RealschullehrerInnen zu begegnen, die durch ein zusätzliches Referendariat die Qualifikation für den Unterricht dort erlangen können.
In einem anschließenden Gespräch mit Herrn Collmann, einem Mitglied des AK Schule im niedersächsischen Landtag, wurde der Vorschlag gemacht, Gymnasiallehrer mit einem Fach (1/2 Stelle) einzustellen und der Auflage, ein weiteres benötigtes Fach nebenher zu studieren. Diese Möglichkeit werde derzeit geprüft.
Im Gegensatz zum Kultusminister war der Ministerpräsident, was die Frage der Quantifizierbarkeit von Praxiserfahrungen anlangt, anderer Meinung. Das von der Initiative vorgelegte hessische Bonussystem, welches Unterrichtstätigkeiten, abgelehnte Bewerbungen und sogar das Führen eines Familienhaushalts mit Bonuspunkten honoriert, fand seine uneingeschränkte Zustimmung. Seine Staatssekretärin, Frau Jürgens-Pieper, war dagegen ganz anderer Ansicht. Das bringe „nur ein wenig mehr Gerechtigkeit“. Der Delegation aus Wilhelmshaven Eigennutz (!!) unterstellend, wollte sie von dem Thema nichts wissen. Immerhin löse sich das Problem der arbeitslosen Grund- und HauptschullehrerInnen in den nächsten 2 – 3 Jahren auf, da erhöhter Bedarf bestünde. Auch prüfe man für diesen Bereich, ob die gewünschte Fächerkombination bei der Planstellenvergabe im Grundschulbereich dem Ausdruck ‚beliebig‘ weichen solle. Ob Herr Schröder sich gegen seine Staatssekretärin durchsetzten wird oder das Ganze eher in den Bereich „Fensterrede“ fällt, wird die Zukunft zeigen.

Übrigens: Sollten sich die Kolleginnen und Kollegen im Schuldienst dafür entscheiden, die angeordnete Stunde Mehrarbeit nicht zu leisten und dadurch auch eine Stunde weniger bezahlt zu werden, (bei einem Gymnasiallehrer wären das ca. 150,-) könnten mehr als 2.000 arbeitsuchende LehrerInnen eingestellt werden, berichtete uns Herrn Willems, Mitarbeiter des Kultusministeriums.

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