Die Hochzeit des Papstes
Wilhelmshavener Theaterpublikum flüchtet vor der Realität
(iz) Bei dem Namen Bond denken die meisten zunächst an James und spannende Agententhriller. Wer Edward Bond, den gnadenlos realistischen englischen Bühnenautor kennt, weiß, worauf er/sie sich einläßt. Oder auch nicht. In der Jadestadt verließ das Publikum, wie unlängst bei Peter Turrinis „Minderleistern“, in der Pause fluchtartig und murrend den Musentempel.
Der Massenexodus dramatischen Interesses wurde von Wilhelmshavens einzigartiger Kulturkritikerin in der einzigartigen Tageszeitung heftigst unterstützt. Wenngleich jene sich so ausführlich mit dem Autor und seinem Anliegen auseinandergesetzt hat, daß wir uns in dieser Hinsicht kurz fassen wollen (Inhaltsangabe s. letzter GEGENWIND), beschränkt sich ihre Kritik auf das Stück und die Inszenierung und läßt das Publikum ungeschoren.
Dabei war augenfällig, welche Parallelen zwischen der „Message“ des Stückes und Publikumsreaktionen bei diesem Stück und Peter Turrinis „Die Minderleister“ bestanden.
Perspektivlosigkeit und Brutalität menschlichen Daseins und zwischenmenschlicher Kommunikation zwischen Arbeit und Leben – so läßt sich der Inhalt beider Stücke abstrakt umreißen. Handlung und Inszenierung hingegen alles andere als abstrakt – dem gemeinen Volk auf der Straße abgeguckt, abgelauscht, abgefühlt. Ohne hübsche Umverpackung, obszön, vulgär, abstoßend.
Bonds Augenmerk gilt in erster Linie Jugendlichen, die durch Arbeitslosigkeit oder andere Brutalitäten unserer modernen Gesellschaft den roten Faden verloren haben. Bürgerliche Werte wie Partnerschaft, Wohlstand, Ansehen, die meist teuer mit dem Verlust der Freiheit erkauft werden müssen – Stichwort Goldener Käfig – werden nicht politisch-intellektuell in Frage gestellt, sondern schlichtweg ignoriert oder schon im Ansatz verhindert.
Erfahrungen und Lebensinhalte, die jeder Gesellschaftsschicht zugänglich sind, wie Männer, Frauen, Alltagsdrogen, Sport sind Gesprächsthemen jeder Gesellschaftsschicht – wenn auch auf unterschiedlichem sprachlichem Niveau. Hier, in der Straßengang, sind sie einziger Stoff für Gespräch und Interaktion.
Das Gefühl der Geborgenheit in dieser Gruppe existiert jedoch nur in absoluter Abgrenzung zum Feindbild, das sind andere Straßengangs oder Sportmannschaften. Innerhalb der Gruppe bilden sich immer wieder spontan Solidargemeinschaften von 2 oder 3 Leuten, um die Überlegenheit gegenüber anderen Mitgliedern zu manifestieren. Genauso schnell zerfällt diese Einigkeit wieder. Diese Aktionen durchbrechen immer wieder die Langeweile, die bewußt als dramaturgisches Mittel vom Autor gewollt und durch die Inszenierung gefördert wird. So entsteht ein Spannungsfeld, in dem jede neue Hoffnung, daß sich jetzt in und mit der Gruppe etwas bahnbrechend verändert, brutal zerstört wird.
Besagte Kritikerin hat in ihrer Beobachtung in vielem recht, allein über ihre Interpretation läßt sich streiten.
So bleiben tatsächlich „die Typen uniform, austauschbar, zu banal, um Interesse zu wecken“. Dies mag zum Teil tatsächlich an mangelnden schauspielerischen Qualitäten liegen – aber es bringt die Sache auf den Punkt: diese Typen treffen wir auch in der lokalen Szene an, und die wirtschaftliche und soziale Situation Wilhelmshavens wird sie beständig vermehren.
Es sind eben nicht die bunten Schmetterlinge, die sich in die Schlagzeilen aufschwingen, sondern hoffnungslose Puppen, die sich nicht selbst aus ihrem grauen Kokon befreien können. Würde jemals ein Junkie, ein unheilbarer Schlägertyp in „Notizen vom Nachbarn“ vorgestellt werden? („Wen interessieren diese Müll-Menschen?“)
„Um zu erfahren, daß zwischen Beton und Langeweile jener Frust entsteht, aus dem Skins und ihr Ausländerhaß wachsen, hätte es dieser Aufführung nicht bedurft.“ Hier irrt Frau Schwarz eindeutig. Wären gängigere Instrumente gesellschaftlicher Analyse und Aufklärung wirksamer, müßten wir der Lösung der angesprochenen Probleme schon viel näher sein … Frappierend die Aktualität dieses 30 Jahre alten Stückes jetzt und hier.
Aber wo sie recht hat, hat sie recht: nach mehreren frustrierenden Erfahrungen mit mutigem, unkonventionellem Theater im „Großen Haus“ sollte man „ganz treue Theaterfreunde “ derartigen Provokationen nicht länger aussetzen. Soll heißen: weiter so im Programm – aber auf anderen Bühnen, in der Rheinstraße, im Wasserturm, in der Perspektive oder im Pumpwerk. Ein gezieltes Angebot an ein kleines aber aktives Publikum, das sich mit der Realität auseinandersetzt. Daß hier eine konstruktive Auseinandersetzung stattfinden kann, beweist der Leserbrief einer Schulklasse (In diesem GEGENWIND).
Die selbsternannten Ästheten können sich derweil im Stadttheater den Macbeth reinziehen – durch den Bond übrigens zum Stückeschreiben inspiriert wurde.
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