Weil nicht sein kann, was nicht sein darf!
Reaktionen der Wilhelmshavener Meinungsbildner auf „Monitor“
(noa) Zehn Tage lang – vom 17. bis 26. März – hatte die WZ ein brisantes Dauerthema: Gibt es eine Häufung von Geburten fehlgebildeter Kinder in Wilhelmshaven und Umgebung?
Ausgelöst worden war das Thema durch die Sendung „Monitor“ am Abend des 17. März. Die Stellen in Wilhelmshaven, die an einem solchen Thema interessiert sein sollten, hatten sich schon vor der Ausstrahlung der Sendung festgelegt: Unter der Überschrift „Keine Häufung von mißgebildeten Kindern in Wilhelmshaven“ widersprachen das Gesundheitsamt, die RNK-Kinderklinik und das Pressereferat der Stadt den Monitor-Recherchen; Wilhelmshavens Pressesprecher Konken sprach gar von einem „nicht zu verantwortenden Sensationsjournalismus“.
In der Monitor-Sendung am Abend des 17. März kam eine Mutter zu Wort, die in Jever, Wilhelmshaven und den umliegenden Dörfern „einige“ Kinder mit Fehlbildungen ähnlich der ihres eigenen Sohnes kennt; zwei weitere Kinder aus Wilhelmshaven, ebenfalls mit fehlgebildetem linken Arm, wurden vorgestellt. Insgesamt hatte Monitor sieben Fälle in Wilhelmshaven und zwei weitere in der Umgebung ermittelt.
Laut Statistischem Bundesamt tritt diese Behinderungsform bei einer von 10.000, nach Schätzungen von medizinischen Sachverständigen gar nur bei 0,4 von 10.000 Geburten auf. An letzterem Wert gemessen liegt die Mißbildungsrate in Wilhelmshaven 18 mal höher als zu erwarten, und die Frage, wodurch in unserer Gegend diese hohe Rate verursacht werden könnte, drängt sich auf. Den drei in der Monitor-Sendung befragten Müttern wurde von hiesigen Ärzten als mögliche Ursache eine Abschnürung durch die Nabelschnur genannt – eine Erklärung, die Prof. Ernst Marquardt, Experte für Fehlbildungen, der seinerzeit viele „Contergan-Kinder“ untersuchte und behandelte, als ein „Ammenmärchen“ bezeichnete.
Prof. Marquardt fand denn die Zahl der in Wilhelmshaven und Umgebung geborenen Kinder mit Armstumpf „alarmierend“ und bedauerte, daß man nicht feststellen kann, woran es liegt.
Eine diesbezügliche Vermutung äußerte in der Sendung der Umweltmediziner und Kinderarzt Dr. Stefan Böse-O’Reilly, der anführte, daß Fehlbildungen an den Extremitäten häufig auch bei Wasservögeln auftreten, die mit Selen und Cadmium belastet sind. Ob nun durch den Verzehr von Fisch, durchs Trinkwasser oder durch die Luft aufgenonunen – was Wasservögel schädigt, kann durchaus auch bei in Küstennähe lebenden Menschen die Ursache für Mißbildungen sein.
Tendenz und Anliegen der Fernsehsendung war, die Einrichtung eines Fehlbildungsregisters zu fordern und diese Forderung zu begründen. Erst nach genauer Registrierung aller Fälle kann man überhaupt feststellen, wo gegebenenfalls Häufungen bestimmter Mißbildungsformen auftreten. und gezielt Ursachenforschung betreiben.
Was dann in den nächsten Tagen durch die WZ ging, war ein nicht zu verantwortender Beschwichtigungsjournalismus:
Am 18. März hieß es auf Seite 1: „TV-Magazin ‚Monitor‘ blieb Beweise schuldig“ und auf Seite 3: „Ursachen für Fehlbildungen bleiben unklar“. Die Angabe von insgesamt 9 Fällen im hiesigen Raum wurde in diesen Artikeln unterschlagen.
Am 19. März trat dann zutage, warum man in Wilhelmshaven auf keinen Fall etwas von einem erhöhten Risiko wissen will. „Behinderungen: Es gibt keine Schwerpunkte“ lautete die Überschrift des Leitartikels, in dem es u.a. hieß: „Erste Auswirkungen des ‚Monitor‘-Berichts bekam gestern Kurdirektor Reinhard Thomssen (Wangerland) zu spüren, der auf der Campingmesse in Essen für Wilhelmshaven wirbt: Viele Messebesucher äußerten Sorge, ob sie noch an der Küste Urlaub machen könnten.“
Und auf Seite 3 setzte die WZ noch einen drauf: Ein Foto, das Mutter und Kind am Südstrand beim Blick auf das Wasser zeigt, umrahmt von einem Artikel, der nicht zur Überschrift „Schwerpunkt Küste bleibt unwahrscheinlich“ paßte – der einzige Bezug zum Titel war die Aussage eines betroffenen Vaters, der nicht daran glaubt, „daß die Fehlbildungen an Händen und Armen nur hier an der Küste auftreten“ (was auch niemand behauptet hatte). In diesem Artikel wurde wieder die eigentliche Sorge genannt: Die Stadt und eine Wirtschaftsvereinigung befürchten „nicht kalkulierbare Folgen für Stadt und Region“.
Man hatte in der Berichterstattung schon einige hier geborene betroffene Kinder unterschlagen – die verbliebenen drei hätten die zu erwartende Zahl aber dennoch überschritten. Um eine Häufung in unserer Gegend zu verschleiern, mußten woanders überdurchschnittlich viele Fälle her. Am 21 . März hieß es also: „Eltern melden neue Fälle von Mißbildungen“ – Gottseidank aber aus dem Harz und aus Osnabrück!
Am 22. März auf Seite 1 titelte die WZ folgerichtig: „Behörden und Mediziner: Keine Häufung von Fehlbildungen“. Das hatte am Vortag eine dpa-Umfrage bei Gesundheitsämtern und Krankenhäusern ergeben. So etwas ist nicht weiter verwunderlich – den Monitor-Journalisten war es im Rahmen ihrer Recherchen in Wilhelmshaven genauso gegangen: Beim ersten Anruf wußte man im RNK über keine einzige Fehlbildung; beim zweiten Anruf erinnerte man sich an einen Fall, nachdem der Journalist einen Namen genannt hatte, beim nächsten Anruf fragte der Journalist nach einem weiteren Kind, mit dessen Angehörigen er gesprochen hatte, und daraufhin erinnerte man sich auch an dieses.
Daß der am selben Tag auf Seite 5 veröffentlichte Artikel dem von Seite 1 z.T. widersprach – Barbara Schwarz berichtete über die Bekannten der Jeveranerin aus der Monitor-Sendung und gab damit die Häufung gewissermaßen nun doch zu – davon wurde abgelenkt, indem nun die Monitor-Forderung nach einem Zentralregister aufgegriffen wurde. Damit wäre der Zweck der Ausstrahlung der Monitor-Sendung erfüllt: „Wenn wir einen Stein ins Rollen gebracht haben, … dann gehen wir heute abend eigentlich ganz zufrieden hier aus diesem Studio“, hatte Klaus Bednarz zum Abschluß der „Nachgefragt“Sendung am 17. März gesagt.
Unser Oberstadtdirektor ist jedoch nicht zufrieden. Von Wilhelmshaven soll für die Öffentlichkeit jeder Makel genommen werden. Schreiber kritisierte laut WZ vom 24. März die Tatsache, daß die Expertenkommission, die am Vortag ihre Arbeit in Wilhelmshaven aufgenommen hatte, ihre Untersuchungen auf die Küstenregion beschränke, wo doch in Osnabrück auch Kinder mit derselben Behinderung leben. Ganz deutlich äußerte er, daß er „einfach die Befürchtung habe, daß nur an der Küste letztendlich etwas hängen bleibt.“
Um Letzteres nach Möglichkeit zu verhindern, erinnerte sich die WZ am 26. März schließlich daran, daß die Journalisten von Monitor angeblich sowieso immer viel Wind um nichts machen. Unter dem Titel „1984 bereits ‚ Monitor‘-Panik“ hieß es u.a.: „’Monitor“ hat vor zehn Jahren schon einmal einen angeblichen Umweltskandal angeprangert, einen Riesen Medienwirbel ausgelöst. Keine seiner Verdächtigungen ließ sich beweisen“. „Beweisen“ im Sinne eines genauen Nachweises, daß ein bestimmter Stoff beim Menschen eine bestimmte Wirkung auslöst, kann man so etwas nie. Die massiven Verdachtsgründe und Hinweise im Fall Boehringer vor zehn Jahren veranlaßten damals aber zum Glück die Behörden, nun das Werk zu schließen.
Bis zum 14. April, der nächsten Monitor-Sendung, meldeten sich zahlreiche Familien mit Kindern, bei denen ebenfalls ein Arm mißgebildet ist. Um die 150 Fälle dieser Behinderung sind mittlerweile bekannt. Sie verteilen sich aufs ganze Bundesgebiet; bei einem Fünftel davon handelt es sich allerdings um an der Küste geborene Kinder – immer noch eine besorgniserregende Häufung, und „Entwarnung“ ist keineswegs gegeben.
Das ficht die Gestalter „öffentlicher Meinung“ in Wilhelmshaven jedoch nicht an. Gleich am 15. April meldete sich Pressesprecher Konken wieder mit einer Zurückweisung der Monitor-Recherchen in der WZ zu Wort und leugnete sogar, was die WZ selber mittlerweile berichtet hatte, nämlich, daß es außer den drei in der ersten Monitor-Sendung vorgestellten noch mehr betroffene Kinder in der Umgebung gibt.
Und am 16. April meinte Wilhelmshavens „Stadtspitze: ‚Monitor‘ ist verantwortungslos“ und klagte über die „Diffamierung“ Konkens durch das Fernsehmagazin, das in seiner Sendung vom 14. April die Diffamierung der Mütter durch Konken referiert hatte.
Mit diesem Wort überschrieb der WZ-Chefredakteur Jürgen Westerhoff seinen Kommentar vom 19. März zur Monitor-Sendung über eine alarmierende Häufung von Fehlbildungen an der Nordseeküste. Er prangerte das Magazin an mit der Unterstellung, es sei dem WDR nur darum gegangen, „die Einschaltquoten in die Höhe zu treiben“, da es um die Sendung „etwas still geworden“ sei. Die Sendung sei „den Wahrheitsbeweis … schuldig geblieben. Dafür gab es aber viel Polemik und Spekulation“.
Wer die Sendung selber gesehen hat, weiß, daß es darin keine Polemik und Spekulation gegeben hat. Ob die genannten Zahlen als Wahrheitsbeweis gelten können, ist schwer zu beurteilen.
Ohne ein Fehlbildungsregister können Journalisten Informationen über Behinderungen nur erhalten, indem sie irgendwo zu fragen beginnen und dort, wo sie Antworten bekommen, weiter nachfragen. Auf diese Weise hatten die Monitor-Leute in Wilhelmshaven und der näheren Umgebung zunächst neun Kinder mit Fehlbildungen am Arm gefunden, in Bremen und Umgebung fünf, in Hamburg und Umgebung vier. Bei einer zu erwartenden Häufigkeit dieser Behinderungsform von 1:25.000 sind die Fälle in unserem Raum auffallend zahlreich.
Es wäre gut gewesen, wenn die Monitor-Journalisten sich auch auf den Bericht „Irgendwas aus der Umwelt“ im „Stern“ vom 10. März über eine Häufung genau derselben Behinderung in Großbritannien berufen hätten: Dort sind seit 1989 über 30 Säuglinge mit Mißbildungen an Armen bzw. Händen geboren wurden, und sie alle leben in Küstenorten. Vermutlich war es die „Stern“-Recherche, die die Monitor-Mitarbeiter dazu veranlaßt hat, an den deutschen Küsten nachzuforschen. Es ist gut, wenn Medien auf solche Häufungen aufmerksam machen und damit einen Beitrag leisten zur Einrichtung eines Zentralregisters.
Sollte sich dann herausstellen, daß es anderswo entsprechende Häufungen gibt, würde die Erforschung der Ursachen umso erfolgversprechender.
„Ekelhaft“ ist daran nichts. Schlimm ist jedoch die Informationspolitik in dieser Stadt. Sämtliche Stellungnahmen zu diesem Thema waren von dem Bemühen bestimmt, die von der Müllkippe Nordsee möglicherweise ausgehenden Gefahren für die Gesundheit zu leugnen, von der Angst, der Tourismus könnte Schaden leiden, von der Sorge, die Küstenregion könnte einen schlechten Ruf bekommen – um die behinderten Kinder ging es dabei in keinem Fall.
Da wird lieber den Müttern ein schlechtes Gewissen gemacht: In „fortgeschrittenem Alter“ (22 Jahre z.B.!) und dazu noch mit genetischem Defekt (vor der nächsten Schwangerschaft vorsichtshalber gesucht und nicht festgestellt!) ein Kind bekommen, womöglich während der Schwangerschaft geraucht und getrunken (so der Leserbrief einer Arzthelferin) – Umweltursachen kommen hier nicht in Frage, und wer den Verdacht äußert, wird schon vor einer Überprüfung zehn Tage lang in Folge an den Pranger gestellt. Das ist ekelhaft!
Anette Nowak
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