Geschichtsklitterung
Ist der Kaiser eine Touristenattraktion oder eine „Rolle rückwärts“?
(hk) Was macht man, wenn man in einer Auseinandersetzung keine Gegenargumente mehr hat? Man diffamiert die andere Seite; man unterstellt etwas, ohne dafür einen Beweis antreten zu können. So handelte auch unserer Oberbürgermeister Menzel auf der Pumpwerk-Veranstaltung „75 Jahre Novemberrevolution“.
Unterschwellig unterstellte er den Gegnern der Aufstellung eines Wilhelm I.-Denkmals „Geschichtsklitterung“. Menzel wörtlich: „Die Diskussion darüber ist nicht beendet, sie wird in unserer Stadt fortgeführt werden. Sie sollte allerdings so geführt werden, dass es nicht zu dem Versuch kommt, Geschichte zu klittern, sie so auszulegen, wie man sie denn gerne hätte.“
In einer Fernsehdiskussion sagte Wilhelmshavens Pressesprecher Michael Konken: „Wir werden die Geschichte vernünftig aufarbeiten – in einer historischen Meile. Angefangen mit der Christus- und Garnisonskirche, gegenüber mit Wilhelm, ein Stück weiter mit dem Werftarbeiter, noch ein Stück weiter mit dem Prinzen Adalbert.“ Ein Denkmal für die Revolution 1918 könnte diese „historische Meile“, die im städtischen Sprachgebrauch allerdings „Kaisermeile“ heißt, beschließen. Es geht auch darum, das brachte Michael Konken in der bereits erwähnten Fernsehdiskussion zum Ausdruck, das Image der Stadt zu verbessern. Natürlich geht es bei der Aufstellung des Kaisers um mehr, als um die Abschöpfung von überflüssigen Geldern bei Babatz, Leffers und Wilhelmshavener Zeitung – aber städtische Imageverbesserung durch die Ehrung dieses Kaisers, dieses Demokratenhassers und Kriegstreibers? Nur das oft beklagte Kasernenhofimage dieser Stadt wird dadurch gepflegt!
Aber das ist doch sicherlich nicht das Image, welches von der Stadt gewünscht wird? Oder vielleicht doch? Schulschiff Deutschland, Wilhelm, Marinemuseum, 125-Jahr-Feier, U-Boot am Südstrand, Video-Film „Kaiserstadt am Meer“ – das alles paßt lückenlos in ein solches Image. Und genau das ist der Kern der Auseinandersetzung – während die eine Seite die Geschichte als eine Aneinanderreihung von Namen und Figuren sieht, gehen andere tiefer und hinterfragen die Geschichte, setzen sich mit ihr auseinander stellen sich die Frage, wer für welche Traditionen steht und in welchen Traditionen die Bundesrepublik steht bzw. stehen sollte. Im letzten GEGENWIND zitierten wir den SPD-Bundestagsabgeordneten Hans Wallow: „Man kann sich seine Geschichte nicht aussuchen, wohl aber die Tradition, in die man sich stellen will. Wir Bundesbürger sollten akzeptieren, daß wir Kinder Adolf Hitlers, Karl Marx‘ und Rosa Luxemburgs, Goethes und der preußischen Wilhelms sind. Die historische Entwicklung hat unserem Land die Chance zu einer zivilen, auf Ausgleich angelegten Weltinnenpolitik eröffnet. Die Rolle rückwärts in die Verklärung autoritärer Traditionen darf diese Erfahrung nicht auslöschen. Die alte Bundesrepublik stand für einen Verzicht auf nationalen Stärkekult. Wir sollten weiter darauf verzichten.“
Geschichtsschreibung ist kein Selbstzweck. Geschichte wird geschrieben, um daraus zu lernen, um gemachte Fehler nicht zu wiederholen, um Fehlentwicklungen zu erkennen und von der Wurzel her bekämpfen zu können. Die Lehren aus den Kriegen des Kaiserreiches und des Faschismus bestimmten über Jahrzehnte beinahe selbstverständlich weite Bereiche der deutschen Politik. Es war ja kein Zufall, daß im Jahre 1968 an Wilhelms leerem Denkmalssockel nur ein Relief angebracht wurde – die Ehrung dieses Herrn Kaisers durch eine Statue wäre damals politisch nicht durchsetzbar gewesen. Ein Sturm der Entrüstung (nicht nur) in den Ortsvereinen der SPD wäre die Folge gewesen. Heute, 25 Jahre später, ist es allerdings wieder möglich, diesen Popanz der nationalen Stärke auf die Füße zu stellen (die paar Parteiaustritte fallen da nicht ins Gewicht). Die Liberalität der siebziger und achtziger Jahre ist nicht mehr gefragt. Wilhelm I. paßt haarklein in die Bestrebungen, die nach dem Anschluß der DDR bundesweit wieder keimen: Deutschland muß sich endlich vom Trauma des Faschismus befreien, Deutschland muß wieder eine internationale Führungsrolle einnehmen, deutsche Soldaten und deutsche Waffen müssen wieder in aller Welt anzutreffen sein … Großdeutschland!
Unser Vorschlag: Wenn Herr Leffers einen Wilhelm haben möchte – soll er ihn doch in seinem Kaufhaus aufstellen Wenn Herr Babatz einen Wilhelm haben möchte – soll er ihn doch in seinem Contactlinsenstudio aufstellen. Wenn Herr Adrian einen Wilhelm haben möchte – soll er ihn doch in die Schalterhalle der WZ stellen Wenn die Herren Schreiber, Menzel, Konken, Sommer usw. einen Wilhelm haben möchten – sollen sie ihn doch in ihren Büros aufstellen.
Mehrheiten
Für die, die Wilhelm I. wieder zu neuen Ehren kommen lassen wollen, ist klar, daß sie für die Mehrheit der Bevölkerung sprechen, was ja auch gut angehen kann, und was bei den älteren Semestern unserer Bevölkerung mit ziemlicher Sicherheit zutreffend ist. Trotzdem muß die Frage gestellt werden, ob denn eine Mehrheit alles darf, ob es in unserer Gesellschaft nicht bestimmte Schamgrenzen gibt, gegen deren Überschreitung gerade die Politiker aufstehen müßten. Es gibt in dieser Stadt eine breite Bewegung, die in der Aufstellung des Kaiserdenkmals mehr sieht, als eine Touristenattraktion – nämlich die beschriebene gesellschaftliche „Rolle rückwärts“. Viele Menschen, viele gesellschaftliche Gruppen, Parteien, Gewerkschaften usw. haben in der Auseinandersetzung mit unserer Geschichte ein feines Gespür dafür entwickelt, durch welche Ideen und Taten unsere Gesel1schaft bedroht wird bzw. durch welche unsere Gesellschaft wieder andere bedroht. Und deren Sensoren reagieren bei Themen wie Asylrecht, Faschismus, Holocaust, Fremdenhaß, Waffenexporte, Militarismus, Menschenrechte usw. ausgesprochen sensibel. Heute geben diese Sensoren immer häufiger Alarm – in Deutschland entsteht Schritt für Schritt eine andere Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der auch die Denkmodelle des Wilhelm I. wieder Platz haben – und eben auch deren Ehrung durch ein Denkmal. Viele mögen solche Gedanken im Zusammenhang mit dem Wilhelm I.-Denkmal für überzogen halten – sie sind es aber leider nicht. Wer heute nicht gegen den „kleinen“ Schritt rückwärts in die dunkelste Zeit des Preußentums, das sowohl den 1. als auch den 2. Weltkrieg zwangsläufig machte, opponiert, darf sich nicht wundem, wenn morgen ein rechtsgescheitelter Herr mit einem kleinem Bärtchen wieder gesellschaftsfähig wird.
Hannes Klöpper
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