Die Ermittlung
Feb 082011
 

In die Hölle

Landesbühne bringt die Abgründe menschlichen Handelns auf die Bühne

(hk) „Die Ermittlung“ von Peter Weiß brachte die Notwendigkeit der ständigen Auseinandersetzung mit Auschwitz und mit der Politik des Faschismus eindringlich ins Bewusstsein. Und das in einer Inszenierung der Spitzenklasse.

Peter Weiss’ Stück wurde 1965 uraufgeführt – gleichzeitig auf 15 Bühnen in Deutschland und England. 1965, das war die Zeit, als noch alles ordentlich lief, man hatte nur damit zu tun, sein Leben einzurichten, Not und Armut zu überwinden. In der Zeit des Wirtschaftswunders war kein Platz für eine Auseinandersetzung mit dem, was im 12 Jahre währenden tausendjährigen Reich geschah.
Die alten Nazis hatten sich wieder in Politik, Presse, Militär und Kultur häuslich niedergelassen; es gehörte zum guten Ton, „von nichts gewusst“ zu haben. Und die alten Nazis waren ja auch gut zu gebrauchen. Es musste eine Bundeswehr her.
Dann kamen 1963 die Auschwitzprozesse, und das Unsagbare gelangte an die Öffentlichkeit – die tausendfach zu hörenden Ausreden unserer Väter und Großväter klangen in den Aussagen der Angeklagten wider: „Daran kann ich mich nicht erinnern. Davon ist mir nichts bekannt. Ich hatte nur meine Pflicht zu tun. Ich habe nur meinen Dienst gemacht. Es war Befehl. Das sind Erfindungen. Davon weiß ich nichts.“
Geschockt von den durch die Ermittlung öffentlich bekannt gewordenen Abläufen der Massenvernichtungsmaschinerie begann die Jugend Fragen zu stellen. Die Eltern und Großeltern hatten keine Möglichkeit mehr zum Ausweichen. Lügen und Ausreden wurden nicht mehr akzeptiert. Im Grunde war das Stück von Peter Weiss so etwas wie die Geburtsstunde der 68er-Bewegung.

Die ErmittlungWeltniveau
Man durfte gespannt sein, wie Weiss’ Stück heute, fast 50 Jahre nach seiner Uraufführung, wirken würde. Das, was die Regisseurin Eva Lange gemeinsam mit dem Dramaturgen Peter Fliegel und dem Ensemble der Landesbühne daraus gemacht hat, hat Weltniveau, ist Theater, wie es besser nicht realisiert werden kann.
Das Stück ist in 11 Gesänge (siehe Kasten unten) aufgeteilt, Gesänge, die uns immer tiefer in die Hölle des Vernichtungslagers Auschwitz und damit in die Abgründe des faschistischen Denkens führen.
Schon das Bühnenbild lässt dem Zuschauer keine Chance zum Abschweifen – auf einer leichten Schräge stehen ca. 100 Stühle, fein säuberlich in Reihe. Nach und nach tauchen 7 grau gekleidete Personen auf. Es gibt keine Unterschiede, selbst der natürliche Unterschied zwischen Mann und Frau wird beseitigt. Es gibt auch keine Rollenzuweisung – die Zuschauer können kein Feindbild aufbauen. Jede/r spielt jede/n. Mal Angeklagter, mal Verteidiger, mal Zeuge.

Die Angeklagten versuchen mit folgenden Entlastungsstrategien, ihr Handeln zu verharmlosen, abzustreiten oder zu rechtfertigen:

  • Unglaubwürdigmachung von Zeugen oder Anklägern
  • Täter-Selbstverständnis als Opfer
  • Berufung auf damalige Rechts- und Werteordnung und Befehlsnotstand, allgemeine Akzeptanz und ähnliche Taten anderer
  • Schuldleugnung, Herabspielen der eigenen Rolle
  • ausweichende Antworten, Behauptung eigener Unwissenheit
  • Verweise auf „gelungene Resozialisierung“ nach 1945, Hervorheben eigener guter Taten
  • Plädoyer auf Verjährung

Zu Beginn des Stückes wähnt man sich noch in einer Aufführung eines der großen klassischen Werke, doch spätestens in der dritten Szene spürt man, dass da auf der Bühne etwas abläuft, was einen ganz persönlich betrifft; da werden keine Allgemeinplätze oder Weisheiten zum Besten gegeben. Was da auf der Bühne abläuft, ist unser Leben, unsere Vergangenheit. Was da auf der Bühne dargestellt wird, sind die Ursachen, warum die Welt heute so ist, wie sie ist.
Die Topografie des Grauens, das schrittweise Durchlaufen der Tötungsmaschinerie mit all ihren entwürdigenden Nuancen und Zusammenhängen, von der Rampe über die Menschenversuche, von den Todesspritzen über die Vergasungsanlagen bis hin zu den Verbrennungsöfen. Man mag kaum atmen, so bedrückend wirkt das Stück.

Also
von kleinen Übeln abgesehen
wie sie solch ein Leben von vielen
auf engem Raum
nun einmal mit sich bringt
und abgesehen von den Vergasungen
die natürlich furchtbar waren
hatte durchaus jeder die Chance
zu überleben
(Angeklagter 8)

Ratlosigkeit
Nachdem man über 2 Stunden im wahrsten Sinne des Wortes in die Hölle geführt wurde – kann man anschließend klatschen? Darf man klatschen? Das Wilhelmshavener Premierenpublikum begann mit einem zögerlichen Applaus, als dann die Schauspieler rauskamen und sich bedankten war klar, dass man klatschen darf. Aber es war ein anderes Klatschen, es war ein ehrfürchtiger und dankbarer Applaus, mit dem die Leistungen des Ensembles anerkannt wurden. Gut und richtig war es auch, dass das Stück ohne Pause gespielt wurde. Wer hätte nach dem Gehörten eine Tasse Kaffee oder ein Glas Wein trinken können?

Premierenfeier
Das Team der Landesbühne stellte sich auch die Frage, ob man nach einem solchen Stück eine Premierenfeier durchführen kann. Der Dramaturg Peter Fliegel dazu: „Weil es den Faschisten nicht gelang, das jüdische Leben und die jüdische Kultur auszulöschen, und weil es heute in Deutschland wieder eine lebendige jüdische Kultur gibt, ist eine Premierenfeier möglich.“ Und diese fand dann auch statt – passend mit Klezmer-Musik.

Unvergleichbar
Peter Weiss’ Ermittlung machte auch klar, dass das, was die Deutschen im Faschismus getan haben, unvergleichlich ist und bleibt. Es macht deutlich, wie abwegig und beleidigend die heutzutage immer wieder gern gemachten Auschwitz-Vergleiche sind (Scharping, Joschka Fischer als Außenminister …).

Schlecht zu verstehen
Die Schauspieler sprachen oft mit dem Rücken zum Publikum in die endlose Schwärze der Bühne, das war dramaturgisch sicherlich gut und verständlich, wurde dadurch aber für das Publikum zu einer Tortur; selbst bei gutem Hörvermögen konnte man den Text oftmals nur bei äußerster Konzentration verstehen – BesucherInnen berichteten, dass sie über weite Strecken akustisch nichts verstanden haben.

Resümee
Das Stück hat seit seiner Uraufführung 1965 nichts von seiner Aktualität, von seiner Größe und Eindringlichkeit verloren. Es ist ein Dokument über den Terror in den Konzentrationslagern und über die weit verzweigten Unterstützungswege (von der Reichsbahn bis zu den Herstellern der Verbrennungsöfen, den Herstellern der Giftspritzen, den Nutznießern in der Wissenschaft …); es ist ein Dokument über die Verschleierungsstrategien bis in die 60er Jahre hinein. Hier sei z.B. an die Rolle der deutschen Diplomaten am Funktionieren der Vernichtungsmaschinerie erinnert, die ja gerade in den letzten Monaten aktuell diskutiert wurde (Conze, Frei, Hayes, Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit: Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik). Auch die aktive Beteiligung der Wehrmacht an NS-Verbrechen wurde erst nach vielen Jahrzehnten (1995) öffentlich.

Die Urteile
Die Urteilsverkündung, die das Stück offen lässt, brachte am 19.8.1965 im echten Auschwitzprozess drei Freisprüche, elf Haftstrafen zwischen drei und vierzehn Jahren und sechs lebenslängliche Haftstrafen.


1. Gesang von der Rampe

beschreibt die Ankunft der Gefangenen im Lager, wie die Kranken und Arbeitsunfähigen ausgesondert wurden, um sofort zur Vernichtung gebracht zu werden.
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2. Gesang vom Lager

schildert die erbärmlichen und total überfüllten Baracken sowie die unhygienischen Bedingungen im Lager, wie sich die Häftlinge selbst bestohlen und erniedrigt haben, um zu überleben.
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3. Gesang von der Schaukel

legt dar, dass Todesurkunden gefälscht wurden und politische Gefangene durch schwere Folter durch die Schaukel zum Reden gebracht wurden.
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4. Gesang von der Möglichkeit des Überlebens

lässt erkennen, dass es nur sehr wenige Möglichkeiten gab, um im Lager zu überleben. Das Personal hatte fast uneingeschränkte Macht über das Leben der Häftlinge. Es werden die Versuche an Frauen in der medizinischen Abteilung beschrieben, durch die die meisten Gefangenen starben.
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5. Gesang vom Ende der Lili Tofler

erzählt, wie Lili Tofler festgenommen und getötet wurde, weil sie einen Brief ins Gefangenenlager schmuggeln wollte.
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6. Gesang vom Unterscharführer Stark

beschreibt den Unterscharführer Stark durch mehrere Aussagen von Zeugen. Die einen sagen, dass er ein lernfreudiger 20-jähriger Kommandant war. Ein anderer Zeuge beschreibt, wie der Menschen ermordet hat, doch er streitet alles ab. Starks Verteidiger sagt außerdem, dass Stark sich nach dem Krieg als guter Bürger entwickelt hat.
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7. Gesang von der schwarzen Wand

erzählt von der Wand, an der Menschen erschossen wurden. Die Wand hat den Namen auf Grund ihrer Farbe.
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8. Gesang vom Phenol

schildert, wie die Menschen durch eine Phenol-Spritze in den Herzmuskel getötet wurden – Erschießen war zu teuer.
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9. Gesang vom Bunkerblock

erzählt, wie es den Menschen erging, wenn sie wegen eines Verstoßes bestraft wurden. Es gab Stehzellen, die 90 cm breit, 90 cm lang und 2 m hoch waren. Sie hatten nur ein kleines Lüftungsloch von 4 auf 4 cm. Teilweise wurden bis zu 4 Personen in eine Zelle eingesperrt, so dass sie am nächsten Tag entweder bewusstlos oder tot waren.
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10. Gesang vom Zyklon B
beschreibt wie die Menschen nackt in einen Raum gezwängt wurden und dort mit Zyklon B vergast wurden. Ein Zeuge, der die Leichen danach aufräumen musste, beschreibt, wie die Leichen zerkratzt, von Körperflüssigkeiten beschmutzt, aufeinander gestapelt dalagen.
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11. Gesang von den Feueröfen

beschreibt den Vorgang, wie die Leiche von der Vergasung zu den Verbrennungsanlagen befördert wurden. Dort wurden sie „verarbeitet“, d.h. Haare abgeschnitten und die letzten Schmuckstücke oder Goldzähne abgenommen. Dann letztendlich verbrannt. Zeugen behaupten, dass normalerweise etwa 3.000 Menschen täglich getötet wurden. Gegen Ende sogar bis zu 20.000 täglich.

Unter Verwendung von: referat10.com
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