„Leitende“ und „leidende“ Angestellte
Bei Sykes in Roffhausen gibt es von beiden Sorten jede Menge
(noa) Der Betriebsrat bei Sykes Classic im TCN in Roffhausen, letztes Jahr Ende Oktober gewählt, sitzt wacklig: Schon bald nach dem Amtsantritt wurde die Wahl angefochten.
Genau genommen fing der Ärger sogar schon am Tag vor der Wahl an. Eine Mitarbeiterin aus dem „Recruitment“ (zuständig für Einstellungen) hatte sich vor dem Wilhelmshavener Arbeitsgericht dagegen gewehrt, dass sie nicht auf der Wählerliste stand. Der Wahlvorstand hatte ihr das Wahlrecht verweigert, da sie leitende Angestellte ist. In der Gerichtsverhandlung ließ sich der Wahlvorstand darauf ein, sie auf die Wählerliste zu setzen, um die Wahl am nächsten Tag nicht zu gefährden. Während der Verhandlung setzte ihr Anwalt nach: Seine Mandantin wolle nicht nur das aktive, sondern auch das passive Wahlrecht ausüben. So weit kam es dann jedoch nicht.
Außer der Klägerin in diesem Eilverfahren waren 19 weitere leitende Angestellte nicht zur Stimmabgabe zugelassen worden. Zwei von ihnen und drei weitere Beschäftigte strengten dann bald nach der Wahl ein weiteres Verfahren an. Die Wahl sei ungültig, so ihre Argumentation, da ihr Ausschluss von der Wahl unrechtmäßig gewesen sei, denn sie seien keine leitenden Angestellten. Außerdem seien die Briefwahlunterlagen von zwei Wählern nicht berücksichtigt worden (diese beiden Stimmen waren dem Wahlvorstand nicht ausgehändigt worden, konnten also nicht gezählt werden). 21 Stimmen waren also aus dem einen oder anderen Grund nicht berücksichtigt worden.
Zur Wahl hatten zwei Listen gestanden: Die Liste „Eine/r von Euch“ bekam genau 20 Stimmen mehr als die Liste „Deine Stimme“. Wären die 21 ausgeschlossenen bzw. nicht gezählten Stimmen alle für „Deine Stimme“ abgegeben worden, wäre die Wahl anders ausgegangen. Nicht viel anders: Es wäre ein Kandidat der einen Liste mehr und einer der anderen Liste weniger in den Betriebsrat gekommen, und das hätte an der Arbeit des Betriebsrates nichts geändert, da die Listen keine unterschiedlichen Gruppierungen vertreten, sondern sich in ihren Zielen einig sind. Aber zur Begründung einer Wahlanfechtung reicht das.
Die 19 nicht zur Wahl zugelassenen Beschäftigten haben im Betrieb herausragende Positionen mit weitreichenden Kompetenzen. Wenn eine/einer von ihnen die Entlassung eines „Call-Center-Agent“ wünscht, dann wird der „Agent“ auch entlassen. Nur unterschreiben darf derjenige die Entlassung nicht. Dem Arbeitsgericht oblag nun die schwierige Aufgabe, zu entscheiden, ob so jemand als leitender Angestellter zu gelten hat oder nicht. Die Kläger (deren Anwaltskosten übrigens von Sykes getragen werden!) führten ins Feld, dass die bewussten 19 MitarbeiterInnen nicht entlassen, nicht einstellen und nicht abmahnen dürfen, also keine leitenden Angestellten im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes sind.
Die Geschäftsführerin in Roffhausen, Corinna Janssen, hat seinerzeit nicht darauf bestanden, wählen zu dürfen; sie sieht sich als leitende Angestellte, aber auch sie unterschreibt so manches nicht, was in anderen Betrieben die leitenden Angestellten unterschreiben dürften, sondern muss das den ihr Vorgesetzten überlassen, die nicht in Roffhausen, sondern in Rotterdam sitzen. Für den Richter am Wilhelmshavener Arbeitsgericht war dies allerdings nicht ausreichend als Begründung für den Ausschluss der 19 vom Wahlrecht. Er erklärte die Wahl im Sommer für ungültig.
Eine Zeit ohne Betriebsrat wollte die Mehrheit der Beschäftigten jedoch nicht. Eine schriftlichen Umfrage, in der sie entscheiden konnten, ob eine Neuwahl stattfinden soll oder ob der Betriebsrat im Amt bleiben und seine Legitimation vor dem Landesarbeitsgericht erstreiten soll, ging zu Gunsten letzterer Möglichkeit aus, und bis zum 20. Januar, dem Termin in Hannover, arbeitet der Betriebsrat weiter.
Augenblicklich drohen Entlassungen. Der größte Kunde, Hewlett Packard, hat Sykes einen Auftrag entzogen. Die Qualität war zu schlecht. 140 Stellen sind davon betroffen, etwa 60 weitere in anderen Projekten ebenfalls. Das Projekt Karstadt/Hertie ist schon weg, die Aufträge von Xerox und von Toshiba sind reduziert worden, Microsoft hat zu Ende Februar 2003 gekündigt. Und es ist noch nicht entschieden, ob dieser Abbau im Rahmen der üblichen Fluktuation (die im Bereich der Call-Centers immens hoch ist) oder per „Freisetzungen“ stattfinden wird.
Ein neuer Auftrag von Siemens kompensiert mangels Masse den Einbruch im HP-Projekt jedenfalls bei weitem nicht. Außerdem ist dieser Auftrag auf Verlangen von Siemens mit einem rechtlichen Problem behaftet. Der Auftraggeber wünscht „silent monitoring“: Die Telefonate können ohne Wissen der Call Center Agents mitgehört werden. So etwas ist verboten, wenn die Menschen, die im Call Center anrufen, nicht ausdrücklich zu Beginn des Telefonats darauf hingewiesen werden. Der Betriebsrat sitzt in solchen Fragen in der Klemme: Soll er es genehmigen oder den Auftrag gefährden?
Einem noch viel ausgefeilteren Überwachungssystem namens „Symposium“ hat der Sykes-Betriebsrat für die Pilotphase erst einmal zugestimmt: Mit diesem Programm kann nach Berichten von Beschäftigten anderer Call-Centers genau festgehalten werden, welche Pausen die Beschäftigten wann machen. Ob sie zum Klo gehen, etwas nacharbeiten oder eine richtige Erholungspause machen, wird bemerkt und in Excel-Tabellen festgehalten; haben sie zu viel Zeit mit Nacharbeiten „vertrödelt“, wird ihnen das im wöchentlichen „PEP-Gespräch“ vorgehalten.
Der Druck auf die Beschäftigten im Call-Center ist enorm, und entsprechend groß ist der Krankenstand. Für den Betriebsrat ist an allen Ecken und Enden zu tun. Bis zum Urteil aus Hannover hat er allerdings zusätzlich selber Druck.
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