Bürgerarbeit
Feb 082011
 

Was ist daran neu?

Bei der ALI stellte Dorothee Jürgensen das Projekt „Bürgerarbeit“ vor

(noa) Das Jahr 2010 war das „Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“. Das Jahr 2010 stand in Deutschland jedoch für die 5-Euro-Erhöhung des Hartz IV-Satzes einerseits und der Fütterung der Banken andererseits.

Mit diesen bedenkenswerten Feststellungen eröffnete Günther Kraemmer die erste Monatsversammlung der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland dieses Jahres am 11. Januar. Übrigens ist 2011 das „Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit“, und dazu hat Bundespräsident Wulff in seiner Weihnachtsansprache ausgeführt, dass der Staat Geld geben kann, das aufmunternde Wort und das Schulterklopfen aber nur vom Mitmenschen geleistet werden kann. Einen anderen Blick auf die Freiwilligentätigkeit hat Prof. Christoph Butterwegge: Der Sozialstaat geht – die Ehrenamtlichkeit kommt.
In Wilhelmshaven aber kommt die Bürgerarbeit, und dazu hatte die ALI Dorothee Jürgensen vom DGB eingeladen, die bis Ende 2010 im Beirat des Job-Centers saß und durch diese Funktion mitbekommen hat, was es mit diesem Projekt, das ziemlich im Verborgenen abläuft, auf sich hat.

In vier Phasen soll die Bürgerarbeit ablaufen:
Nach der „Aktivierung und Standortbestimmung“, in der alle Erwerbslosen der beschriebenen Zielgruppe ein neues Profiling und eine neue Standortbestimmung erhalten sollen, um möglichst umgehend vermittelt werden zu können, kommen die „Vermittlungsaktivitäten“. Erwerbslose, die als „marktnah“ eingestuft werden, sollen direkt auf den 1. Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt vermittelt werden. Schon seit dem 1. November 2010 sind beim Job-Center zwei zusätzliche „Job-Coaches“ (befristet bis zum 31.12.2012) tätig, um die Vermittlungsquote zu erhöhen. Deren Gehälter  zahlt, nebenbei bemerkt, das Land Niedersachsen; von ihnen abgesehen soll das komplette Projekt mit dem Bestandspersonal passieren, also nichts kosten.
In der dritten Phase „Qualifizierung/Förderung“ erhalten Arbeitslose, die nicht unmittelbar vermittelt werden können, Qualifizierungsmaßnahmen, und außerdem können sämtliche den Integrationsfachkräften zur Verfügung stehende Maßnahmen zur Verbesserung der Integrationsfähigkeit dieser Personen genutzt werden.
Doros Fragen während ihrer letzten Zeit im Beirat danach, wo in diesen Festlegungen das Neue, das Andere liegt, sind offen geblieben – nichts von dem, was hier als „neu“ präsentiert wird, gab es vorher noch nicht.
In der vierten Phase findet dann die tatsächliche Bürgerarbeit statt. Von niedersachsenweit 12.488 Menschen, die „aktiviert“ werden sollen, werden am Ende tatsächlich ganze 2.772 einen Job bekommen – oder jedenfalls das, was man heutzutage so „Job“ nennt: Bürgerarbeit ist eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, allerdings ohne Arbeitslosenversicherung. Und das heißt: Wer damit durch ist, fällt in Hartz IV zurück, anders als damals, vor langer Zeit, als Menschen z.B. per Arbeitsbeschaffungsmaßnahme einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erwerben konnten.

Die Bürgerarbeit ist befristet, längstens bis zu drei Jahre kann jemand durch das Projekt in Lohn und Brot kommen.
Ansonsten ist es wie bei den Ein-Euro-Stellen: Die Arbeiten müssen im öffentlichen Interesse liegen und zusätzlich sein. Vom Gesetz her kommen als Arbeitgeber Gemeinden, Städte und Kreise sowie Wohlfahrtsverbände und Vereine in Betracht; in Wilhelmshaven jedoch sollen alle geplanten Bürgerarbeitsplätze – 100 sind  hier geplant – bei der Stadt angesiedelt sein. Und damit dürfte klar sein, dass die von OB Menzel in seiner Rede beim Neujahrsempfang des DGB getätigte Behauptung, Bürgerarbeit sei ein Weg in die Dauerbeschäftigung, nicht stimmt.
Das Land Niedersachsen fördert die Bürgerarbeit mit insgesamt 20 Millionen Euro, wovon auf Wilhelmshaven 655.000 Euro entfallen. Die Stadt Wilhelmshaven als Arbeitgeberin der geplanten 100 Menschen in Bürgerarbeit (zum Zeitpunkt der ALI-Versammlung waren davon erst zwischen 30 und 40 rekrutiert) will Tariflohn zahlen. Aus dem Landesgeld wird das Job-Center bei einer vollen Stelle (30 Stunden pro Woche) 1.080 Euro monatlich, bei einer Teilzeitstelle (20 Stunden-Woche) 720 Euro monatlich zahlen; die Stadt als Arbeitgeberin stockt ggf. auf Tariflohn auf.
Uwe Reese, SPD-Ratsherr, der gelegentlich die ALI-Versammlungen besucht, trug bei, dass Wilhelmshavens Sozialdezernent Jens Stoffers die 100 Bürgerarbeitsstellen unbedingt will, weil dann weniger Kosten der Unterkunft zu zahlen sind. Der Sozialhaushalt der Stadt würde entlastet; doch der Personalhaushalt würde bei jeder Stelle, bei der der Tariflohn über dem Betrag liegt, den das Job-Center beiträgt, entsprechend belastet. (Bei jeder Stelle, bei der das Landesgeld dem Tarif entspräche, blieben die Kosten beim Sozialhaushalt kleben, denn mit 1.080 bzw. 720 Euro Monatslohn kann jemand, der Angehörige mitversorgen muss, seine Miete bestimmt nicht selber voll zahlen.)
Bei den genannten Zielen der Bürgerarbeit in Wilhelmshaven gibt es auch nichts Neues, also nichts, was man bei anderen tollen neuen Projekten nicht auch schon anvisiert hat: Aktivierung vieler „Kunden“ des Job-Centers, Steigerung der Integrationsquoten durch zusätzliche Vermittlungsaktivitäten, zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen zur Verbesserung der Integrationsfähigkeit, Erwerbslose, die nicht mittelfristig integriert werden können, sollen perspektivisch (!) mit Hilfe der Bürgerarbeit einen Arbeitsplatz finden können. Angesichts dessen, dass die Stadt Wilhelmshaven sämtliche 100 Bürgerarbeitsstellen für sich beansprucht, ist nicht nur damit zu rechnen, sondern es besteht auch die Befürchtung, dass die BA-Stellen anstelle von regulären Arbeitsplätzen eingerichtet werden. Nichts Neues also.

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top