Gespräch mit Gesamtpersonalrat
Aug 101994
 

Von Fischköpfen und Wahlkämpfern

Gegenwind-Gespräch mit dem Gesamtpersonalrat der Stadt Wilhelmshaven

(hk) Nachdem die Wilhelmshavener CDU erneut einen Vorstoß unternommen hatte, die Löcher im Stadtsäckl mittels Personalabbau zu stopfen, sah sich der Gesamtpersonalrat veranlaßt, die Öffentlichkeit über die Situation in der Stadtverwaltung zu informieren. Wir sprachen mit den Personalratsmitgliedern Kanth, Gutschmidt, Kühler und Langhaar.

Gegenwind: Der Personalrat der Stadt und die Gewerkschaft ÖTV haben Ende Juli Alarm geschlagen. Worum ging es dabei?
Kanth: Die CDU hat einen Angriff gestartet, um Arbeitsplätze in der Stadtverwaltung abzubauen. Wir sind der Meinung, daß wir einen Punkt erreicht haben, wo man wirklich nichts mehr abbauen kann. Wir fordern, die Finanzkrise durch Verbesserungen auf der Einnahmenseite zu bekämpfen, durch die Erhöhung der Gewerbe- und Grundsteuer·- dagegen hat sich die CDU als Lobbyist der Unternehmerverbände mit der Forderung nach Personalabbau stark gemacht. Das scheint schon Vorwahlkampf zu sein. Weiter hat die CDU diese Mißbrauchskampagne gestartet. Da gibt es im Sozialamt den von der CDU initiierten Prüf- und Beratungsdienst. Die CDU hat die Ergebnisse dieses Dienstes ja auch groß in der Presse veröffentlichen lassen. Wenn man das allerdings mal gegenrechnet, sind die Kosten des Ausschusses im Verhältnis zum Ergebnis des aufgedeckten Mißbrauchs von Sozialhilfe fast gleich. Diese Kollegen hätte man besser direkt im Sozialbereich eingesetzt!

Gegenwind: Im Sozialbereich soll ja noch mehr passieren.
Kanth: Die CDU fordert eine externe Untersuchung des Sozialbereichs, die 150.000 Mark kostet. Da soll ein Dr. Müller vom Institut für Personalführung aus Köln untersuchen, ob der Sozialbereich richtig arbeitet. Das ist wirklich ein Ding aus dem Tollhaus. Da hat die CDU 6 Jahre lang mit Dr. Milger den Sozialdezernenten gestellt, hatte also 6 Jahre Zeit, dieses Dezernat zu beordnen, alles zu regeln und zu organisieren. 6 Jahre hatte die CDU Zeit, sich aus erster Hand zu informieren. Was passiert? Dr. Milger wird jetzt – im besten Mannesalter – in den Ruhestand versetzt. Und nun fordert die CDU die Untersuchung gerade dieses Bereichs. Die Kolleginnen und Kollegen befürchten nun, daß sie die Zeche zahlen sollen. Dann erneut die CDU-Kritik an der Stadtreinigung, dabei ist in den Ausschüssen belegt worden, dass die Kosten absolut korrekt sind. ‚

Gegenwind: Es ist erstaunlich, daß die CDU sich immer wieder das Sozialamt und Stadtreinigung vornimmt. Warum denn gerade diese Bereiche?
Kanth: Das sind Bereiche, mit denen man öffentlichkeitswirksam Politik machen kann. Wilhelmshaven hat die höchste Arbeitslosenzahl in den alten Bundesländern und natürlich auch dementsprechend viele Sozialhilfeempfänger. Doch die kriegt man nicht weg, weil man die Strukturen nicht verändern will. Also startet man eine Kampagne gegen die Sozialhilfeempfänger, behauptet, daß da bestimmt welche bei sind, die zu Unrecht Leistungen empfangen und diskriminiert damit die Leute, die zu Recht ihre Sozialhilfe bekommen. Gleichzeitig werden auch noch die Mitarbeiter des Sozialamtes diskriminiert. Die politische Zielsetzung der CDU lautet: Sozialabbau und Personalabbau. Sie zielt und trifft dabei natürlich nur die Arbeiter und Angestellten in den unteren und mittleren Bereichen.
Gutschmidt: Die Mitarbeiter müssen schon jetzt 20% mehr Fälle bearbeiten – und da kommt die CDU und fordert weiteren Personalabbau! Die Kollegen aus dem Prüf- und Beratungsdienst könnten direkt im Amt viel besser eingesetzt werden -dann könnte das Amt effektiver arbeiten und sich um die einzelnen Fälle intensiver kümmern.
Kühler: Die Kollegen sind empört – gerade im sozialen Bereich. Ständig mehr Arbeit, immer neue Aufgaben, inhaltliche Veränderungen der Sachbearbeitung, höheres Anspruchsdenken und erhöhte Klagebereitschaft der Bürger – all das berücksichtigt die CDU überhaupt nicht.

Aus der Presseerklärung des Gesamtpersonalrates und der ÖTV:
Der Vorstand des Gesamtpersonalrates der Stadt Wilhelmshaven und die Gewerkschaft ÖTV lehnen die jüngst von der CDU-Fraktion gestellte Forderung nach weiterem Personalabbau strikt ab. Schließlich sind in den letzten 10 Jahren u.a. durch die sogenannte Wiederbesetzungssperre bereits 251 Arbeitsplätze vernichtet worden – betroffen sind fast ausschließlich Arbeiter- und Angestelltenstellen in den unteren und mittleren Bereichen. Darüberhinaus ist der Stellenplan durch die Ausgliederung des Reinhard-Nieter-Krankenhauses und die Überführung der Stadtwerke in eine privatrechtliche GmbH von 2586 Stellen auf 1502 Stellen geschrumpft. ( .. . ) Zusammenfassend fordern Gesamtpersonalrat und ÖTV die CDU-Politiker auf, in Zukunft zunächst einmal mit den zuständigen Personalräten über Lösungen zu sprechen, bevor sie globalen Personalabbau fordern.

Gegenwind: Und die Probleme wachsen schnell – das sieht man tagtäglich auch in Wilhelmshaven.
Gutschmidt: Wenn gesagt wird, wir müssen Personal abbauen, dann muß auch gesagt werden, welche Aufgaben man einsparen will. Auf der einen Seite sieht man die zunehmende Verelendung bestimmter Bevölkerungsgruppen und auf der anderen Seite einen Sozialbereich, der seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. Dazwischen wird es irgendwann zum Knall kommen.

Gegenwind: Nochmal zurück zur Stadtreinigung. Wie stehen Sie zu den Vorwürfen der CDU, die Stadtreinigung sei zu teuer und auch personell überbesetzt? Gibt es einen Vergleich zu anderen Städten?
Langhaar: Da werden von der CDU bestimmte Bereiche einfach nicht berücksichtigt. Fußwege, Fahrradwege, Verkehrsinseln – das muß alles sauber gehalten werden. Dafür braucht man natürlich Personal und auch Geld. Im Vergleich zu anderen Städten liegen wir im allgemeinen Trend, im Verhältnis zu den Privaten sind wir günstiger. Wir müssen Monat für Monat Überstunden durchboxen, weil wir mit der Anzahl der Mitarbeiter die zu leistende Arbeit nicht schaffen können. Wenn die ABM-Kräfte mal ausfallen, dann wächst Wilhelmshaven dicht. Jetzt sind wir noch zusätzlich belastet durch die Strandreinigung. Die Papierkörbe z.B. in der Marktstraße werden kaum noch geleert.

Gegenwind: Die CDU behauptet ja auch, daß bei der Stadtreinigung der Krankenstand überdurchschnittlich hoch sei. Da klang der Vorwurf mit durch, daß da besonders viele Leute blau machen.
Langhaar: Die Behauptungen, die da aufgestellt wurden: hoher Krankenstand, zu teuer, zuviel Personal – das beruht alles auf falschen Informationen. Da steckt wohl hinter, daß man bestimmte Bereiche aus der Stadtverwaltung ausgliedern, privatisieren will. Wir hatten ja schon mal die Reinigung der Wochenmärkte an die GMA abgegeben. Die sind mit Leuten angerückt, die sich kaum noch bücken konnten. Die haben dann den Markt per Hand gefegt und die Fischköpfe lagen zwischen den Rillen. Dann mußten wir ausrücken und den Markt nachfegen. Nach einem Vierteljahr kam die Marktreinigung wieder zurück zu uns. Qualität hat natürlich seinen Preis!
Kanth: Wir haben den Eindruck, daß hinter diesen Diskussionen eine bestimmte Absicht steckt. Man will bestimmte Bereiche des Stadtreinigungsamtes „verlemkern“.
Kühler: Bei diesen ganzen Vorstößen fällt auf, daß sie wenig fachkundig vorgetragen werden. Warum machen sich die Kritiker nicht die Mühe, in den Ausschüssen oder in den Ämtern nachzufragen? Die CDU sitzt doch in allen Ausschüssen!
Langhaar: Wir sind ja bereit, mit der CDU zu reden. Aber die kommen ja nicht zu uns. Die sollten mal einen Tag bei der Müllabfuhr mitfahren und mitarbeiten -dann würden diese Herren wissen, was es bedeutet, den ganzen Tag Mülltonnen zu schleppen – egal ob es regnet oder die Ozonwerte steigen! Große Sprüche klopfen kann jeder!
Kanth: Auch hier will die CDU wieder einen Rechnungsprüfungsausschuß einrichten, der Zeit und Geld verschlingt und im Endeffekt nichts bringt. Die Kollegen von der Stadtreinigung haben gesagt, daß sie durchaus bereit sind, in ihren orangenen Anzügen in den Ratssaal zu kommen und der CDU im Rahmen eines Nachhilfeunterrichts zu erklären, wie das mit den Kosten für die Stadtreinigung zusammenhängt.

Gegenwind: Es gibt ja zweifelsohne große finanzielle Probleme der Kommunen. Wie sollen denn diese Probleme gelöst werden, wenn nicht über den Abbau von Personal?
Kanth: Ausgangspunkt ist die geplante milde Anhebung der Gewerbe- und Grundsteuer. Der DGB hat den Vorschlag gemacht, das Gemeindefinanzsystem vollkommen zu überarbeiten und auch den Kreis der Steuerpflichtigen zu erweitern, z.B. Freiberufler und Selbstständige, Ärzte, Rechtsanwälte, Zahnärzte – die bezahlen ja alle keine Gewerbesteuern. Eine Stadt braucht Industrie und Gewerbe und muß dafür eine gewisse Infrastruktur vorhalten. Dazu gehört auch eine funktionierende Verwaltung – und so etwas hat natürlich seinen Preis. Wenn man damit nicht mehr einverstanden ist, dann muß man auch sagen, was man nicht mehr will. Immer nur mehr verlangen, mehr rausholen aus den Leuten, das liegt nicht mehr drin. Es kommen ständig neue kostenintensive Aufgaben auf die Kommunen zu: Schaffung von Kindergartenplätzen – bezahlen muß die Kommune; die Regionalisierung des Nahverkehrs – die Kosten werden der Kommune aufgedrückt; die Arbeitslosenhilfe soll auch vom Bund auf die Kommunen verlagert werden. Und vor Ort kommt es dann zum Crash! Die Beschäftigten in den Ämtern werden dann für höhere Gebühren, mindere Leistung und Qualität verantwortlich gemacht!

Gegenwind: Macht die CDU da nicht eigentlich Wahlkampf aus der Stadtkasse?
Kühler: Pünktlich vor irgendwelchen Wahlen werden, begleitet von gebührendem Presserummel, irgendwelche Ausschüsse, Gutachter usw. durchgesetzt. Das kostet natürlich viel Geld und bindet auch die Kräfte in der Verwaltung, die ja für diese Ausschüsse die Zuarbeit leisten müssen. Nichts gegen die parlamentarische Kontrolle der Verwaltung – im Gegenteil. Nur wenn es offensichtlich nur darum geht, Wahlkampf auf Kosten der Kommune zu betreiben, dann sollten wir schon Alarm schlagen.
Kanth: Die Art wie die CDU diese Diskussion in der Öffentlichkeit führt, trägt in keiner Weise zur Motivation der Kolleginnen und Kollegen der Stadtverwaltung bei, die sich tagtäglich unter schwierigen Rahmenbedingungen für die Belange der Bürger dieser Stadt einsetzen.

Gegenwind: Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Mehrarbeit

Gesetzliche Regelungen, die eine intensive Mehrarbeit verursachen:

Amt für Soziales und Jugend

  • 1991 Gesundheitsreformgesetz: Neuregelung „häusliche Pflegehilfe“ – sehr differenziertes Bewilligungs- und Abrechnungsverfahren. Haushaltsbegleitgesetz, Änderung des Wohngeldgesetzes: Träger der Sozialhilfe wird auch Wohngeldbehörde, d.h. zahlt Wohngeld an Sozialhilfeempfänger („verkompliziertes“ Verfahren) „Bleiberechtsregelung“ für Asylbewerber: Kostenregelung führt zu erheblicher Mehrarbeit.
  • 1993 – Änderung der Bundesstatistik ’94 für Sozialhilfe: Erhebliche Ermittlungen; Spar- und Wachstumsgesetz: Einsparungen im AFG zu Lasten der Sozialhilfe
  • 1994Pflegeversicherungsgesetz: Neu ab 1995

Zu diesen Mehrbelastungen kommen gestiegene Fallzahlen. So werden bei der Stadt Wilhelmshaven von 1 Sozialhilfesachbearbeiter/in und 1 Zuarbeiter/in nach einem interkommunalen Vergleich rund 20% mehr Fälle bearbeitet!

Betreuungsbehörde – Betreuung Volljähriger

  • 1992 – Betreuungsbehördengesetz: Die Bearbeitungseingänge vom Vormundschaftsgericht haben sich seit Einführung des Gesetzes verdoppelt

Sozialdienst

  • 1991 – Kinder- und Jugendhilfegesetz: Erhebliche Mehrarbeit durch gesetzliche Pflichtaufgaben. Dennoch seit Jahren Stellenabbau bzw. unbesetzte Stellen.

Jugendamt

  • 1993Neuregelung des Unterhaltsvorschußgesetzes: Die wesentlichen Gesetzesänderungen haben zu mehr als einer Verdoppelung der laufenden Fallzahlen geführt.

Wohngeld

  • 1993 – Gesetz zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms: Erhebliche Änderungen im BSHG. Mehrarbeit durch zusätzliche Mitteilungspflicht der Wohngeldempfänger.

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