Gegenwind-Gespräch: Manfred Klöpper
Sep 131993
 

Vorwärts und nicht vergessen

Geschichte braucht längeren Atem als ein Menschenalter

(hk) Es sah lange so aus, als würde im 75. Jahr nach der Novemberrevolution in Wilhelmshaven überhaupt nichts passieren. Die Parteien, die Verwaltung und viele andere Organisationen in dieser Stadt feiern wohl doch lieber ihren Kaiser. Nach einigen ziellosen Diskussionen zwischen Linken in Wilhelmshaven kam dann von außen der Anstoß, in Wilhelmshaven die wohl in ganz Deutschland einzigartige Veranstaltung „75 JAHRE NACH DER NOVEMBERREVOLUTION – Lohnt ein neuer sozialistischer Anlauf?“ durchzuführen. Der GEGENWIND sprach mit dem Vorsitzenden des mitveranstaltenden DGB-Kreises Wilhelmshaven, Manfred Klöpper, der auch Mitglied der Vorbereitungsgruppe für diese Veranstaltung ist.

Gegenwind: 75 Jahre Novemberrevolution. Es gibt viele Möglichkeiten, einen solchen Jahrestag zu begehen. Ihr veranstaltet einen Kongreß . Was soll auf diesem Kongreß geschehen?
Manfred Klöpper: Wir machen keinen Historiker-Kongreß. Wir wollen uns nicht mit der Geschichte als einen Gegenstand beschäftigen, der mit der Gegenwart nichts zu tun hat. Wir tagen an historischer Stätte zu historischem Datum – es geht auf dem Kongreß jedoch nicht um das Gestern, sondern es geht um das deutsche Heute. Die Novemberrevolutionäre forderten: Nie wieder Krieg! Schluß mit Militarismus und Imperialismus! Heute stehen deutsche Truppen in Afrika und wir erleben den dritten deutschen Griff nach Weltmacht in diesem Jahrhundert. Wir sind heute Zeugen des Wiederauflebens von Krieg als Mittel der Politik, einer Neugeburt des Militarismus. Über den Imperialismus wird wohl nur deshalb nicht öffentlich geredet, weil ein Bannfluch aller herrschenden Politik und Medien über diesem Wort liegt.

Gegenwind: Ihr wollt also die Forderungen der Novemberrevolution auf die heutige Gesellschaft übertragen. Paßt das denn?
Manfred Klöpper: Die Novemberrevolutionäre wollten Arbeit und Brot für alle. Heute wächst die Arbeitslosigkeit im Land von Woche zu Woche, der Sozialabbau galoppiert und die Armut nimmt zu. Wir wollen, daß dieser Kongreß hilft, die Forderungen von damals weiterzutragen , weil es hochaktuelle Forderungen sind, deren Erfüllung nach wie vor oder erneut offen ist. Geschichte braucht längeren Atem als ein Menschenalter.
Die Novemberrevolution ist mehr als ihre Niederlage und mehr als ihre gescheiterten Träume. Gegen den Widerstand der damals Mächtigen errang sie das Frauenwahlrecht, Achtstundentag, sozialen Kündigungsschutz, Mitbestimmung , Betriebsräte , Arbeitsgerichtsbarkeit und Tarifautonomie. Heute erleben wir, daß keine dieser Errungenschaften sicher ist. Die Mächtigen von heute machen uns hier unten das wieder streitig, was die Matrosen und Arbeiter den Mächtigen damals abtrotzten .

Gegenwind: Der Untertitel des Kongresses lautet „Lohnt ein neuer sozialistischer Anlauf? “ Lohnt er sich?
Manfred Klöpper: Heute liegt der erste reale Versuch des Sozialismus auf deutschem Boden hinter uns. Aber ist damit der Sozialismus diskreditiert? Wir wollen, daß der Kongreß hilft, die Forderung nach einem anderen System, nach Sozialismus, nicht erst dann wieder auf die Tagesordnung zu setzen , wenn das System der Profitlogik diesem Land seine dritte nationale Katastrophe seit 1914 beschert hat. Wir wollen diesem Land das Schicksal des drei Kriege führenden Kathargos ersparen .

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