Stadt in Angst
Wilhelmshaven im Spiegel der Wirtschaftspresse
(noa) Einen ausführlichen Artikel widmet das „manager magazin“ 11/91 dem „Horrorszenario“, das unserem Wilhelmshaven durch die Reduzierung der Marine und die Schließung der Olympia-Werke droht.
„Wilhelmshaven droht auszubluten“, heißt es da. „Die Einwohnerzahl ist seit Mitte der 70er Jahre von 104.000 auf 90.000 gesunken. Die Arbeitslosenquote von 13,6 Prozent wird in den alten Bundesländern nur noch vom Armenhaus Recklinghausen übertroffen. Die Gewerbesteuereinnahmen haben sich seit 1980 auf 40 Millionen Mark halbiert. Im Stadtsäckel klafft allein in diesem Jahr ein Loch von 24 Millionen. Für die dringendsten Investitionen fehlt das Geld.“ Und: 28 Prozent Arbeitslosenquote werden prognostiziert.
Ganz klar ist nicht, welche Absicht der Autor Sören Jensen mit dem Artikel verfolgt. Einerseits mokiert er sich darüber, daß „der DGB-Chef (…) mit dem Kaufhausbesitzer in dieselbe Klasse gegangen“ ist und „der rote Oberbürgermeister (…) den Admiral“ duzt, und spottet über die Wilhelmshavener, die „trotz alledem oder gerade deswegen (…) ihr Wilhelmshaven“ lieben und nicht wegziehen wollen. Er erwähnt, daß Wilhelmshaven „ein bisschen am Ende der Welt“ liegt, weil in Oldenburg die elektrifizierte Bahnstrecke aufhört, und daß Daimler-Benz sich zurückzieht, aber zynischerweise „gleichzeitig 500.000 Mark für die Wilhelmshaven-Werbung spendierte und in einem Video, das allen am Kauf des Werkes Interessierten geschickt wurde, in höchsten Tönen die Standortvorteile pries“.
Andererseits läßt er der Anti-Werbung gleich Positives über Wilhelmshaven folgen: „Vorteile bieten sich ansiedlungswilligen Unternehmen in der Tat. Riesige Flächen mit direktem Wasseranschluß – Wilhelmshaven ist der einzige deutsche Tiefwasserhafen – liegen brach, seit die Blütenträume der Friesen platzten, zur europäischen Energiedrehscheibe zu werden. Und Arbeitskräfte gibt es mehr als genug. Die Luft ist gut. Eine Rush-hour kennt Wilhelmshaven nicht. Und auch die Umgebung hat, wenn man die Stadt ein paar Kilometer im Rücken hat, ihren Reiz: schmucke Häuschen, tiefgrüne Weiden mit schwarzbunten Kühen bis zum Horizont. „
Schreibt er über „Filz und Bürokratie, die im milden Meeresklima am Jadebusen so prächtig gedeihen wie sonst nirgendwo“, ist nicht auszumachen, ob er damit potentielle Investoren abschrecken oder eher anlocken will.
Es wird erzählt, daß Hobbypilot Eickmeier „eines Tages, als es um die Landesmittel für die Industrieflächen ging, den damaligen Wirtschaftsminister Helmut Greulich mit an Bord nahm“ und „seelenruhig den Zündschlüssel abgezogen und den schlotternden Minister gefragt“ habe: „Was ist nun – finanzierst du das?“ In dieser Hinsicht können heutige Investoren beruhigt sein: „Nachfolger Schreiber hat diese Chance nicht. Er kann nicht fliegen.“
Vielleicht nehmen sich die großen Parteien – und auch zwei der kleinen – den Satz aus dem Vorspann des Artikels zu Herzen: „Jahrzehntelang setzten die Stadtväter auf Marine und Großindustrie – ein Irrweg.“
Auch der „stern“ vom 28. November berichtet unter der Überschrift „Das ist eine absolute Katastrophe“ über Wilhelmshaven. Anders als das „manager magazin“ sieht der „stern“ allerdings einen – wenn auch kleinen – Hoffnungsschimmer und zitiert eine Olympianerin: „Es ist doch wie beim Fußball, in der letzten Minute kann doch noch ein Tor fallen.“ Hellsichtigkeit des Hamburger Nachrichtenmagazins? Am 29. November konnte Betriebsratsvorsitzender Holger Ansmann berichten, daß „der Daimler-Benz-Konzern seine Schließungspläne für das Olympia-Werk noch einmal überdenkt“. Der AEG-Wirtschaftsausschuß habe beschlossen, „eine Projektgruppe einzusetzen. Sie soll prüfen, ob aus dem Gesamtunternehmen Arbeit nach Roffhausen verlagert werden kann.“ (WZ v. 30.11.91)
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