Offenbarung
Der Erhalt der Südzentrale ist auch wirtschaftlich sinnvoll
(iz) „Südzentrale oder Hafenwirtschaft“, argumentieren Politik und Wirtschaft, die das historische Marinekraftwerk abreißen wollen. „Südzentrale UND Hafenwirtschaft“, halten Architekten und Denkmalschützer dagegen und haben dafür überzeugende Konzepte, die sie Anfang Oktober zur Diskussion stellten.
Das Fachkolloquium wie die anschließende öffentliche Präsentation stießen auf großes Interesse. Vergeblich suchte man im gut gefüllten Vortragsraum des Wattenmeerhauses jedoch jene, die seit Jahren Stimmung für den Abriss des Industriedenkmals machen und dabei, namentlich der Allgemeine Wirtschaftsverband, auch polemische Äußerungen gegen die Denkmalschützer nicht scheuen (s. Gegenwind 202). Kein Menzel, keine Vertreterin, kein Verwaltungsmensch. Nur drei Ratsherren interessierten sich für bauliche und wirtschaftliche Perspektiven der Südzentrale: Dr. Michael von Teichman (FDP), Bernhard Rech und August Desenz (beide CDU). Allerdings war keiner von ihnen offiziell als Vertreter der Stadt entsandt. Rech hätte es begrüßt, wenn ein Vertreter der Bauverwaltung teilgenommen hätte. Der Wilhelmshavener Marinemaler Schrader wurde noch deutlicher: „Die Nichtteilnahme der Politik an dieser wertvollen Veranstaltung ist ein Ausdruck der Ignoranz!“ Mit solidarischen Wünschen überreichte er Frau Janssen vom „Forum Wilhelmshaven: Erhaltet die Südzentrale“ eine von ihm angefertigte Farbzeichnung des Industriedenkmals.
Die verschiedenen Erhaltungskonzepte hatten drei Architektengruppen auf Einladung des Forums kurz zuvor im Rahmen eines Wochenend-Workshops entwickelt und dabei die verfügbare Fläche zwischen Denkmalserhalt und Hafennutzung unterschiedlich aufgeteilt. Die Planungen wurden mit einer Ausstellung und Modellen anschaulich dokumentiert.
erläuterte der in Wilhelmshaven gebürtige und in Oldenburg ansässige Architekt Delor:
• Schließen zerstörter Dach- und Fensterflächen
• Verkehrssicherheit herstellen
• Öffnung für Besucher
• Nutzung als Forum für die Wirtschaft
• Kostenrahmen: unter 1 Mio Euro (wie Abriss)
• den Bontekai als Seepromenade nach Nordosten verlängern
• Außenstandort des Marinemuseums einbinden
• ‚Gnadenbrot“ für ein ausgemustertes Schiff (Präsentation), z. B. die „Wilhelmshaven“
Delor: „Es würde weh tun, die Halle mit dem beinahe sakralen Maschinenraum zu zerstören.“
stellte die ebenfalls hier geborene und in Braunschweig tätige Architektin Borowski vor. Es berücksichtigt Planungen zur Verlagerung der am Nordwestkai angesiedelten Hafenwirtschaft zum JadeWeserPort.
• Abriss der Schaltzentrale („verbasteltes“ Nebengebäude)
• “verwunschenen“ Charakter erhalten durch teilweisen Erhalt der umgebenden Botanik
• neuer Zugang über einen gläsernen Riegel
• hochgelegter Steg („Nadel“) macht Kesselhaus begehbar
• Containerlager im unteren Geschossteil
• „Piazza Maritima“ zwischen Gebäude und Hafen
• Barkassenverkehr zum Marinemuseum als touristische Attraktion
Borowski: „Die Südzentrale kann nicht von Null auf Hundert in ein Juwel verwandelt werden“, aber durch die „friedliche Ko-Existenz“ mit der Hafenwirtschaft erhalte sie „eine neue Legitimation“.
Architekt Tjarks, in Sanderbusch geboren und auch in Braunschweig ansässig, erläuterte das dritte Konzept. Dies basiert noch stärker auf den Chancen, die sich durch eine Auslagerung der Hafentätigkeit Richtung Norden ergeben.
• Verlängerung der Rheinstraße und Ausweitung der vorhandenen Wohnquartiere nach Osten bis ans Wasser
• auch gewerbliche Nutzung der in West-Ost-Richtung langgestreckten Bebauungsriegel möglich
• im Kesselhaus der Südzentrale flexibles Boxensytem, ggf. später feste Einbauten
• Turbinenhalle bleibt zumindest teilweise frei von Einbauten
• die Südzentrale rückt von der Randlage ins Zentrum des Wohn- / Gewerbegebietes
• die Südstadt wird sinnfällig mit dem Wasser verbunden.
Martin Thumm, Professor für Denkmalpflege und Architekturgeschichte an der Fachhochschule Hildesheim, moderierte die anschließende Diskussion.
Thumm erklärte den Begriff einer neuen „Verortung“ der Städte: Was immer erbaut oder abgerissen wird, man muss im Auge behalten, welche Bedeutung es für die Wahrnehmung und die Identität der Stadt von innen und von außen besitzt: „Was ist dran an dieser ‚Bruchbude’?“ Ehemalige Marineangehörige erzählten, dass die Südzentrale früher „das Tor zur Stadt“ war für jeden, der Wilhelmshaven auf dem Wasser erreichte, ein „Fixpunkt“ für Matrosen aus Deutschland und aller Welt.
Für Borowski ist es grundsätzlich das „Drama junger Städte“ wie Wilhelmshaven, dass historische Potenziale nicht erkannt werden. Der Wilhelmshavener Historiker Beckershaus vermisst einen Stadtentwicklungsplan, der die Wirkung historischer Ensembles berücksichtigt. Delor warnte davor, die Südzentrale für eine voraussichtlich befristete Hafennutzung abzureißen: „Die nächste Generation sollte eine Chance erhalten, sich mit dem Gebäude auseinanderzusetzen.“ Frau Janssen machte deutlich, dass der Kaiser das Bauwerk absichtlich in zentraler Position neben der K-W-Brücke erbauen ließ. Das Baudenkmal im Ensemble mit der Brücke steht nach ihrer Auffassung „fast im Rang eines Weltkulturerbes.“ Auch wirtschaftliche Erwägungen sprechen für den Erhalt: Schon mit weniger als 1 Mio Euro Investitionen steht ein unbezahlbares nutzbares Bauvolumen zur Verfügung.
Von innen ist sie eine Offenbarung.
Bernhard Rech, Ratsmitglied, Bauexperte
Praxisbeispiele
Thumm berichtete über einen alten Kornspeicher in Würzburg, der auf städtische Initiative hin restauriert wurde und weltweit das Interesse von Architekten weckte. Ein Bremer hat ein „völlig kaputtes Gebäude“ mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz saniert, die einspringt, wenn unmittelbare Abrissgefahr droht. Er riet den Anwesenden, in Wilhelmshaven ein Ortskuratorium dieser Stiftung zu gründen. In Bremen befindet sich auch der ehemalige U-Boot-Bunker Valentin. Er wurde begehbar hergerichtet, und seit 5 Jahren läuft dort ein ausverkauftes Theaterstück (Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“).
Die Architektin Iwersen (ehemals MdB) konnte bestätigen, dass die Akzeptanz für ein äußerlich verwahrlostes Baudenkmal steigt, wenn es öffentlich zugänglich ist. Iwersen hat den kleinen Wasserturm an der Gökerstraße unter ihr Fittiche genommen. Als sie die Öffentlichkeit zur Besichtigung einlud, kam großes Interesse auf: „Es hätte einen wesentlichen Effekt, wenn die Leute auch mal in die Südzentrale dürften.“ Mit Bauhelm wäre das auf eigene Gefahr auch vor der Teilsanierung möglich.
CDU-Ratsmitglied und Baufachmann Rech pflichtete Iwersen bei: „Von außen ist die Südzentrale ein ‚Schandfleck’, von innen ist sie eine Offenbarung.“ Er glaubt daran, dass man Investoren finden kann: „Lasst uns mutig sein!“ Sein Parteikollege August Desenz, der seit Jahren mit der Drehorgel Geld für unterstützenswerte Projekte sammelt, äußerte Ungeduld: Die einzige Möglichkeit, im Rathaus Gehör für den Denkmalschutz zu finden, sei, „mit dem Panzer dort vorzufahren.“ Auch der Wilhelmshavener Architekt Griesemann glaubt an Investoren. „Die anwesenden Architekten sind die ersten, die hier kostenlos Arbeit investiert haben“ – wie auch Prof. Thumm ohne Honorar seinen Beitrag zu Erhalt der Südzentrale leistet.
Weil Anfang September bereits zwei Nebengebäude abgerissen wurden, sorgten sich die Diskussionsteilnehmer über die nahe Zukunft der Südzentrale. Es ist schwer, an die Eigentümer heranzukommen. Ein Journalist konnte jedoch in Erfahrung bringen, dass es vorm Winter keinen Abriss geben wird.
Unterdessen hat das Forum sein Anliegen auf der „Nostalga“ (Weser-Ems-Halle, Oldenburg) an einem gemeinsamen Infostand mit der Oldenburgischen Landschaft präsentiert.
Prof. Thumm wird dem Forum weiterhin zur Seite stehen und auch erneut nach Wilhelmshaven kommen, um ein Gespräch mit der gesamten Hafenwirtschaft zu führen. Er empfahl, den Pfad zur Stiftung Denkmalschutz weiter zu verfolgen.
Das Forum konnte mittlerweile Gespräche mit Politik, Hafenwirtschaft und Eigentümern verabreden (die noch nicht stattgefunden haben). Auch in den Ratsfraktionen soll sich etwas bewegen. Wir berichten in der nächsten Ausgabe über aktuelle Entwicklungen zur Zukunft der Südzentrale.
Die Verräumlichung des Kollektiven Gedächtnisses
von Prof. Martin Thumm
„In Anlehnung an Sigmund Freud komme ich gern auf den Begriff der ’Verräumlichung des kollektiven Gedächtnisses’ zurück, den er für die Architektur, mit der wir in unseren Städten und an jedem anderen Ort konfrontiert werden, geprägt hat. Es ist – denke ich – der brauchbarste Begriff, der je für alles Gebaute, für die Summe alles Gebauten, erfunden wurde.
Beschädigungen dieser ’Verräumlichung’, also Verletzungen dieses kollektiven Gedächtnisses und die Folgen, werden immer erst dann besonders deutlich, wenn Teile dieses Gedächtnisses verloren gehen, wenn Kulturdenkmale, der englische Begriff der ’Landmarks’ wäre viel besser, wenn also die ’Markierungen’ als die Orientierungs- und Leuchtmarken, als die identitätsstiftenden ’Markierungen’ der Gesellschaft wie des Einzelnen, schlicht unseres Lebens, wenn diese Markierungen einfach so verschwinden. Wir merken die Dimension des Verlustes erst, wenn er eingetreten ist. Wie heißt es doch so schön: Man bemerkt das Glück erst, wenn es sich mit großem Getöse verabschiedet.
Was hinter dieser ’Verräumlichung des kollektiven Gedächtnisses’ steckt, ist gewissermaßen das Modell einer Absicherung der Zukunft durch Bevorratung, eine Art ’Lagerhaltung’ guter und brauchbarer Vorräte auf den Regalen der Gegenwart für morgen. Von diesen Vorräten leben wir, es ist sozusagen das ’Tafelsilber der Gesellschaft’, und von der Geschwindigkeit der heutigen modernen Gesellschaft hängt es ab, wie schnell diese ’Regale’ leergeräumt werden, dieses ’Tafelsilber’ also – der Begriff drängt sich auf – unbedacht und hektisch verramscht wird, insbesondere dann, wenn die Zeiten besonders hektisch erscheinen, ja hektisch sind.
Der Architekt Gustav Peichl schrieb in der Ausgabe vom 10. März 2000 in ’Die Welt’ – ich verkürze – “In den meisten Städten von heute ist eine Phase des Eilens, Hetzens und Stolperns angesagt.“
Die Filmschauspielerin Glenn Close formulierte das mal viel freundlicher und auch viel eindringlicher: “Man darf nicht mehr Glück verbrauchen, als man erzeugt.“
Die Frage, die sich uns hier heute stellt, ist, ob es nun unausweichlich zu einem solchen Verlust kommen muss oder ob er vermeidbar ist, insbesondere dann, wenn andere Wege beschritten werden können. Das gelingt ja durchaus nicht immer. Ich denke, dass wir alle im Augenblick sagen können: Im Falle der Südzentrale haben die Ergebnisse des Workshops solche Wege aufgezeigt.
Nur in der ernsthaften und ausgewogenen Prüfung kann sich zeigen, ob diese Wege tauglich sind, denn natürlich müssen die Interessen aller gewahrt bleiben, besonders und zuerst die des verantwortlichen Eigentümers, aber diese Tauglichkeit oder eben auch Untauglichkeit kann nur überzeugend nachgewiesen werden, wenn diese Wege auch beschritten wurden.
Es wäre ein glücklicher Umstand, wenn der Workshop und diese Veranstaltung heute, wenn nicht den Auftakt, so doch mindestens das Signal dafür sein konnte.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Man muss nicht alles erhalten – hier bestehen heute bedauerlicherweise in weiten Teilen der Öffentlichkeit durchweg völlig falsche Vorstellungen von Denkmalpflege – aber man muss auch nicht alles abräumen.
Das Weiterleben, die Weiterentwicklung eines Baudenkmals, die Weiternutzung und -gestaltung vor allem auch als Aufforderung an die Architekten stellt sich hier als Aufgabe, und zwar für alle irgendwie Beteiligten. Und gerade in solchen schwierigen Fällen darf der Denkmaleigentümer auch nicht im Regen stehen gelassen werden. Er muss auch überzeugt werden, dass er die von ihm zu Recht als Risiko empfundene Übernahme eines Baudenkmals vom Kaliber einer Südzentrale zum Vorteil wenden kann.
Ich will es im Doppelsinn des Wortes auf den Punkt bringen: Die Zukunft sollte nicht zur Aufgabe der Südzentrale führen, sie sollte zu einer Aufgabe für die Südzentrale werden!“
Schlusswort zum Fachkolloquium „Südzentrale“, 9.10.2004
Ein Katalog zur Ausstellung über die Ergebnissedes Architekten-Workshops ist in Vorbereitung.
Forum WHV: www.suedzentrale.de
Deutsche Stiftung Denkmalschutz: www.denkmalschutz.de
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