Freihandelszone
Nov 251991
 

Flaggt Schlicktau aus?

Freie Handelszone Wilhelmshaven: Nische für die Wirtschaft oder Speerspitze gegen Arbeitnehmerrechte?

(jm/hk) Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. So läßt sich der Grundtenor des FDP-Ratsherren Hans-Friedrich Felmberg in Sachen „Freie Handelszone Wilhelmshaven“, die ja wohl beschlossene Sache zwischen SPD und FDP ist, umschreiben. Über Risiken könne man dann immer noch nachdenken. So konnte sich das GEGENWIND-Gespräch mit Herrn Felmberg, der die FDP Wilhelmshaven in Wirtschaftsfragen und Umweltschutz vertritt, zu einem deftigen Streitgespräch entwickeln.

Gegenwind: Herr Felmberg, Sie haben die alte Idee einer „Freien Handelszone Wilhelmshaven“ erneut ins Gespräch gebracht. Wovon wollen sie den Handel in solch einer Zone eigentlich befreien?

Karikatur: Erwin Fiege

Karikatur: Erwin Fiege

Felmberg: Wir glauben, daß jetzt der richtige Zeitpunkt ist, sich darum zu kümmern. Einmal, weil Staaten aus Schwarzafrika, deren Handelsbeziehungen bisher noch nicht festgelegt sind, auf den sich entwickelnden EG-Binnenmarkt drängen. Zweitens unterstützt die EG diese Staaten mit kleinen Krediten. Drittens wollen diese Staaten hier in der EG verkaufen, um die Kredite zurückzuzahlen. Nun ist es so, daß diese Staaten nicht in der Lage sind, die teuren Platz- bzw. Lagerhallenmieten von Hamburg, Bremen, Amsterdam zu bezahlen. Andererseits ist es so, daß diese kleinen Kredite von 60 Millionen ECU (Europäische Währungseinheiten, 1 ECU ungefähr 2 DM) weder die Großindustrie, noch die großen Freihäfen so richtig interessieren.
Die rechnen mit ganz anderen Summen. Es entsteht also eine Nische! Und mit etwas Geschick könnte man vielleicht in eine solche Nische hineinkommen. Einmal weil die EG natürlich ungern indirekt Geld für hohe Mieten von Grundstücken oder Häusern in europäischen Häfen ausgeben will und weil die Befugnis Freihandelszonen einzurichten, am 1.1.1992 an die EG übergeht. Deswegen kann man sich ausrechnen, daß die Möglichkeiten etwas günstiger als bisher sind.

Gegenwind: Was sind die Hauptmerkmale einer Freien Handelszone?
Felmberg: Zuerst braucht man Raum. Wir kämen mit den Gebieten aus, die für die Industrieanlagen vorgesehen sind.
Gegenwind: Also für großindustrielle Anlagen am seeschifftiefen Wasser?
Felmberg: Ja. Und es muß möglich sein, daß Staaten, die eben erst ihre ersten Gehversuche in der Marktwirtschaft machen, Waren in die Freie Handelszone bringen können, ohne daß sie sofort Zoll bezahlen müssen, und dort versuchen, eben diese Waren weiterzuverarbeiten, wie das in der Freihandelszone in Duisburg passiert. Das können natürlich keine großen Betriebe werden, sondern – was ich als vorteilhaft ansehe – Handwerksbetriebe. Dann suchen sie ihre Kunden und verkaufen die Waren.

Gegenwind: Könnten auch in der Bundesrepublik ansässige Firmen diese Befreiungen als Mitnahmeeffekt nutzen?
Felmberg: Ja.
Gegenwind: Also könnten auch Beta und ICI, die je auf dem entsprechenden Gelände Rohstoffe lagern und weiterverarbeiten, diese Steuerbefreiungen verlangen?
Felmberg: Es ist an und für sich schon schwierig und müßte gut überlegt werden, welches Gebiet evtl. in einen solchen Planungsrahmen hineinkommt. Meine ersten Erfahrungen mit möglichen Kunden besagen, daß die sofort fragen: „Was kostet der Quadratmeter?“! Dies gilt besonders für mittelständische Betriebe, die für die Veredelung in Frage kommen. Die Stadt muß als allererstes einen Planungsrahmen erstellen und eine Kalkulation vorlegen, was das evtl. kosten soll. Vorher läßt sich da gar nichts machen.

Gegenwind: Aber die Stadt wird z.B. wissen wollen, was da für Güter aus den Entwicklungsländern zu erwarten sind.
Felmberg: Das läßt sich nicht voraussagen; man wird ja sehen.

Gegenwind: Freie Handelszonen sind ja nichts Neues, die gibt es schon seit dreißig Jahren. Kennen Sie irgendwelche erfolgreichen Modelle?
Felmberg: Das beste Beispiel ist Duisburg. Da müssen wir uns ganz schlau machen, wenn der Rahmenplan und die Kostenkalkulation feststehen. Duisburg hat es nach zehn Jahren schwerer, schwerer Arbeit hingekriegt, daß ihnen eine Freihandelszone zugebilligt wurde. Und dort wirkt es sich günstig aus.
Gegenwind: Was machen die denn da?
Felmberg: Der Presse ist zu entnehmen, daß man in Rheinhausen auf einem stillgelegten Werksgelände Lagerhallen aufgestellt hat. Begonnen hat man auf einem Areal von 50.000 m2. Inzwischen ist man bei 130.000 m2 mit Zollfreilagern und Betrieben mit sogenannter abgabenfreier Veredelung und Konfektionierung hochwertiger Waren aus Drittländern. Das ist wahrscheinlich auch das, was am meisten bringen kann. Und das müßte eben mit den neu auf dem Markt erscheinenden Partnern angestrebt werden.

Gegenwind: Wo liegt der Vorteil für Wilhelmshaven oder für das Land Niedersachsen? Gibt’s mehr Geld im Steuersäckel?
Felmberg: Das ist ein Anschub! Was daraus wird, kann – solange der erste Schritt noch nicht getan ist·noch gar nicht gesagt werden.

Gegenwind: Gesetzt den Fall, die Stadt hat Erfolg mit den Maßnahmen, die Sie angeführt haben. Können Sie verhindern, daß andere Regionen genau das gleiche machen?
Felmberg: Nein. Rostock und Stettin streben das auch an.

Gegenwind: Das Institut für Weltwirtschaft stellt in einer Denkschrift fest, dass die Einrichtung von solchen Freizonen wettbewerbsverzerrend ist. Das würde sich aber dadurch ausgleichen, daß sich viele Regionen diesem Vorbild anschließen würden. Das heißt: Wilhelmshaven, Duisburg, Rostock und Stettin würden zur Speerspitze für die Veränderung zunächst wirtschaftlicher Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik. Im Grunde ist das doch nur eine neue Variante der Bürgermeisterkonkurrenz!
Felmberg: Das ist ihre Theorie! Es nützt nichts, was in einer Denkschrift steht, sondern man muß die Sache prüfen und dann versuchen, das schrittweise zu verwirklichen. Und Sie wollen das gleich wieder abschießen. Da kann ich Ihnen nur sagen: Machen Sie bessere Vorschläge. Ich bin bereit, Ihren besseren Vorschlag anzunehmen. Ganz klar!

Gegenwind: Was Sie vorschlagen, die Zoll- und Steuerbefreiungen, das ist ja gesetzlich umsetzbar. Aber Freihandelszonen haben im Grunde genommen einen anderen Charakter. Wenn wir uns die Praxis in Drittweltländern ansehen, wenn wir uns Shannon in Irland ansehen – da sind ja auch gewisse nationale Gesetze außer Kraft!
Felmberg: Das ist hier in Deutschland nun wirklich nicht üblich.

Gegenwind: Im Grunde genommen ist aber schon seit vielen Jahren im Gespräch, weitere Gesetze außer Kraft zu setzen. Dazu scheint uns eine zoll- und steuerbefreite Handelszone jetzt als Einstieg auserkoren worden zu sein. Hat man den erst einmal geschafft, dann kann man darangehen, weitere Gesetze einzuschränken bzw. außer Kraft zu setzen. Es geht da um Umweltschutz- und Baugesetze, Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer, Tarifvertragsrecht usw!
Felmberg: Das seh ich nicht so! Jede Sache ist so: Jede Chance, wenn man sie ausnutzt, birgt ein gewisses Risiko. Da muß man natürlich aufpassen, daß …

Gegenwind: Gut. Aber wenn Zoll- und Steuerbefreiungen nicht greifen, dann wird man doch sagen: Wir müssen noch ein bißchen mehr tun. Wir müssen an diesem Gesetz noch etwas schnippeln und dort noch etwas schnippeln und dann klappt es endlich. Und am Ende steht eben diese Entwicklung! Gerade dieses Weltwirtschaftsinstitut . ..
Felmberg: …nun legen Sie mir doch nicht dieses Weltwirtschaftsinstitut in den Mund. Damit habe ich doch nichts zu tun …
Gegenwind: …hat vorgeschlagen, solche von der Sozialbindung befreiten Zonen unter der Bezeichnung „Zonen freier Wirtschaftsaktivität“ auch in Deutschland einzuführen.
Felmberg: Wer will das denn? Ich will’s nicht!

Gegenwind: Aber Sie wissen, daß sich die Stadt Wilhelmshaven auch schon mit einer „Freien Wirtschaftszone Wilhelmshaven“ befaßt hat. Wir möchten bloß die Entwicklung deutlich machen, die damit verbunden sein kann.
Felmberg: Ich habe Ihnen gesagt: Diese Chance birgt ein Risiko. Es ist Ihre Aufgabe, dann mit aufzupassen, daß die Chance richtig und vernünftig ausgenutzt wird und nicht falsch. Aber ich kann doch nicht sagen, ich laß die Sache ganz sein weil sie Gefahren birgt.

Gesetze, die bei der Aufstellung einer Freizone – je nach Ausgestaltung – zu ändern wären

Zur Erleichterung von Investitionen: Bundesimmissionsschutzgesetz, Abfallbeseitigungsgesetz, Luftverkehrsgesetz, Bundesbaugesetz, Körperschafts- und Gewerbesteuergesetz, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Gesetz über Preisnachlässe, Gewerbeordnung, Handelsgesetzbuch, Zollgesetz;


Zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes: Ladenschlußgesetz; Tarifvertragsrecht, Arbeitszeitordnung, Mindestarbeitsbedingungsgesetz, Kündigungsschutzgesetz, Lohnfortzahlungsgesetz, Berufsausbildungsgesetz, Handelskammergesetz, Mutterschutzgesetz; Jugendarbeitsschutzgesetz, Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Arbeitsförderungsgesetz, Reichsversicherungsordnung, Abgabenordnung, Einkommensteuergesetz;


Auszug aus „Zonen freier Wirtschaftsaktivität“, Institut für Weltwirtschaft, Kiel 12.84


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