Das Kettensägenmassaker
Von der grünen zur grauen Stadt am Meer?
(iz) „Ich brauch Tapetenwechsel, sprach die Birke …“ in Wilhelmshaven sollte sie sich beizeiten, noch vor der Dämmerung, auf den Weg machen. Bäume sterben langsam oder gewaltsam – in der Jadestadt häufig auf letztere Art und auf Veranlassung von Rat und Verwaltung. Die relativ junge Stadt besitzt (noch) einen interessanten alten Baumbestand, bedingt durch günstige Standortverhältnisse wie große innerstädtische Freiräume. Doch diese werden jetzt zugunsten anderer Nutzungen massiv angeknabbert
.In jüngster Vergangenheit fiel eine Reihe alter Bäume dem Bau der Reha-K1inik an der Gökerstraße zum Opfer, obwohl auch lärm- und verkehrstechnische Argumente für einen anderen Standort gesprochen hätten.
Kurz darauf war nach längerfristiger Planung erstmals (öffentlich) davon die Rede, einen Teil des Friedrich-Wilhelm-Parkes in die Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes mit einzubeziehen. Dabei sollte nicht nur ein Streifen an der Westseite gerodet und als Busparkplatz versiegelt werden – ein eifriger auswärtiger Städteplaner wollte diesen – eher aufgelockert gestalteten – Park auslichten, um ihn für Spaziergänger gefahrlos passierbar zu machen. Wer diese grüne Achse zwischen Zentrum und Südstadt häufig nutzt, fragt sich, woher diese Vision des dichten, von Räuberbanden durchsetzten Urwaldes stammen mag.
Und nun soll auch der Botanische Garten – oder Teile davon – daran glauben, um einem „Wohnpark“ Platz zu machen. Besser gesagt, der Botanische Garten soll umziehen zum Rosarium am Stadtpark. Innerörtliches „Biotopmanagement“ – will man allen Ernstes den alten Baum- und Strauchbestand verpflanzen? Solch kostenaufwendige Maßnahmen freuen allenfalls die durchführenden Fachfirmen, sind aber selten langfristig von Erfolg gekrönt.
Abhacken heißt wohl deshalb die Devise, und dann wird neu angepflanzt. Stämmchen, die man mit der Hand umspannen kann, und von denen es keiner der Beteiligten mehr erlebt, wie sie heranwachsen, bis man sie mit beiden Armen nicht mehr umfassen kann; Jungpflanzen, spindeldürr, in denen sich kaum ein Vogel verstecken kann, als Ersatz für solche, die das Ortsbild prägen, deren riesige Kronen Unmengen an Sauerstoff spenden und einer reichen Tierwelt Unterschlupf und Nahrung bieten?
Alles falsch. Bäume, so erklärte uns die WZ nach den jüngsten Winterstürmen, stellen in erster Linie eine potentielle Gefahr dar, indem sie jederzeit umfallen können. Ergo: wir fordern die 100%ige Gefahrenprophylaxe. Alle großen Bäume sollten vorbeugend gefällt werden. Weiter: Alle Dachziegel sind im sturmumtobten Schlicktown durch Dachpappe zu ersetzen. Und: alle Autos sind sofort stillzulegen, da sie potentielle Mordinstrumente sind. Hat Herr Schmid vor seiner folgenschweren Aussage Statistiken über die Ursachen von Personen- oder Sachschäden durchforstet? Bäume kommen darin verdammt gut weg.
Glaubt Wilhelmshaven an Lebensqualität zu gewinnen, indem echte Parks durch Park-Plätze, Wohn-Parks und Industrie-Parks ersetzt werden? Die BürgerInnen sind da offensichtlich anderer Meinung. Laut einer – ebenfalls in der WZ veröffentlichten – Umfrage definieren 65 % der befragten WilhelmshavenerInnen Lebensqualität über den umfangreichen Grünflächenbestand der Stadt.
Richtig ist, daß auch ein alter Baum pflegebedürftig wird, sofern er in der Stadt steht und Konflikte mit anderen Nutzungsansprüchen vermieden werden sollen. Die aufzuwendenden Beträge für Kronenpflege und Totholzbeseitigung sind vergleichsweise lächerlich gegenüber anderen Maßnahmen, die in Hinblick auf Erhalt und Verbesserung des Stadtbildes durchgeführt werden.
Es kommt auch der Zeitpunkt, wenn ein Baum gefällt werden muß. Die Pappeln am Friedenstadion, die nach den Stürmen zum Stein des Anstoßes wurden und den Ruf nach der Kettensäge erklingen ließen, sind schon länger sichtlich abgängig, und dies gilt sicher auch für einige Bäume in den Parkanlagen. Hier sind wohl Grünflächenamt und Naturschutzbehörde, die ansonsten lobenswert engagiert sind, angesichts der großen Stadtfläche bzw. des hohen Grünflächenanteils personell überfordert.
Was versäumt wurde und wird, ist einfach die (ebenfalls vergleichsweise kostengünstige) vorausschauende Ersatzpflanzung von Bäumen und Sträuchern, die dann, wenn einige Baumveteranen gefällt werden müssen, schon eine ansprechende Größe erreicht haben.
Solchen Pflanzungen würden einem qualitativen und quantitativen Erhalt des städtischen Baumbestandes im Sinne der Baumschutzsatzung dienen (die im übrigen nicht, wie Herr Schmid abschätzig schreibt, „selbsternannt“, sondern vom Rat auf Grundlage des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes erlassen wurde); davon war jedoch im Zusammenhang mit den geplanten Rodungs- und Versiegelungsmaßnahmen nie die Rede.
Hat man den Slogan von der „grünen Stadt am Meer“ vorausschauend geändert, um dann die oben beschriebenen „Zeichen setzen“ zu können? Ein „Bürgerpark“, der am Rande der Stadt außerhalb der Bebauung vor sich hinmickert, kann’s dann ja wohl auch nicht gewesen sein.
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