Denkmal
Sep 131993
 

Wir wollen keinen Kaiser

Man kann sich seine Geschichte nicht aussuchen, wohl aber die Tradition, in die man sich stellen will

(hk) Für einen gehörigen Wirbel sorgt der Plan Wilhelmshavener Geschäftsleute und der Ratsmehrheit, den Kaiser Wilhelm I. wieder auf seinen Sockel an der Ebertstraße zu stellen. Von der Neuen Zürcher über die Frankfurter Rundschau bis zur tageszeitung, ganz zu schweigen von den unzähligen Kommentaren in Rundfunk und Fernsehen, reicht der Reigen der kritischen und empörten Berichterstattung über Wilhelmshavens Pläne.

Einen beachtenswerten Kommentar veröffentlichte DIE ZEIT in ihrer Ausgabe vom 10.9.93. Der Verfasser des Kommentars, der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans Wallow, bezieht sich darin nicht auf die Wilhelm-Pläne Wilhelmshavens, sondern er nimmt die Wiedererrichtung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals am Deutschen Eck zum Anlaß für seine Abrechnung mit dieser „Renaissance sinnentleerten Preußentums“.
Wir zitieren einige Passagen des Wallowschen Kommentars:
„Ein Kaiser Wilhelm macht noch keinen monarchistischen Trend, geschweige denn eine restaurative, nationalistische Politik. Aber ein Staat, der seinen aus unterschiedlichen Systemen stammenden Bürgern keine Identität vermitteln kann, ist anfällig für die Hinwendung zu den Rezepten von gestern.
Demokraten dürfen nicht in lähmendem Staunen verharren. Wir gestalten den Staat, in dem wir leben. Der Wille zur Orientierung, zur politischen Arbeit, zur Formung der Republik muß Wille der Bürger, nicht der Regierung sein. Wir Bundesbürger, bürgerlich, prosaisch und materialistisch, sollten akzeptieren, daß wir Kinder Adolf Hitlers, Karl Marx‘ und Rosa Luxemburgs, Goethes und der preußischen Wilhelms sind.
Die historische Entwicklung hat unserem Land die Chance zu einer zivilen, auf Ausgleich angelegten Weltinnenpolitik eröffnet. Das ist eine notwendige Konsequenz aus leidvoller Erfahrung. Die Rolle rückwärts in die Verklärung autoritärer Traditionen darf diese Erfahrung nicht auslöschen. Wir müssen ein neues Selbstverständnis entwickeln, das diese Erkenntnis aufnimmt und die Lösung globaler Probleme ermöglicht.
Die alte Bundesrepublik stand für einen Verzicht auf nationalen Stärkekult. Wir sollten weiter darauf verzichten. Das demokratische Deutschland braucht keinen nationalen Kitsch wie in Koblenz. Denn: Man kann sich seine Geschichte nicht aussuchen, wohl aber die Tradition, in die man sich stellen will.“
Wer da wieder auf seinen Thron (Pardon: Sockel) steigen soll, darüber wollen wir im folgenden berichten. In Golo Manns Buch „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ ist Wilhelm I. durchweg mit Begriffen wie „Erzmilitarist und Scharfmacher“, „erzkonservativer Prinz“, „norddeutscher Unterdrücker“, „reaktionär“, „fanatischer Reaktionär“ belegt.
Und all diese Begriffe passen auch auf die Politik, für die der Name Wilhelm, egal ob als Prinz, Regent, König oder Kaiser Wilhelm, fast ein halbes Jahrhundert bürgte. Daß er in seinen letzten Jahren, bevor er, im März 1888, 91jährig starb, ein wenig friedlicher und versöhnlicher wurde, lag nur daran, daß er genügend Leute hatte, die in seinem erzreaktionären Geiste die Geschäfte führten.

Brisantes Geschenk
Kurz vor der Drucklegung dieser Zeitung erreichte uns noch eine Presseerklärung des Ratsherrn Andreas Koût (Grüne/Frauenliste) zur geplanten Wiedererrichtung des Wilhelm I.-Denkmals, die wir in Auszügen abdrucken.
Als Vorsitzender des Kulturausschusses bedauert A. Koût, daß dieses Thema unreflektiert und unter Ausschluß der Öffentlichkeit behandelt wurde. Er kritisiert; dass der Kulturausschuß, jenes Gremium, welches bei jeder Einrichtung von Gedenkstätten und Denkmälern gefragt werden sollte, als öffentliches Diskussionsforum nicht eingeschaltet wurde. Angenommen wurde das politisch-historisch brisante Geschenk – ohne ausführliche öffentliche Begleitung – im internen Kreis des Verwaltungsausschusses.
Zu leicht gleitet, so Andreas Koût weiter, die unreflektierte Suche nach geschichtlichem Identitätsbewußtsein ins lrrtionale, restaurative, ewig Gestrige ab und wird durch säbelrasselndes Mißverständis zum ideellen Nährboden z.B. jugendlichen Rechtsradikalismus. (hk)
Preußischer Ungeist

Welchen Geist er repräsentierte, veranschaulichen die folgenden Auszüge aus seiner „Anweisung über die Pflichten der Kommandanten der Auslandsschiffe“ vom 17. März 1885:
„Ich erteile den Kommandanten Meiner im Auslande befindlichen Schiffe und Fahrzeuge für den Fall eines Krieges nachfolgende Instruktion und erwarte, daß dieselben in deren Geiste entschlossen (…) handeln, wie es die Ehre der Flagge und das Interesse des Deutschen Reiches erheischen. (…) Hierbei wird der Kommandant sich vor allem gegenwärtig halten müssen, daß es nunmehr seine erste Pflicht ist, dem Feinde soviel Schaden als möglich zuzufügen. Ob er sich hierzu besser gegen feindliche Kriegsschiffe wendet oder im Kreuzerkriege den feindlichen Seehandel oder die Küstenplätze des feindlichen Gebietes zu schädigen sucht, hat er allein zu entscheiden. (…) Ich hoffe, dass selbst im Unglück ein ehrenvoller Untergang Meine Schiffe davor bewahren wird, die Flagge streichen zu müssen … “
Soviel zum „preußischen Geist“.

Der Kartätschenprinz

Die Taten Wilhelms beweisen, daß er schon früh lernte, diesen Geist mit Leben (bzw. Tod) zu erfüllen:
Als Prinz Wilhelm führte er während der Deutschen Revolution 1848/49 die konterrevolutionären preußischen Truppen. Unter „Bruch des Reichsfriedens“ ließ er den badisch-pfälzischen Aufstand mit großer Brutalität unterdrücken, furchtbare Rache an entwaffneten und gefangenen Freiheitskämpfern ausüben.
Seine Befehle, Kanonen mit gehacktem Blei auf unbewaffnete, unter der schwarz-rotgoldenen Fahne für „Einigkeit und Recht und Freiheit“ demonstrierende Männer und Frauen schießen zu lassen, brachten ihm in allen deutschen Ländern den Namen „Kartätschenprinz“ ein. Die Berliner, die die Preußen nach blutigen Kämpfen zum Verlassen ihrer Stadt gezwungen hatten, bedachten die angekündigte Rückkehr des Prinzen von Preußen und seines Militärs mit Spottliedern:
„Schlächtermeister, Prinz von Preußen,
Komm doch, komme doch nach Berlin!
Wir wolln dir mit Steine schmeißen
Und dir’s Fell über die Ohren ziehn“

König von Preußen

Als König von Preußen reorganisierte, modernisierte und vergrößerte er die preußische Armee. Zur Durchsetzung seiner Ziele schreckte er selbst vor der Auflösung des Parlamentes nicht zurück. In diese Zeit der preußischen Aufrüstung fiel auch die Namensgebung des 1853 an Preußen abgetretenen „Marine-Etablissements“ an der Jade durch König Wilhelm von Preußen.
Als König Wilhelm führte er drei systematisch vorbereitete und zielbewußt herbeigeführte Kriege: Gegen Dänemark (1864), gegen Österreich (1866) und gegen Frankreich (1870/71). Diese Kriege kosteten Hunderttausende das Leben.
Gebietsannexionen (Elsaß-Lothringen), seine Großmannssucht und die damit verbundene Demütigung Frankreichs (Kaiserkrönung in Versailles, Sedanfeiern) legten den Grundstein für die „Erbfeindschaft“ mit Frankreich.

Kolonialpolitik

In die Regierungszeit Wilhelm I. fiel die weltweite Koloniennahme. „Deutsches Schutzgebiet“ hießen plötzlich Landstriche in Teilen der Welt, die noch nie vorher eine Pickelhaube gesehen hatten. Mit welcher Menschenverachtung diese imperialistischen Eroberungen durchgeführt wurden, dürfte allgemein bekannt sein.

Auswanderung

Millionen Deutscher kratzten zu Wilhelm I. Zeiten ihr letztes Geld zusammen, verkauften all ihre Habe und verließen ihre Heimat, um sich in Übersee, vor allen in den Vereinigten Staaten von Amerika, eine Existenz ohne Not und Unterdrückung aufbauen zu können.

Sozialistengesetz (1878)

Nach zwei Attentaten auf Kaiser Wilhelm I. wurde eine Stimmung gegen die Sozialdemokratie erzeugt, die zum „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ führte, obwohl schon frühzeitig ermittelt wurde, daß die Sozialdemokraten mit den Attentaten nichts zu tun hatten. Bis 1890, zwei Jahre nach Wilhelm I. Tod, galten sozialdemokratische Bestrebungen als „Geheimbündelei“ und wurden mit Zuchthaus bestraft. Kam der Kaiser (oder ein hoher kaiserlicher Beamter) zu Besuch in eine Stadt, wurden die der Sozialdemokratie nahestehenden Personen ausgewiesen. Die Zeitdauer bestimmten die preußischen Beamten. Denen war es egal, ob da plötzlich eine zwei-, vier oder sechsköpfige Familie niemanden mehr hatte, der das Geld für die Versorgung der Familie verdiente.
Damit genug zur Geschichte des Mannes, für den Wilhelmshavener Geschäftsleute angetreten sind, ihm ein Denkmal zu setzen. Ganz im Geiste des Kaisers wurde in Wilhelmshaven der Beschluß zur Wiederaufstellung des Denkmals durchgezogen: Es gab keine Diskussion darüber, ausgeküngelt hinter verschlossenen Türen. Nicht einmal im Kulturausschuß kam das Thema zur Sprache. Man hatte wohl mal wieder Angst vor der öffentlichen Diskussion. Nur wird diese jetzt noch schlimmer! Kommt doch nun zum Denkmals-Ansinnen noch die zutiefst undemokratische Art und Weise des Zustandekommens des Aufstellungsbeschlusses.
Der GEGENWIND schließt sich den Ausführungen des DGB-Kreisvorstandes an, der ja bekanntlich die Aufstellung des Wilhelm-Denkmals einstimmig ablehnte.
In einem Papier des DGB heißt es: „Wilhelmshaven ist nicht die Stadt eines Kaisers, schon gar keine „Kaiserstadt“; ganz andere Leute machten und machen ihre Lebens- und Liebenswürdigkeit aus.
Es macht keinen guten Sinn, gerade diesem Wilhelm abermals ein pompöses Standbild zu setzen. Er paßt nicht mehr in unsere Zeit, wenn er denn je in eine Zeit gepaßt hat. Es gab und gibt bessere seines Namens in Wilhelmshaven. Sie aber wollen und brauchen keine Denkmäler. Legen wir also im nächsten Jahre am Standbild des Werftarbeiters ein schlichtes Blumengebinde nieder und lassen es damit bewenden.“

 

Kommentar:

Preußens Gloria
Erleben wir in Wilhelmshaven ein Wiederaufleben des autoritären Preußentums?
Eigentlich sollte man denken, daß so etwas in einer Stadt, die seit Jahrzehnten sozialdemokratisch regiert wird, nicht möglich ist. Wenn es da doch nur nicht so viele nachdenklich stimmende Vorkommnisse gäbe. Man könnte beinahe glauben, daß die Wilhelmshavener SPD gar nicht in der Tradition der deutschen Sozialdemokratie steht.
W. Kuschel und R. Schaper (beide ehem. GEGENWIND-Leute) schrieben im 1988 erschienen Band 4 des Historischen Arbeitskreises des DGB „…das Volk vom Elend zu erretten“: ‚Die Wilhelmshavener Sozialdemokraten haben die Revolution ebensowenig gewollt wie ihre Genossen im Parteivorstand in Berlin. Die ‚kaiserlichen Sozialdemokraten‘ an der Jade hießen nicht umsonst so. (…) In den revolutionären Ereignissen vor Ort spielte die SPD als Partei kaum eine Rolle. Im 21er-Rat war sie nur schwach vertreten. Man atmete auf, als SPD-Reichswehrminister Gustav Noske dem „revolutionären Spuk“ am 20. Februar 1919 durch kaiserliches Militär ein Ende bereiten und dem sozialdemokratischen Mitglied der Nationalversammlung, Paul Hug, die Geschäfte des Rates übertragen ließ. Noch heute spiegelt sich diese politische Konstellation in der Haltung der örtlichen SPD zum Wilhelmshavener Revolutionsführer Bernhard Kuhnt wieder.
Während Paul Hug höchstes Ansehen genießt (nach ihm wurde eine Straße und ein Kinderheim benannt), erinnert im den unabhängigen Sozialdemokraten (und späteren SPD-Reichstagsabgeordneten und KZ-Häftling) Bernhard Kuhnt nicht einmal eine Nebenstraße.“
Vor diesem Hintergrund erklärt sich dann auch so manches, was jetzt in Wilhelmshaven abläuft – Zum Beispiel, daß die „kaiserlichen“ Sozialdemokraten Wilhelm I. wieder auf seinen Sockel sehen wollen. Da wird Geschichtsbewußtsein ganz klein geschrieben.
Wäre das Denkmal des ersten Wilhelms im 2. Weltkrieg nicht eingeschmolzen worden – kein Mensch würde sich heute über das Denkmal aufregen. Doch diesem Herrn jetzt noch die Ehre zukommen zu lassen, erneut seinen Sockel wieder besteigen zu dürfen – das hat mit dem Heute nichts zu tun – da weht ein Mief durch die Stadt, der nichts mit unserer Geschichte zu tun hat.
Und dieser Mief wird die Stadt wohl auch im kommenden Jahr nicht verlassen – die Vorbereitungen für die 125 Jahr-Feier lassen da Schlimmes erahnen – In diese Mief-Reihe reiht sich auch der neue Wilhelmshaven- Film „Kaiserstadt am Meer“ ein, in dem ein preußischer Beamter mit Pickelhaube auf einem Bäckerfahrrad durch die Stadt radelt. Der Film beginnt mit dem Satz: „Einst des Kaisers liebstes Kind – Wilhelmshaven“ und endet mit: „Wenn das der Kaiser Wilhelm nochmal sehen könnte! Sicher wäre die Stadt an der Jade dann auch heute noch „Des Kaisers liebstes Kind“.
Dann gibt es noch ernsthafte Bemühungen, das nach der Zusammenlegung von Max-Planck- und Humboldtschule namenlos gewordene Gymnasium am Mühlenweg nach Kaiser Wilhelm zu benennen.
Ist es wirklich nur die Suche nach einer fremdenverkehrswirksamen Schablone, die Wilhelmshavens Politiker auf die Schwingen des preußischen Adlers aufsteigen lassen? Die Art und Weise, wie die Wiederaufstellung der Wilhelm-Statue im Friedrich-Wilhelm-Park, unter Mißachtung aller demokratischen Spielregeln, beschlossen wurde, läßt da allerdings schlimmeres befürchten.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans Wallow schrieb: „Ein Kaiser Wilhelm macht noch keinen monarchistischen Trend, geschweige denn eine restaurative, nationalistische Politik.“ Was würde er wohl zu dem Geschehen in Wilhelmshaven schreiben? Wir Wilhelmshavenerlnnen müssen uns wohl doch so langsam mal Gedanken machen, wohin die Politik in unserer Stadt driftet.

Hannes Klöpper

 

Informations- und Diskussionsveranstaltung
WIR WOLLEN KEINEN KAISER
am Montag, 27.September 1993 um 20.00 Uhr im Gewerkschaftshaus, Wilhelm-Krökel-Saal, Kieler Str. 63

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