Auszeichnung ja – bitte ohne Konsequenzen
Wirtschaft wehrt sich gegen weitergehenden Wattenmeerschutz
(red) Alle paar Jahre treffen sich die Minister der Wattenmeer-Anrainerländer Deutschland, Niederlande und Dänemark, um über erforderliche gemeinsame Schutzmaßnahmen für die einzigartige Naturlandschaft zu beraten – im März 2010 auf Sylt. Die Hafenwirtschaft setzt alles daran, verbindliche Beschlüsse zu verhindern – mit Erfolg. Ein Lehrstück zum Thema „Klientelpolitik“.
2001 hatten die Wattenmeer-Anrainer vereinbart, bei der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO die Ausweisung des Wattenmeeres als „Besonders Empfindliches Meeresgebiet“ zu beantragen. International heißt das PSSA (particularly sensitive sea area) – nach den IMO-Richtlinien ein Gebiet, das wegen seiner Bedeutung aufgrund von anerkannten ökologischen, sozioökonomischen oder wissenschaftlichen Kriterien besonderer Schutzmaßnahmen der IMO bedarf, da es durch die internationale Seeschifffahrt gefährdet sein kann. 2002 stimmte die IMO dem Antrag zu. Das Schutzgebiet ist in den Seekarten eingetragen, um die Sensibilität der Schiffsführungen im Hinblick auf die besondere Empfindlichkeit des Gebietes gegenüber Beeinträchtigungen durch die Seeschifffahrt zu erhöhen.
Derzeit gibt es weltweit 10 PSSA-Gebiete. Dazu gehören u. a. die britische, französische und belgische Nordseeküste, die Ostsee, das Great Barrier Reef in Australien (auch Weltnaturerbe) einschließlich der angrenzenden Schifffahrtsstraße Torres Strait oder das Meer um die Florida Keys.
Die Hauptschifffahrtsrouten, die entlang der Wattenmeer-Schutzgebiete verlaufen, und die Hafenzufahrten gehören bislang nicht zum PSSA Nordsee. Doch genau dort passieren die latenten Verschmutzungen und auch Unfälle mit Austritt von Öl und Chemikalien, die gravierende Auswirkungen auf die angrenzenden Schutzgebiete haben können. Die Nordsee ist jetzt schon eines der meistbefahrenen Seegebiete weltweit. Durch den ungebremsten Ausbau von Häfen und Industrialisierung (JadeWeserPort, Elbvertiefung, Kohlekraftwerke …) nehmen die Seeverkehre und damit das Unfallrisiko weiter zu. Offshore-Windparks stellen nach Aussage von Seefahrtsexperten ein zusätzliches Unfallrisiko dar.
Wer soll „gut leben“?
Die Ausweitung des PSSA auf die Schifffahrtsrouten ist nicht nur ein Anliegen der großen Umweltverbände und sollte im Entwurf des Ministerantrags Thema der diesjährigen Wattenmeer-Ministerkonferenz im März auf Sylt werden. Die Hafen- und Seewirtschaft ging auf die Barrikaden, fürchtet sie doch Wettbewerbsnachteile durch weitere Umweltauflagen wie z. B. erweiterte Lotsenpflicht. Die Wilhelmshavener Hafenwirtschaftsvereinigung (WHV), unterstützt durch den Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS), hat sich in Briefen an den Bundes- und die Landesumweltminister gewandt mit der Bitte, keinen Regelungen zuzustimmen, die „den Hafen- und Schifffahrtsstandort Deutschland schwächten“ (Neue Rundschau v. 3.3.2010). „Mit dem derzeitigen Stand zum Schutz des Wattenmeeres kann die Schifffahrt gut leben und unserer Ansicht nach reicht der derzeitige Schutz auch voll und ganz aus“, so WHV-Präsident John H. Niemann (NR, ebd.).
Die Frage ist, ob auch Flora und Fauna des Wattenmeeres damit „gut leben“ können. Ein im Dezember 2009 vorgelegter Bericht zu Seevögeln und Öl (Camphuysen et al, nachzulesen unter www.waddensea-secretariat.org) stellt fest, dass die Ölverschmutzung zwar in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen ist, durch chronisches Auftreten jedoch eine dauerhafte Bedrohung für Seevögel und andere Meeresbewohner bleibt. Abkommen wie MARPOL (Internationales Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe) haben noch nicht zu einer drastischen Abnahme verölter Vögel geführt. Die Verschmutzungen finden vor allem in den außerhalb liegenden Meeresgebieten statt, aus denen die Ölopfer und auch Ölschlämme dann an der Küste und auf den Inseln angeschwemmt werden. Eine Karte zeigt deutlich, dass sich die entdeckten Ölverschmutzungen entlang der Hauptschifffahrtsrouten in der südlichen und südwestlichen Nordsee ballen. Das spricht dafür, das PSSA auf die Ursprungsgebiete der Verschmutzung zu erweitern.
Bis 2006 stieg die Zahl der (entdeckten) Ölverschmutzungen allein im deutschen Offshore-Bereich noch an. Die letzte „spektakuläre“ Havarie lieferte der Frachter „Duncan Island“, der im November 2008 vor Texel leck schlug, aber unbeirrt seine Fahrt nach Cuxhaven fortsetzte und auch auf den Ostfriesischen Inseln seine Spur hinterließ. Über 1600 verölte Vögel – Eiderenten, Heringsmöwen, Sanderlinge u. a. – wurden gefunden, keiner überlebte, von den nicht gefundenen ganz zu schweigen.
Durchsetzen und vorbeugen
Die Wissenschaftler stellen fest: “Es ist nutzlos, ein MARPOL-Sondergebiet (special areas, in denen strengere Schutzvorschriften für das Einleiten von Öl bzw. Chemikalien sowie für das Absondern von Müll gelten – red) einzurichten, wenn es nicht im nationalen Recht seinen Niederschlag findet.“ Heutzutage gibt es technische Methoden, um Ölverschmutzungen dem Verursacher(-Schiff) zuzuordnen. So ließ sich z. B. auch nachweisen, dass nach wie vor das Verklappen von Bilgenwasser eine Ursache für Ölverschmutzungen ist. Die Wissenschaftler empfehlen, von allen in der Nordsee verkehrenden Schiffen einen „Öl-Fingerabdruck“ zu speichern, was die Überwachung, Durchsetzung und Vermeidung von Verschmutzungen enorm erleichtern würde. Die Strafen bei Verstößen müssen empfindlich heraufgesetzt werden. Darüber hinaus sollte der marine Umweltschutz bei der Ausbildung der Seeleute an Bedeutung gewinnen. Sie müssen dafür sensibilisiert werden, dass schon eine „kleine“ Verunreinigung umgehend ernste Schäden der Meeresumwelt anrichten kann.
Kollateralschäden?
Auch die norddeutschen Industrie- und Handelskammern kritisieren die mögliche PSSA-Ausdehnung (Presseinformation v. 11.3.2010). Das würde die Anlaufkosten für die deutschen Nordseehäfen erheblich verteuern, kritisierte der Vorsitzende Otto Lamotte. Der niederländische Hafen Rotterdam profitiere dann, weil er nicht in der Schutzzone liege. Schon jetzt gebe es im internationalen Vergleich sehr hohe Standards, welche die Meeresumwelt nachhaltig schützten. Falsch: Die Standards allein helfen nichts, wenn ihre Einhaltung nicht ausreichend überwacht und durchgesetzt wird. Die Luftüberwachung des Havariekommandos entdeckte in den letzten 14 Jahren etwa 4200 Verschmutzungen und konnte fast 570 Verursacher ausfindig machen. Vorbeugung, Überwachung und Sanktionen reichen offensichtlich noch lange nicht aus. Es geht ja nicht allein um Unfälle (die „nur“ 13% der Ölverschmutzung der Meere ausmachen), sondern auch um die latente Verschmutzung durch „Entsorgung“ von Öl, Chemikalien und Abfällen.
Selbst wenn bestimmte Zeitgenossen tote Robben, Vögel und Fische nur als „Kollateralschäden“ der Durchsetzung ihrer hafenwirtschaftlichen Interessen betrachten: Eine Havarie im Bereich des Wattenmeeres würde die Existenz anderer Wirtschaftszweige wie Tourismus und Fischerei für lange Jahre vernichten.
Doch für die WHV ist die Erweiterung des PSSA-Gebietes nicht ausreichend begründet, eine derartige Ausdehnung „ohne Not“ hätte zur Folge, dass Schiffsverkehre verdrängt würden. Mit dem Titel „Weltnaturerbe Wattenmeer“ schmückt man sich gern, für dessen Erhalt möchte man aber keine Kompromisse eingehen. Hier gilt, wie so oft: „Wasch mich, aber mach meinen Pelz nicht nass.“
Intervention erfolgreich
Die Briefe der Wirtschaftslobby kamen in Berlin gut an: Die Regierungskoalition beantragte in der Sitzung Anfang März, die Ausweitung des PSSA-Gebietes abzulehnen. Argumente der Hafenwirtschaft schlugen sich in schwarz-gelben Redebeiträgen nieder: „Es glaube doch bitte keiner, dass diejenigen in Holland, die die Ausdehnung der PSSA vorantreiben, dies ausdrücklich mit Blick auf den Schutz des Wattenmeeres tun! Sie tun es mit Blick darauf, dass die deutschen Seehäfen nach einer Ausdehnung in das Schutzgebiet einbezogen wären und damit die Zufahrt zu ihnen erschwert würde, während Rotterdam – auch Antwerpen – außen vor bleiben würde. Natürlich hat dies Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der Häfen, die wir nicht akzeptieren können“, so MdB Ingbert Liebig (CDU, Schleswig-Holstein). Auch für MdB Angelika Brunckhorst (FDP, Oldenburg) war die „ Sorge der maritimen Wirtschaft“ das entscheidende Kriterium.
Frank Schwabe (SPD) hingegen stellte fest, dass die Schiffe, die Gefährdungen verursachen, eben nicht im Wattenmeer selbst fahren, sondern in den angrenzenden Fahrwassern. Er geht davon aus, dass sich ein stärkerer Schutz auch ohne Wettbewerbsverzerrung durchsetzen lässt. Auch Valerie Willms (Grüne, Pinneberg) versuchte zu verdeutlichen, dass der Schutz des Wattenmeeres über seine eigentlichen Grenzen hinausgehen muss: „Was irgendwo da draußen in die Nordsee gekippt wird, landet früher oder später im Watt.“ Der kompetenteste Beitrag kam von Sabine Stüber (LINKE, Uckermark): Durch die Ablehnung der PSSA-Erweiterung würde der „grundsätzliche Schutz des Wattenmeeres, die Einrichtung einer Pufferzone um das eigentliche Weltnaturerbe, explizit ausgeschlossen. Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil Deutschlands ist wie in vielen Fällen die eher fadenscheinige Begründung … Der Schiffsverkehr auf dem Hauptstrom parallel zum deutschen und niederländischen Wattenmeer wird weiter zunehmen. Ich möchte mir den Wettbewerbsnachteil für den deutschen Tourismus und die Fischerei an der Nordsee nach einer jederzeit möglichen Havarie gar nicht vorstellen.“
Der Antrag, die PSSA-Erweiterung abzulehnen, wurde mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen mehrheitlich angenommen, gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE und bei Enthaltung der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen. Und war damit auf der Wattenmeer-Ministerkonferenz kein Thema mehr.
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