Soziale Stadt
Nov 042004
 

Wahrheitsfindung

Soziale Stadt: Wer ist schuld am Verlust der Fördermittel?

(iz) Wilhelmshaven bekommt 2004 keine Landesmittel für das Programm „Soziale Stadt“. Die Mehrheitsgruppe im Rat kritisiert die Landesregierung, die Opposition geht vom Eigenverschulden der Stadt aus. Doch selbst der überraschend erzielte Konsens kann die Zukunft des Förderprogramms nicht retten.

Die Hiobsbotschaft
Aus der Pressemitteilung des Sozialministeriums zum Förderprogramm 2004 (vom 6.9.2004): „’Wir führen die Städtebauförderung trotz der angespannten finanziellen Lage in diesem Jahr weiter und wollen lediglich 2005 für ein Jahr aussetzen’, so die Ministerin. Die nun bereitgestellten Mittel würden den Kommunen helfen, die einjährige Förderpause zu überbrücken, erklärt von der Leyen. Mit Hilfe des Landesprogramms ist es zudem möglich, die Kommunen anteilig bei der Gegenfinanzierung ihres Eigenanteils beim Einsatz von Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in der Städtebauförderung zu unterstützen. Für diesen Zweck stehen 42 Millionen Euro bereit. Diese EU-Förderung besteht voraussichtlich nur noch bis zum Jahr 2006; ob sie dann weitergeführt wird, hat die Europäische Union noch nicht entschieden … Über das Programm ‘Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf’ – ‘die soziale Stadt’ werden (unter dem Vorbehalt des Inkrafttretens der Verwaltungsvereinbarung) u. a. folgende Städte und Gemeinden mit dem Bund gefördert …“
Wilhelmshaven ist, wie wir jetzt wissen, nicht dabei. In den Genuss der Förderung kommen hingegen z. B. Emden und Leer (je 800.000 Euro), Nordenham (176.600 Euro) und Oldenburg (276.400 Euro).

„Kein Schwein ruft mich an …“, schlug Bürgermeisterin Aljets nach der Ratsdiskussion flötend einen Titel für unseren Bericht vor. Tatsächlich haben Kommunikationsstörungen zwischen Behörden und Fraktionen zum Verlust der Fördermittel beigetragen. Es brauchte über eine Stunde Diskussion, bis sich aus gegenseitigen Schuldzuweisungen doch noch eine brauchbare Analyse entwickelte.
Die Mehrheitsfraktion legte den Entwurf einer Resolution an die Landesregierung vor, die der Rat beschließen sollte. Demnach entnahm man Mitte September “ohne jegliche Vorwarnung“ einer Pressemitteilung des Sozialministeriums, dass Wilhelmshaven für 2004 vom Land nicht im Programm Soziale Stadt berücksichtigt worden ist. Stein des ministeriellen Anstoßes soll ein “Kassenrest“ von 340.000 Euro sein, den die Stadt nicht abgerufen hat. Allerdings ist das meiste davon durch Aufträge gebunden, nur 84.000 Euro sind frei verfügbar. Die reichen nicht aus, um das Programm über den 31.12.2004 hinaus zu betreiben. “Mit Bedauern nimmt der Rat zur Kenntnis“, dass den beiden Mitarbeitern zum 31.12. gekündigt wurde, dito der Mietvertrag fürs Stadtteilbüro und der Vertrag mit dem Treuhänder.

Irrungen und Versäumnisse

„Stadt hat Förderpanne zu verantworten“ durfte die CDU-Fraktion, zum Ärger der SPD, am Tag vor der Ratssitzung in der WZ titeln. Nach Auffassung von CDU-Sprecher Günter Reuter hat es durchaus Vorwarnungen gegeben. Am 3.4.2003 hatte die Bezirksregierung die Stadt aufgefordert, bis zum 16.6. die Unterlagen für die anstehenden Teilprojekte einzureichen. Dem sei die Stadt aber erst zum 7.7. nachgekommen, “als hätten wir es nicht eilig“. Im November 2003 sei der zuständige Sachbearbeiter bei der Stadtverwaltung „vergeblich angemahnt“ worden, zum zögerlichen Mittelabruf Stellung zu nehmen. Stadtbaurat Kottek nahm seinen Mitarbeiter in Schutz. Zwischen diesem und einem Mitarbeiter des Ministeriums habe nur, am Rande einer Tagung, ein informelles „Frühstücksgespräch“ stattgefunden, Schriftliches gab es nicht.
Durch die scharfe Diktion der Resolution, fürchtete Reuter, könne man die Landesregierung für alle zukünftigen Projekte der Stadt vergrämen. „Die Sache ist gegessen, wir sollten jetzt kein Porzellan zerschlagen.“

Ruf-mich-an!

Reuter kritisierte, dass Dr. Biester (CDU), der die Stadt im Landtag vertritt, verspätet und unzureichend über den Fortgang des Projektes und die aufgetretenen Schwierigkeiten in Kenntnis gesetzt wurde. Die SPD wiederum sieht den MdL in der Pflicht, sich aktiv über Entwicklungen in seiner Stadt zu informieren. Es entspann sich ein Streit, wer wann zum Telefonhörer greifen müsse, um die andere Seite zu informieren – z. B. auch, um gemeinsam Resolutionen zu verfassen. Am Ende versprach (oder drohte?) Reuter, ab jetzt wöchentlich bei SPD-Sprecher Neumann durchzuklingeln, um zukünftig Kommunikationslücken zu vermeiden.

Friedensstifter

Im Grundsatz stimmte die CDU zu, dass man sich schriftlich ans Ministerium wenden muss. Einen „starken Eindruck“ könne dort aber nur eine im Rat konsensfähige Eingabe hinterlassen. „Meint die Mehrheitsgruppe, bei wichtigen Entscheidungen die Opposition auslassen zu können? Das ist ein Irrweg für das gemeinsame Handeln zum Wohle der Stadt!“
FDP-Ratsherr Michael von Teichman beschwichtigte: Wer wann was falsch gemacht hätte, ließe sich durch Akteneinsicht klären, das solle man sich aber jetzt nicht „um die Ohren hauen.“ Im Unterschied zu Reuter, der das Ganze vertagen wollte, zog von Teichman eine geänderte Version der Resolution aus dem Hut, die irgendwo in der Mitte zwischen SPD-Entwurf und CDU-Vorstellungen lag – „auch wenn es sich gegen die von uns getragene Landesregierung richtet“. Nach kurzer Sitzungsunterbrechung zur Beratung einigte man sich einstimmig auf den Änderungsvorschlag der FDP. Unter anderem wurde „verheerende“ durch „erhebliche“ Auswirkungen ersetzt und das Versprechen angehängt, die noch ausstehenden Maßnahmen zügig abzuwickeln.

Wie geht es weiter?

Selbst wenn die Protestnote der Stadt die Landesregierung umstimmen sollte, wird es ab 2005 eng – nicht nur für Wilhelmshaven. Für das kommende Jahr hat das Sozialministerium die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ komplett eingefroren. 2006 läuft das EU-Förderprogramm aus, das 50% Komplementärmittel liefert, wobei eine Wiederaufnahme offen ist. SPD-Landespolitiker Heinrich Aller fürchtet den „Einstieg in den Ausstieg“ des Landes Niedersachsen. „Es ist kurzsichtig und unverantwortlich, wenn Niedersachsen auf die Bundesmittel verzichtet und damit die Kontinuität der Städtebauförderung und des Programms „Soziale Stadt“ insgesamt gefährdet. Angesichts der großen Probleme im Handwerk und am Arbeitmarkt ist das gleichbedeutend mit ‚Auftrags- und Investitionsentzug sowie Verschärfung der Lage am Arbeitsmarkt’ “.
Auch die Landtagsgrünen üben Kritik: „Die Sozialministerin behauptet zur Begründung dieser Streichung öffentlich, sie wolle lieber in Menschen statt in Beton investieren. Deutlicher kann sie nicht zeigen, dass sie Sinn und Zweck des Programms Soziale Stadt, bei dem es um das genaue Gegenteil von Beton geht, nicht verstanden hat.“ Die Abgeordnete Filiz Polat äußerte in der Plenarsitzung am 29.10.2004 Misstrauen: „Wir wissen ja auch noch gar nicht, ob es nur bei einer Aussetzung des Programms in 2005 bleibt oder ob sich nicht der Finanzminister gegen die Fachministerin durchsetzt und aus der Aussetzung eine komplette Streichung in der mittelfristigen Planung wird.“ Nach ihren Recherchen werden „nicht nur Bundesmittel für das Jahr 2005, sondern auch private Anschlussinvestitionen von fast 500 Mio. Euro (Multiplikatoreffekt) für den niedersächsischen Mittelstand verfallen … Die durch die Förderprogramme entstandenen Strukturen würden durch eine Förderunterbrechung gefährdet und wichtige Stadtentwicklungschancen verpasst.

Kommentar:

Nutzloser Erfolg?
Ausgerechnet der sonst im Rat selten erhörte FDP-Ratsherr von Teichman schafft es, einen Änderungsantrag durchzubringen und damit in einer überlebenswichtigen Frage die üblichen Kampfhähne der großen Fraktionen zu befrieden. Seinen Vorschlag trug er mit ungewohnt sanfter Wortwahl und Tonlage vor. Den Erfolg verdankt er aber wohl eher der Zwangslage, dass ein Konsens für die SPD-Resolution zur Rettung des Projekts zwingend war; sie mit den Gegenstimmen von CDU und FDP an die CDU-FDP-geführte Landesregierung zu schicken, wäre dümmer gewesen als sich gar nicht zu rühren.
Eine Frage wurde bei all dem nicht gestellt: Ist es gegenüber der Landesregierung das richtige Signal, trotz verbalen Protests gleich die Flinte ins Korn, sprich die Mitarbeiter hinaus zu werfen und Immobilien- und Abwicklungsverträge zu kündigen? Das zeugt von Hoffnungslosigkeit und macht die Resolution zum zahnlosen Tiger. Und nimmt dem Projekt die nötige Präsenz und Kontinuität, die Thorsten Stahlhut und seine haupt- und ehrenamtlichen Unterstützer mühevoll aufgebaut haben.
Ob das Projekt eine Zukunft hat, entscheidet sich nicht im Ratssaal. Wenn das Land für 2005 und die EU ab 2006 die Förderung einstellen, ist „die Sache gegessen“, wie CDU-Sprecher Reuter unkt. Sollte das Projekt aber für 2004 und möglicherweise auch später wieder aufleben, kommt der organisatorische Bruch die Stadt teurer zu stehen als eine Nachbewilligung städtischer Projektmittel, um den roten Faden aufrechtzuerhalten, bis Land und damit auch Bund und EU wieder im Boot sind.

Imke Zwoch

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