Revisor, revisited
(iz) Es gibt Theaterklassiker, die bleiben immer aktuell. Dazu gehört auch Nikolai Gogols „Der Revisor“, Thema: Korruption. Erfunden wurde diese, wie Dramaturgin Annabelle Schäll wusste, in Russland. Im 19. Jahrhundert war es dort durchaus erwünscht, dass die Staatsdiener ihr bescheidenes Salär durch „Trinkgeld“ aufbesserten. Dass dies eine Eigendynamik in Bezug auf die Kundenwünsche entwickeln könnte, hatte man nicht bedacht.
Der Plot: In einem russischen Städtchen hat man den Tipp gekriegt, dass ein Revisor aus Moskau kommt, um die Korruption im Gemeinwesen unter die Lupe zu nehmen. Durch eine Verwechslung kommt ein mittelloser Gast des Ortes in den Genuss, all die Bestechungsgelder einzusacken, die dem Beamten zugedacht waren. Und er versteht das weidlich auszunutzen …
Gogols „Rundumschlag gegen die Vetternwirtschaft“ kam bei den Betroffenen damals nicht so gut an. Sie beantragten die Zensur, gar ein Verbot des Stückes, und der Autor sah sich Morddrohungen ausgesetzt. Doch Zar Nikolaus I. amüsierte sich prächtig und empfahl das Stück sogar allen Petersburger Beamten als „Weiterbildung“. (Die Landesbühne hat auch alle Ratsherren und -damen zu ihrer Aufführung eingeladen).
Leider ist das Stück immer noch hochaktuell. Vier hessische Finanzbeamte, die einige dicke Fische aus dem trüben Teich der Steuerhinterziehung gefischt hatten, wurden von ihren Vorgesetzten zurückgepfiffen, von einem gekauften Gutachter für unzurechnungsfähig erklärt und vorzeitig (mit 40) in Pension geschickt. Hochrangige Politiker wie Gerhard Schröder oder Roland Koch bekommen nach ihrer Amtszeit fette Vorstandsposten bei Unternehmen, mit denen sie zuvor in ihrem Regierungsjob zu tun hatten. Im Unterschied zu den Beamten im Zarenreich erhalten sie vor und nach ihrer Amtszeit gerade deshalb stattliche staatliche Alimente, damit sie nicht in den Verdacht und die Versuchung der Bestechlichkeit geraten. Heute liegt Russland in der Auswertung von „Transparency International“ zur „wahrgenommenen Korruption im öffentlichen Sektor“ weltweit auf Platz 152 von 178, Deutschland auf Platz 15.
Man kommt also gleich ins Nachdenken bei Gogol, aber mit dieser Inszenierung hat das wenig zu tun. Für Regisseur Olaf Strieb ist Gogols Stück „eine perfekte Klaviatur, man muss sie nur spielen können“. Ob Strieb das gelungen ist, darüber scheiden sich die Geister. Wer einen lustig-unterhaltsamen Abend erwartet, kommt auf seine Kosten. Doch für die feinen Zwischentöne kommt das Ganze zu laut und schrill daher. Bühnenbildnerin Diana Pähler hat die kleine Welt der Provinz in Schräglage versetzt, das ist momentan offensichtlich im Trend, auch „Die Physiker“ und „Die Ermittlung“ spielen sich auf schrägem Boden ab. Kreativer ist da schon, die wechselnden Bühnenbilder in eine Art Drehbühne zu verfrachten, wo sie wie eine Puppenstube oder ein Kasperltheater daherkommen. Auf kleinstem Raum spielt sich aber manchmal so vieles gleichzeitig ab, dass die Darsteller gezwungen sind, sich gegenseitig die Schau zu stehlen. Augenzwinkernde Bezüge zur Gegenwart gibt es kaum (oder sie sind mir in dem Kuddelmuddel entgangen) – so wie der Stadthauptmann seine vermeintlich rosige Zukunft plant, wenn der vermeintliche Revisor sein Schwiegersohn ist: „Dann werde ich Berater, das kann jeder.“
Schauspielerisch gibt es hingegen wenig zu meckern, alle haben aus sich herausgeholt, was die Regie verlangte. Besonders überzeugten Matthias Reiter als Hochstapler wider Willen und Cino Djavid in verschiedenen Rollen – eine Sternstunde war, wie Letzterer am Ende, als alles auffliegt und nach dem Schuldigen gesucht wird, der den falschen Revisor ins Spiel gebracht hat, bildlich vom Sofa fließt – Stan Laurel wäre stolz auf ihn gewesen.
Weitere Termine im Stadttheater Wilhelmshaven: Mo., 14.02., 20.00 Uhr / Fr., 11.03., 20.00 Uhr
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