Wilhelmshavens Trümpfe
(von Klaus Dede) Wenn die „Gesellschaft für Wilhelminische Studien“ sich die Aufgabe stellen sollte, die Kultur Deutschlands in der Zeit zu erforschen, in der Wilhelm II. regierte, wobei man meinetwegen auch den persönlichen Beitrag dieses Herrn zu dem Geschehen erörtern kann, dann ist sie nach meiner Ansicht zwar überflüssig, aber nicht weiter problematisch. Aber ich habe den Eindruck, dass es darum nicht geht. Vielmehr fügt sie sich in den allgemeinen Fürstenkult ein, den die Oldenburgische Landschaft betreibt und der in Wilhelmshaven mit großem Eifer aufgegriffen wird.
Die Errichtung der Großen Koalition zeigt, dass die Republik auf eine Staatskrise zusegelt. Das hat mehrere Ursachen, die ich hier nicht im Einzelnen darlegen will. Die Frage ist aber, wie die herrschende Oligarchie darauf reagieren wird. Möglich wäre es, dass man nach dem sprachlich etwas missglückten Imperativ Willy Brandts verführe: „Mehr Demokratie wagen!“ Aber das wird nicht geschehen. Stattdessen wird man nach einer autoritären Lösung suchen. Eine solche setzt aber zunächst eine Ideologie voraus, nach der man entscheiden kann, wer eigentlich ein Deutscher ist, dann braucht man eine historische Symbolfigur, die das, was man braucht, verkörpert und schließlich den Mann, der das, was Ideologie und Symbolfigur ausdrücken, in die Praxis umsetzt.
Die Ideologie steht nun in dem christlich-deutschen Nationalismus bereit, der den Konsens der politischen Elite des Staates bildet. Das entspricht der deutschen Tradition, hat aber deshalb seine Tücke, weil man damit zugleich den christlichen wie auch den deutschnationalen Antisemitismus einkauft, den man durch zionistische Sympathien zwar verdecken, aber nicht verdrängen kann. Hier hat man also eine Leiche im Keller, die keinesfalls ans Licht gezogen werden darf (was ich eifrig tue).
Und wen, um alles in der Welt, soll man denn als neue Idealfigur ausrufen? In Jever feiert man den alten Bismarck, aber der funktioniert nicht mehr, der Alte Fritz noch viel weniger. Goethe war Zivilist und darüber hinaus ein Humanist, also kein Deutschnationaler, also wen soll man nehmen? Die frühere Geschäftsführerin der Oldenburgischen Landschaft, Ursula Maria Schute, versuchte, die oldenburgischen Großherzöge in den Rang historischer Leithammel zu heben, aber sie taugten nicht für diese Rolle, denn sie waren in jeder Hinsicht zu unbedeutend, aber da fügte es sich, dass etwa 160 Hektar des Zuständigkeitsbereichs der Landschaft seit 1853 zum Königreich Preußen gehörten, und damit konnte man Kaiser Wilhelm II. auf den Reklame-Schild heben. Die Urheber des Gedankens verwiesen darauf, dass Wilhelm II. 25 Jahre lang regierte, ohne in Europa einen Krieg vom Zaune zu brechen (in den Kolonien wurde ständig geschossen, aber das betraf dann ja nur Untermenschen, nicht wahr?) und dass er in Wilhelmshaven dem französischen Admiral Coligny ein Denkmal hatte errichten lassen; sie vergaßen aber, dass der letzte Kaiser ein wütender Antisemit war, eine demokratische Reform Preußens und des Reiches in den dreißig Jahren seiner Regierung konsequent verhinderte und schließlich den Ersten Weltkrieg vom Zaune brach. Wilhelm II. passte allerdings in ideologischer Hinsicht, denn er verstand sich als „Führer“ der deutschen Nation und hat als solcher seinem Nachfolger im Amt und im Geiste sozusagen die Tür geöffnet, der dann das, was Wilhelm II. nur beabsichtigt hatte, konkret zu Ende führte – Auschwitz eingeschlossen. Und der soll als Vorbild dienen? Das ist die Frage, die sich mit der Gründung der „Gesellschaft für wilhelminische Studien“ stellt und die Dr. Graul sicherlich gelegentlich beantworten wird.
Und welcher Politiker will heute ein solches Erbe antreten? Der einzige, der mir einfällt, ist tot – und die anderen kamen und kommen nicht in Frage: Der Eine ist zu dick, der Andere kein Mann, der Dritte will nicht, weil Sozialdemokrat, der Vierte ist zu alt und überdies zu katholisch – also, ich wüsste zur Zeit niemanden. Aber das bedeutet ja nicht, dass es ihn nicht gibt bzw. nicht geben wird. Entscheidend ist, dass das Bedürfnis nach einem Retter aufgebaut wird – und diesem Zweck, so meine Kritik, dient die „Gesellschaft für wilhelminische Studien“. Ich würde mich freuen, wenn Dr. Graul hier ein Dementi beisteuern würde.
Wilhelmshaven hat zwei historische Trümpfe:
Die Stadt
♦ ist zum einen der Ort, an dem unsere Freiheitliche Demokratische Grundordnung durchgesetzt wurde. Das geschah, als unbekannte Heizer des Linienschiffs „Thüringen“ am 29. Oktober 1918 die Feuer aus den Kesseln ihres Schiffes rakten und damit die Kamikaze-Fahrt der Hochseeflotte, die eine verbrecherische Admiralität von Berlin aus befohlen hatte, verhinderten. Die Konsequenz war die Revolution, in der das deutsche Volk zum ersten und bislang einzigen Mal von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch gemacht hat, und
♦ ist zugleich der Ort, an dem es gelungen ist, einen Platz, der einmal als Kriegshafen konzipiert war, auf ein ziviles Konzept umzustellen, denn Wilhelmshaven ist heute nicht nur der einzige Tiefwasserhafen der Republik und als solcher vermutlich der kommende wirtschaftliche Schwerpunkt der Region, sondern auch der Traum aller Menschen, die einem Wassersport verbunden sind.
Wilhelmshaven wäre heute eine durch und durch sympathische Stadt – wenn sie sich durchringen könnte, sich von dem Kaiser-Kult zu lösen, indem sie den Namen annimmt, der diesen Wandel viel besser ausdrückt als der jetzige: Rüstringen. Aber das steht wohl nicht zur Debatte.
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