Spätlese
GEGENWIND hinterfragt die offizielle Wahlstatistik
(noa) Die Kommunalwahl liegt einige Wochen zurück, der neue Rat der Stadt Wilhelmshaven hat sich konstituiert, alles geht wieder seinen gewohnten Gang. Die Parteien haben sich teils öffentlich, teils intern den einen oder anderen Gedanken über ihre Gewinne bzw. Verluste und über die niedrige Wahlbeteiligung gemacht – und sind zur Tagesordnung übergegangen.
Als „stärkste politische Kraft“ bezeichnet man üblicherweise die Partei, die bei einer Wahl den höchsten Stimmenanteil für sich verbuchen kann. In Wilhelmshaven ist das die SPD mit 46,13 %, also fast der Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen.
Setzt man die SPD-Stimmen jedoch in Relation zu allen möglichen Stimmen (Wahlberechtigte mal drei), so ist es nur noch etwas über ein Viertel. Und die 35,56 % für die CDU schrumpfen bei dieser Rechnung auf ca. ein Fünftel zusammen.
In Wirklichkeit ist die stärkste politische Kraft der Teil der Bevölkerung, der nicht wählt. 43.047 von 71.834 Wahlberechtigten, das sind 59,92 %, sind am 6. Oktober zur Wahl gegangen. Zieht man noch die 729 Menschen ab, die einen ungültigen Stimmzettel in die Urne gesteckt haben (vgl. auch „Des Volkes Stimme?“), beträgt die Wahlbeteiligung nur noch 58,91 %. Von den WählerInnen, die gültig gewählt haben, verzichteten einige darauf, alle drei Stimmen zu vergeben; 351 Stimmen wurden (vermutlich aus Unkenntnis des Wahlrechts) auf diese Weise verschenkt. Diese Stimmen wurden für die folgende Darstellung des Wahlergebnisses den Nichtwählern zugeschlagen; die einzelnen Anteile geben das Verhältnis von gültigen zu möglichen Stimmen an.
Natürlich werden alle 45 Ratssessel besetzt, unabhängig von der Wahlbeteiligung. Wollte man verlangen, daß nur ein Anteil der Mandate vergeben wird, der der Wahlbeteiligung entspricht, dann müssten 9 Stühle frei bleiben. So sähe der Wilhelmshavener Rat dann aus:
729 Frauen und Männer haben bei der Kommunalwahl einen ungültigen Stimmzettel in die Urne geworfen. Nach Mitteilung des Wahlamtes verbergen sich hinter diesen Zetteln fast ausschließlich bewußte NichtwählerInnen.
Einige Stimmzettel waren mit Bemerkungen versehen, die man als Kritik begreifen kann, ohne daß deutlich wird, was die betreffenden WählerInnen wollen: Da werden Politiker als „Schrott“, „dreckiger Sumpf“, „Spitzbuben, Lügner“ und als „unfähig, arrogant“ bezeichnet; ihnen wird vorgeworfen: „Ihr wollt nur unser Geld“, „Die machen sowieso, was sie wollen“ oder „Die kann man alle in der Pfeife rauchen“.
Andere Stimmzettel sind mit Forderungen z.B. nach einer Ampel an der Ecke Flut/ Posener Straße versehen. Viele „Forderungen“ stammen aus rechtsradikalen Köpfen, z.B. wenn jemand den Stimmzettel mit Bemerkungen wie „Ausländer raus“, „Deutschland den Deutschen“ u.ä. versehen hat. Darüber hinaus beschmierten einige den Stimmzettel mit Hakenkreuzen oder dem Kürzel DVU. Wer sich extra die Mühe macht, zum Wahllokal zu gehen und den Stimmzettel auf diese Weise ungültig zu machen, bezieht deutlich Stellung. Manche haben das sogar recht ausführlich gemacht, wie ein offensichtlich älteres Ehepaar, das an die „Herren Polittiger“ schrieb, daß zugunsten·der neuen Bundesländer bei uns nur kassiert wird und Renten gekürzt, Kuren abgelehnt und Krankenkosten eingespart werden und sie deswegen keiner der Parteien eine Stimme geben können.
Bei den 28.787 Menschen, die gar nicht erst hingegangen sind, läßt sich nur spekulieren, was sie bewegt (oder eben nicht bewegt). Bei unserer Umfrage vor der Kommunalwahl (vgl. GEGENWIND 103) begegneten wir außer denen, die uns ihre Ansichten mitteilten, nicht nur solchen, die „kein Interesse an Politik“ haben, sondern wir trafen auch solche, die beim Stichwort „Wahl“ wütend, z.T. sogar aggressiv reagierten. „Die machen ja doch, was sie wollen, und wir gehen kaputt“, sagte uns damals z.B. ein erboster junger Mann.
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