Befreiung
Okt 211998
 

Droga do Wilhelmshaven

Geschichte aus erster Hand: Polnische und deutsche Veteranen erinnern sich im Gewerkschaftshaus

(hk) Am 6. Mai 1945 wurden Wilhelmshaven und Jever von Einheiten der 1. Polnischen Panzerdivision befreit. Allerdings – und hier tauchen die Schwierigkeiten schon auf – fühlten sich wohl nur die Opfer des NS-Regimes „befreit“. Für die Mehrheit war es „Besetzung“. Mehr als 53 Jahre danach ist das Kriegsende – endlich ein neutraler Begriff – Thema einer öffentlichen Veranstaltung in Wilhelmshaven, bei der die Gegner von damals an einem Tisch sitzen.

Am Mittwoch, dem 28.Oktober 1998, erinnern sich ab 20 Uhr im Gewerkschaftshaus (Kieler Straße) polnische und deutsche Weltkriegsteilnehmer an eine Zeit, die in Sonntagsreden gerne als „schwierig“ bezeichnet wird, in Wirklichkeit aber nichts weiter war als der Rattenschwanz von 12 Jahren selbstverschuldeter NS-Diktatur.

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6. Mai 1945: Polnischer Panzer am Ortseingang Wilhelmshaven. Foto: Privat

Anlass der einzigartigen Veranstaltung ist der Besuch einer Delegation von Veteranen der 1. Polnischen Panzerdivision in Wilhelmshaven und Jever. Es handelt sich um den ersten Besuch dieser Art in Deutschland überhaupt. Er besitzt wegen der Ausschreitungen der Wehrmacht und der SS in Polen, der Ermordung von 3 Millionen polnischer Juden, der nach wie vor gegen die Polen bestehenden Vorurteile und der künftigen NATO-Mitgliedschaft unseres östlichen Nachbarn ganz besondere Brisanz und Aktualität.

Der Abend wird eröffnet durch Grußworte von Manfred Klöpper (DGB, Antifaschistisches Bündnis Wilhelmshaven) und Czeslaw Czubaj (Veteranenorganisation „Beskidzkie“, Jaworze, Polen). Der Historiker Hartmut Peters gibt anschließend eine Einführung in die Geschichte der 1. Polnischen Panzerdivision und die Umstände des Kriegsendes 1945 in unserer Region. In diesem Zusammenhang wird der 1945 entstandene Dokumentarkurzfilm „Droga do Wilhelmshaven“ („Auf dem Weg nach Wilhelmshaven“), der Sequenzen über die zerstörte Stadt enthält, in deutscher Übersetzung gezeigt. Erinnerungsberichte polnischer und deutscher Weltkriegsteilnehmer schließen sich an. Der ehemalige Oberleutnant Helmut Popken, dessen Kompanie zwei Tage vor Kriegsende von Jever aus gegen die Polen ausrückte, hat sein Kommen zugesagt. Abschließend soll eine Diskussion bzw. ein Gespräch mit dem Publikum stattfinden. Es ist zu hoffen, dass zahlreiche Bürger und Bürgerinnen die Chance nutzen werden, Geschichte „aus erster Hand“ zu erfahren. Ein Dolmetscher steht zur Verfügung.

Die polnische Delegation wird vom Weltkriegsteilnehmer Czeslaw Czubaj (Jaworze, Polen) geleitet und vor Ort vom Antifaschistischen Bündnis Wilhelmshaven betreut. Der Kontakt war 1995 zustande gekommen, als Heiko M. Pannbacker und Hartmut Peters im Auftrag des Antifaschistischen Bündnisses in Polen und England Zeitzeugen für ein Filmprojekt über das Kriegsende in Wilhelmshaven interviewten.

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Übergabe der Stadt Wilhelmshaven an die 1. Polnische Panzerdivision am 6. Mai 1945 auf der Kreuzung Café Hillmers. Rechts ist die Neuender Apotheke zu erkennen. Foto: The Polish Institute, London

Auf dem Programm der Polen stehen neben der öffentlichen Veranstaltung Empfänge in den Rathäusern von Jever und Wilhelmshaven, der Besuch des Marinestützpunkts, Kranzniederlegungen und eine Fahrt an die Nordseeküste.Die 1. Polnische Panzerdivision wurde in Schottland aus Soldaten zusammengestellt, die sich nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen 1939 über Osteuropa nach Frankreich durchgeschlagen hatten, dort 1940, nach dem deutschen Überfall auf Frankreich, erneut kämpften und nach der Niederlage Frankreichs ins englische Exil gingen. Die von dem legendären Panzergeneral Stanislaw Maczek befehligte Division unterstand formal der polnischen Exilregierung in London, praktisch aber dem militärischen Oberkommando der Alliierten. Nach ihrer Landung in der Normandie im Juni 1944 spielte die Division eine entscheidende Rolle in der Schlacht von Falaise und befreite in der Folge zahlreiche französische, belgische und niederländische Städte. Dort erinnern zahlreiche Straßennamen und Ehrenmale an die Division, die von alliierten Militärhistorikern in puncto Einsatzbereitschaft und Schnelligkeit als Eliteeinheit bewertet wird und die überdurchschnittliche Verluste hinnehmen musste. Nach Erreichen des Reichsgebiets bekamen die Polen den Auftrag, zusammen mit kanadischen Einheiten die zur „Festung“ erklärte Marinestadt Wilhelmshaven einzunehmen. Zum Zeitpunkt des Waffenstillstands an der Nord-West-Front, dem 5. Mai 1945, waren die Gefechtspitzen nur noch 20km von WHV entfernt. Am 6. Mai 1945 erfolgte die Übergabe Wilhelmshavens an eine polnische Gruppe unter Oberst Grudzinski.
Diesen historischen Weg von der Normandie bis Wilhelmshaven fahren die Weltkriegsveteranen nach und besuchen unterwegs die Gräber der gefallenen Kameraden. Ursprünglich war die Gedenkfahrt bereits für den Mai 1997 geplant, doch spendete die Gruppe das Geld für die Opfer der Flutkatastrophe an der Oder. Dass die Fahrt jetzt überhaupt zustande kommt, ist Spenden aus unserer Region zu verdanken.

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