Beachtliche Entwicklung
Seit fünf Jahren besteht die „Wilhelmshavener Tafel e.V.“
(noa) Was ist das für ein Menschenauflauf im Textilhof, immer am Dienstag ab 10 und am Freitag ab 14 Uhr? Gibt es da etwas umsonst? – Ja, tatsächlich. In der Ulmenstraße 61 befindet sich die Ausgabestelle der „Wilhelmshavener Tafel e.V.“, die sich der „Umverteilung“ (so überschrieben wir einmal einen Artikel über die damals eben gegründete „Tafel“) verschrieben hat.
Im Frühjahr dieses Jahres schafften die alten Vorstandsmitglieder es nicht mehr. Fast fünf Jahre lang hatten sie neben ihren sonstigen täglichen Pflichten die „Tafel“ auf- und immer weiter ausgebaut. Nun traten sie nacheinander zurück. Henry Pries, Pensionär seit 1998, hatte sich den Verein mal nach einer Notiz in der Zeitung aus Neugierde angeschaut und wenige Tage später schon einen Schlüssel bekommen. Als jetzt im April Herr Frerichs, Mitbegründer des Vereins und zu diesem Zeitpunkt Schatzmeister, bat, von seinem Amt entbunden zu werden, bestimmte eine außerordentliche Mitgliederversammlung Herrn Pries und Enno Tammling aus der Sektion Jever zu einer Art Notvorstand.
Sektion Jever? – Ja, seit der Gründung hat die „Tafel“ sich kräftig vergrößert. Neben dem Wilhelmshavener „Mutterhaus“ existieren Sektionen in Jever, Wittmund, Friedeburg, Esens und Schortens. An jedem Ort gibt es eine acht bis zehn Personen starke Stamm-Mannschaft, die den Betrieb aufrechterhält. Der „Betrieb“ besteht darin, Lebensmittel, die noch gut, aber in Läden nicht mehr verkäuflich sind, Leuten zu geben, die sie brauchen.
Und das heißt: Täglich fahren zwei Lieferwagen zu den Lebensmittelmärkten Plus, Extra, Marktkauf, Combi, MIOS, Lidl und Neukauf, zu den Bäckereien Siemens und Rohlfs, zur Fleischerei Bruns in Steinhausen und zu Royal Greenland, um Ware abzuholen, die kurz vor Ablauf des Mindest-Haltbarkeitsdatums steht und deswegen nicht mehr verkäuflich ist. Sachen, denen man auf den ersten Blick ansieht, dass sie nicht mehr genießbar sind (schimmelndes Obst, kaputte Sahnepäckchen u.ä.) nehmen sie gar nicht erst mit – auch Bedürftige sollen nicht erst am Joghurt riechen müssen, um zu entscheiden, ob sie es riskieren wollen, ihn zu essen. Im Vereinssitz am Textilhof wird die Ware gründlich sortiert und sachgerecht gelagert. Kühl- und Tiefkühlschränke sind vorhanden.
Dienstags und freitags ist Ausgabe in Wilhelmshaven. Wenn man den Ausgaberaum betritt, hat man den Eindruck, in einem gut sortierten größeren Tante-Emma-Laden zu sein. Nur die Registrierkasse fehlt. Aber frisches Obst und Gemüse, Milch und Milchprodukte, Konserven, Brot, Brötchen, Kuchen, auch Drogerieartikel (hier arbeitet die „Tafel“ mit der Firma Rossmann zusammen) sind ordentlich aufgebaut.
Der Unterschied zum Dorfladen: Hier steht eine lange Schlange von Menschen. Ca. 120 Personen kommen pro Ausgabetag; damit sie sich nicht alle gleichzeitig drängen müssen, hat man sich ein raffiniertes System ausgedacht, das es den Leuten ermöglicht, mal gleich um 10, das nächstemal erst um 11 oder später zu kommen und trotzdem sicher sein zu können, dass es noch etwas gibt.
„Kämen alle unsere Abnehmer an jedem Ausgabetag, wäre es nicht zu schaffen, und es wäre auch nicht genug da“, erklärt Henry Pries. 300 sind es etwa, die einen Berechtigungsausweis der „Tafel“ haben; mit Familienangehörigen sind es etwa 500 Personen in Wilhelmshaven, die ihren üblichen Speisezettel regelmäßig oder gelegentlich aus dem Angebot der „Tafel“ anreichern.
Eine Grundversorgung bietet der Verein nämlich nicht. Die sollte durch Sozialhilfe, Arbeitslosengeld oder –hilfe oder die Rente gewährleistet sein. Der Bescheid über eine dieser Leistungen dient als Nachweis der Bedürftigkeit und ermöglicht es einem Menschen, sich bei der „Tafel“ zusätzliche Sachen abzuholen, die er sich von seinem eigenen Einkommen nicht so ohne weiteres leisten könnte.
So gab es neulich eine schöne Überraschung: Unmengen Packungen von Ferreros „Besten“ waren offensichtlich der diesjährigen Werbekampagne zum Opfer gefallen. Erinnern Sie sich noch an den jungen Mann im Werbefernsehen, der pünktlich Anfang September verkündete, nun sei es kühl genug für Mon Cherie – und dann dauerte und dauerte der Sommer aber eisern weiter an? Der zusätzliche Schnack nach einigen heißen Septembertagen, dass man die Leckereien ja auch in den Kühlschrank stellen könne, kam wohl zu spät – sehr zum Segen der „Tafel“, die ihren Besuchern nun mal ausnahmsweise ein besonderes Leckerli in die Tüte packen konnte.
Die Menschen, die sich bei der „Tafel“ etwas abholen, sind sich durchaus bewusst, dass es sich um etwas Zusätzliches und insofern um etwas Besonderes handelt. Bis auf eine einzige Frau waren alle einverstanden, eine Kleinigkeit zu bezahlen. Seit August spenden die „Kunden“ einen kleinen Betrag, wenn sie etwas holen. Sie haben auch dankbar bemerkt, dass schon kurz nach Einführung ihrer Spende ein Unterstand als Wetterschutz vor dem Eingang angebracht wurde.
An den Wochentagen, an denen im Textilhof keine Ausgabe stattfindet, fahren die Lieferwagen andere Touren. Im Flüchtlingswohnheim, im Café Regenbogen, beim Wendepunkt, im Jugendtreff Point, beim Kindergarten Schlosserstraße und im Frauenhaus gibt es auch immer Bedarf an ein paar Weintrauben oder einem Stück Rosinenstuten.
Beachtlich, was aus der Gruppe, die sich im September 1998 zusammengetan hat, inzwischen geworden ist! Wir schrieben im Januar 1999: „Es geht um eine zusätzliche Ernährung; bestimmt gönnen sich die Familien mancher Arbeitsloser nur sehr ausnahmsweise mal einen teuren Fruchtquark. Diese Familien können im Moment vom Angebot der ‚Tafel’ noch nicht profitieren. Es fehlt eine eigene Abgabestelle.“ Seit Anfang 2000 ist die nach einem Provisorium zwischendurch nun im Textilhof vorhanden; die „Tafel“ ist Mieter des Vereins BeKA e.V. und verfügt über etwa 100 m2 Laden-, Lager- und Bürofläche.
Was das Büro angeht, da hat Herr Pries für frischen Wind gesorgt. Erledigte Herr Frerichs noch alles Schriftliche nebenbei, so steht hier jetzt ein Computer! Und er wird sachgerecht bedient von einer bezahlten Arbeitskraft! Es handelt sich um eine Dame, die eine Stelle über die GAQ besetzt und 30 Stunden in der Woche für die „Tafel“ die Büroarbeit leistet. Ebenfalls über die GAQ arbeitet ein Fahrer hier und fährt einen den beiden Lieferwagen, deren Anschaffung durch Spenden ermöglicht wurde.
Zwischen den „Tafeln“ verschiedener Städte besteht reger Austausch, und so kommt die Wilhelmshavener Tafel gelegentlich auch mal an Waren von Firmen, die nicht direkt zu ihren „Geschäftspartnern“ zählen. Wenn z.B. die Firma Meica in Edewecht sich mit dem Wetter versehen hat und Abertausende Grillwürstchen nicht mehr loswird, dann können Wilhelmshavener Bedürftige sich auf Grund des „Tafel“-Netzwerkes ein solches Würstchen bei Regenwetter in der Pfanne braten. Und im Güterverteilzentrum in Bremen kann man gelegentlich haufenweise aussortierte Konserven kriegen, deren einziges „Manko“ darin besteht, dass das Etikett eingerissen oder die Dose etwas angeditscht ist.
Was künftig aus den GAQ-Stellen wird, steht im Moment noch in den Sternen. Dass die konkreten Personen, die gegenwärtig diese beiden Stellen besetzen, nur befristet da sind, ist sowieso klar, aber wird es nach dem 1. Januar 2005, dem Datum des Inkrafttretens von Hartz IV, weiterhin solche Stellen geben?
Die Arbeits-Agentur ist schon an die „Tafel“ herangetreten mit der Frage, ob man 1-Euro-Jobs anbieten wolle. Dazu will die „Tafel“ sich erst mal schlau machen, so dass wir darüber hier noch nichts berichten können.
Und wird es ab Januar einen stark vergrößerten Zulauf an Abnehmern geben, wenn zahlreiche Menschen durch Alg II weniger Geld als bisher haben? Vielleicht werden auch einige bisherige Abnehmer entfallen, denn dem Vernehmen nach soll es ja auch Fälle geben, in denen jemandes Einkommen durch Hartz IV besser wird. Wird sich das ausgleichen, oder wird die „Tafel“ am Ende gar einem steigenden Bedarf nicht gerecht werden können?
So oder so ist die „Wilhelmshavener Tafel e.V.“ immer dankbar über Spenden!
Wilhelmshavener Tafel e.V.
Ulmenstraße 61
26384 Wilhelmshaven
Telefon/Fax: 04421-699126
www.tafel-whv.de E-Mail: infotafelwhv@aol.com
Bankverbindung: Sparkasse Wilhelmshaven (BLZ 282 501 10)
Konto Nr. 32 90 80 30
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