„Platte machen“
Der Arbeitskreis „Wohnraum für alle“ initiiert eine „Nacht der Wohnungslosen“ auf dem Börsenplatz
(ub) Obdachlos und gezwungen, auf der Straße zu schlafen – wer dieses Gefühl einmal hautnah erleben möchte, hat jetzt die Möglichkeit, im Rahmen der „Euro Sleep out-Aktion“ sein Bett für eine Nacht gegen das harte Pflaster des Börsenplatzes auszutauschen. Der AK „Wohnraum für alle“ ruft jedoch nicht nur dazu auf, in der Nacht vom 25.6. zum 26.6.1993 auf dem Börsenplatz demonstrativ draußen zu schlafen. Mit einer ganzen Reihe von Aktionen soll auf die Wohnraumproblematik in Wilhelmshaven aufmerksam gemacht werden.
In Deutschland haben ungefähr eine Million BürgerInnen keine Wohnung – sie sind obdachlos. 150.000 von ihnen leben im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße. Obdachlosigkeit kann jeden/jede treffen, denn die Mietbelastung ist inzwischen für viele Haushalte untragbar geworden.
Bezahlbarer Wohnraum ist knapp geworden in Deutschland. Auch in Wilhelmshaven hat sich die Wohnraumsituation in den letzten Jahren dramatisch zugespitzt. Besonders für finanziell schwächere und sozial benachteiligte Menschen ist es nach Einschätzung des Arbeitskreises „Wohnraum für alle“ immer schwieriger geworden, menschenwürdigen und bezahlbaren Wohnraum anzumieten.
In Wilhelmshaven breitet sich, zumindest auf diesem Gebiet, Großstadtflair aus. Mietshäuser werden an auswärtige Spekulanten veräußert, Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Makler, die das zweifache des Mietpreises an Vermittlungsgebühr verlangen, sind auch in Wilhelmshaven keine Seltenheit mehr. Manch ein Hausbesitzer wittert ein glänzendes Geschäft angesichts der Wohnungsnot. Wohnungssuchende berichten von dem teilweise katastrophalen Zustand des angebotenen Wohnraums.
Das Sozial amt der Stadt ist inzwischen stillschweigend dazu übergegangen, „in Ausnahmefällen“ die Maklercourtage für Sozialhilfeempfänger zu übernehmen. Wie in anderen (Groß)städten längst üblich, gelingt es skrupellosen Häuserbesitzern auch in Wilhelmshaven immer öfter, menschenunwürdige „Löcher“ an Sozialhilfeempfänger zu vermieten. Die Stadt steht diesem Problem hilflos gegenüber. Sie bezahlt aus Steuergeldern auch noch die letzte Abbruchbude, um wenigstens Obdachlosigkeit zu verhindern.
Der Arbeitskreis „Wohnraum für alle“, der sich zum größten Teil aus Menschen zusammensetzt, die in sozialen Einrichtungen dieser Stadt arbeiten, beobachtet seit nunmehr drei Jahren die Entwicklung auf dem hiesigen Wohnungsmarkt und versucht immer wieder durch Aktionen, Hearings, Informationsveranstaltungen etc. das Thema „Wohnraumproblematik“ öffentlich zu machen und kommunale Politiker zum Handeln zu bewegen.
Angesichts der sich zuspitzenden Situation soll jetzt am 25. und 26. Juni erneut ein öffentlichkeitswirksames Zeichen für die notwendige radikale Wende in der Wohnungspolitik und der Bekämpfung von Obdachlosigkeit gesetzt werden. Mit der Aktion „Euro Sleep-out 93“, die zum gleichen Zeitpunkt in vielen Städten der Bundesrepublik und Europas durchgeführt wird, will der Arbeitskreis „Wohnraum für alle“
- über den ganz normalen Alltag von wohnungslosen Frauen und Männern informieren
- einen Beitrag gegen die soziale Isolierung und Stigmatisierung der Wohnungslosen leisten
- das Bewußtsein für Gründe und Konsequenzen der Wohnungslosigkeit schärfen
- Bevölkerung, Politik und Medien auf die von der Wohnungsnot besonders betroffenen Wohnungslosen hinweisen .
Die Aktion wird am 25.06. um 17.30 auf dem Börsenplatz von Oberbürgermeister Menzel eröffnet. Daran anschließend wird es eine Gesprächsrunde mit Politikern der im Rat der Stadt vertretenen Parteien, mit Kirchen- und Gewerkschaftsvertretern geben. Der Arbeitskreis hofft, daß viele von Wohnungsnot betroffene Bürgerinnen diese Gelegenheit nutzen, oben genannte „Talk“gäste mit ihren Problemen zu konfrontieren.
Daneben informieren der Arbeitskreis und Verbände und soziale Einrichtungen, die sich mit der Wohnraumproblematik beschäftigen, über ihre Arbeit. Anhand einer Fotodokumentation zeigt der Arbeitskreis auf, wie in Wilhelmshaven unzumutbarer Wohnraum angeboten wird. Das „Duo Linsey“ wird sich musikalisch mit dem Thema „Armut“ in der Bundesrepublik befassen.
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