Störrisches Verhalten
Wilhelmshaven weigert sich weiterhin, sich an Recht und Gesetz zu halten
(noa) Zur Februar-Versammlung der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland waren nach fast einem Jahr mal wieder Rechtsanwalt Alfred Kroll und seine Kollegin Sara Hesener da. Sie brachten gute Neuigkeiten bezüglich des Dauerbrenners Kosten der Unterkunft.
Am 22. September waren die drei Musterverfahren, die ein knappes Jahr vorher beim Landessozialgericht günstig für die Wilhelmshavener Arbeitslosen ausgegangen waren, zur Revision beim Bundessozialgericht. Die Stadt wollte hier eine Bestätigung für ihr Verwaltungshandeln, „die Unterkunftskosten mal anders zu berechnen“ (O-Ton Kroll), anders als das Bundessozialgericht schon Ende 2006 festgelegt hat, also nicht nach der „Produkttheorie“ (kurz gesagt: Quadratmeterpreis mal Quadratmeterzahl). Zum 1. Juli 2009 hatte die Stadt ihre Miet“höchst“werte noch schnell heraufgesetzt – auf 296,50 Euro für einen Einpersonenhaushalt) – und dabei wieder kein „schlüssiges Konzept“, wie Sozialgerichte in ständiger Rechtsprechung es fordern, angewandt.
Kroll hat schon viele Male Vertreter des Job-Centers und der Stadt Wilhelmshaven vor den verschiedensten Gerichten erlebt und ist beinahe fassungslos: „Die Stadt Wilhelmshaven wendet die Produkttheorie einfach nicht an und fragt frech, warum sie das tun soll!“
Seit 18 Jahren praktiziert Kroll als Rechtsanwalt, aber er hat „so ein störrisches Verhalten noch nie erlebt. Da hat man den Eindruck, dass kleine Kinder im Sand spielen und trotzig sind.“ Wir hatten in der letzten Ausgabe geschrieben: „Seit Ende September 2009 bearbeitet das Sozialgericht Oldenburg erst mal keine Wilhelmshavener KdU-Fälle mehr“. Diese Aussage ist mittlerweile überholt. Am 21. Januar fand dort ein Verfahren statt, bei dem die drei anwesenden Herren aus Wilhelmshavens Stadtverwaltung „entlarvt“ wurden, wie Kroll mittels des Sitzungsprotokolls zeigte.
Da stellte sich heraus, dass die Erhebungen der Stadt Wilhelmshaven über die Kosten von Wohnraum einigermaßen beliebig sind. Die Außendienstmitarbeiter, die die Erhebung gemacht haben, haben „in Eigenverantwortung“ die Einordnung der Wohnungen zu der Personenzahl übernommen; dabei waren die Kriterien für diese Einordnung nicht schriftlich niedergelegt. Man hat keinen Quadratmeterpreis ermittelt, sondern eine Differenzierung nach der Personenzahl vorgenommen. Ob es eine Schulung der mit der Erhebung betrauten städtischen Beschäftigten gab, wussten die drei Herren nicht genau. Jedenfalls haben sie die Datensammlung für die Festlegung der Mietgrenzen kontinuierlich verbessert und ihre Mitarbeiter darüber jeweils informiert – „es gibt nur eben keine schriftliche Niederlegung dieser Kriterien“.
All das ist „weit entfernt von einem schlüssigen Konzept“, stellte Kroll trocken fest.
Ziemlich entsetzt konnten ihn die VersammlungsteilnehmerInnen erleben, als er von einer Begebenheit beim Bundessozialgericht sprach: Ein Vertreter der Stadt Wilhelmshaven hat dort erklärt, Krolls Mandant sei schon als Sozialhilfeempfänger, also vor über fünf Jahren, über die Miethöchstgrenzen informiert worden. Dieser Mandant erklärte Kroll nach dessen Rückkehr aus Kassel jedoch, dass er damals nicht in Wilhelmshaven gewohnt hat, ganz bestimmt also einen entsprechenden Hinweis vom Sozialamt Wilhelmshaven nicht bekommen hat. „Soll das heißen, der städtische Vertreter hat vor dem Bundessozialgericht gelogen?“, diese Frage mochte Kroll erst einmal nicht bejahen. Er wird das Bundessozialgericht über die Aussage seines Mandanten informieren. Es wird sich ja feststellen lassen, wie es sich tatsächlich verhält. Einen Aktenvermerk über die damalige Belehrung, so hatte der städtische Mitarbeiter vor dem BSG erklärt, gibt es nicht. Die Meldebehörden Wilhelmshavens und des früheren Wohnortes des Mandanten werden aber Aufschluss darüber geben können, wo der Mann vor 2005 gewohnt hat. Wenn der städtische Mitarbeiter wirklich die Unwahrheit gesagt haben sollte, dann wird sich die Staatsanwaltschaft darum kümmern müssen.
Auf einen wenig erfreulichen Aspekt des BSG-Urteils vom 22.09.09 machte Frau Hesener am Schluss noch aufmerksam: Auch für die Heizkosten soll gelten, dass sie in voller Höhe erstattet werden müssen – soweit sie angemessen sind.
Das Job-Center Wilhelmshaven hat bis einschließlich 2008 jeweils nur eine Heizkostenpauschale bewilligt. Das hat zu viel Ärger geführt: Die billigen Wohnungen, in denen Hartz IV-Betroffene wohnen sollen, damit sie die Miete voll erstattet bekommen, sind häufig so schlecht isoliert, haben so schlecht schließende Fenster und Türen, dass die Heizkosten häufig über der Pauschale lagen. Das Ergebnis war, dass viele Betroffene, um nicht ihren Regelsatz für die Heizkosten einsetzen zu müssen, im Winter frierend in ihrer Wohnung saßen. 2009 erstattete das Job-Center die Heizkosten dann voll. Nach dem BSG-Urteil ist zu befürchten, dass nun um die Angemessenheit der Heizkosten dasselbe Gezerre beginnt, wie es schon bezüglich der Angemessenheit der Miethöhe stattfindet – und dass die vielen Wilhelmshavener Hartz IV-Betroffenen, die still dulden, statt sich zu wehren, wieder frieren oder zuzahlen werden.
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