Stadthalle
Feb 012007
 

Unverständliche Geheimniskrämerei um die Zukunft der Stadthalle

(iz) Im Mai 2006 hatte sich die BASU im Rat nach den Hintergründen einer laufenden Umfrage zur zukünftigen Nutzung des Jadezentrums erkundigt. Nun hakte sie nach, was daraus geworden sei. Nach Auskunft des Oberbürgermeisters ist „die Studie zu einem möglichen Nutzungskonzept noch nicht abgeschlossen“. Merkwürdig: Unsere Redaktion hatte dieses angeblich bisher nicht existierende Papier schon vor der Ratssitzung gelesen. Nachfolgend fassen wir für den OB und andere Interessierte zusammen, was drinsteht.

Die Geheimniskrämerei zeichnete sich schon bei der ersten BASU-Anfrage ab: Wessen Idee die Umfrage war, wie viele Betriebe befragt wurden, Beteiligung, Kosten und Ergebnisse, all das wollte der OB damals nicht beantworten mit der Begründung, „die zitierte Umfrage bei Betrieben und Unternehmen im kleineren und größeren Einzugsbereich des Jadezentrums wurde im Auftrage der Eigentümer des Objektes, der Firma Boden Wert GmbH, von der Firma ghh consult GmbH durchgeführt. Die Stadt selbst oder städtische Töchter oder Beteiligungen haben die Umfrage nicht initiiert und sind auch nicht an deren Kosten beteiligt.“ Dass es gar keine Kooperation zwischen Stadt und Eigentümer gegeben haben soll, klang nicht nur für uns höchst unprofessionell. Denn „das Problem der Nichtnutzung“ ist nicht, wie der OB meinte, allein „ein Problem der Eigentümerin“, sondern auch eines der Stadt bzw.ihrer BürgerInnen, denn mit ihren Geldern wird die Miete für die Stadthalle (vertraglich gebunden noch bis zum Jahr 2019) finanziert (für die Verkaufshalle im Erdgeschoss besteht noch bis 2009 ein Mietvertrag zwischen dem Eigentümer und WAL-Mart), sie müssen mit dem unansehnlichen, weitgehend leerstehenden Gebäudekomplex leben. Und sie würden sich freuen, wenn er aufgewertet und mit Leben erfüllt würde.

Alleingang des Eigentümers?

Aber zum Glück ist es gar nicht so, dass Stadt und ihre Wirtschaftsförderer sich da rausgehalten hätten. Im Anschreiben der Wiesbadener Unternehmensberater ggh vom März 2006 an hiesige Firmen stand: „Das Jadezentrum soll belebt werden. Hierzu wurde die Unternehmensberatung ghh consult GmbH von der WFG Wirtschaftsförderung in Wilhelmshaven GmbH beauftragt, eine Markt- und Potenzialanalyse…durchzuführen.“
Ausgangspunkt ist eine Untersuchung zu potenziellen Chancen der Stadt als Tagungs- und Kongress-Standort, die bereits 2005 im Auftrag der Stadt (!) von der ggh durchgeführt wurde (Nutzungskonzept Teil II S. 3). Die (positiven) Prognosen „wurden von der Stadt als realistisch bestätigt“ und die WFG mit der Umsetzung beauftragt (ebd.). Man geht von 300 Tagungen und Kongressen jährlich aus mit 27.000 TeilnehmerInnen, zuzüglich 23.000 Gästen bei kulturellen und gesellschaftlichen Veranstaltungen. Die Nachfrage nach solchen Veranstaltungen im Jadezentrum soll aktiviert und damit sollen auch die übrigen Flächen im Gebäudekomplex wieder belebt werden.
Im vorliegenden Nutzungskonzept, datiert auf den 9. Juni 2006, steht nichts drin, was die Verantwortlichen der Stadt oder der Eigentümergesellschaft diskreditieren würde. Nichts spricht dagegen, die Ergebnisse zu veröffentlichen. Zumal die Öffentlichkeit bereits eingebunden war, denn u. a. wurden auch 200 Bürgerinnen und Gäste interviewt, um wichtige Datengrundlagen zu sammeln.
Das Gutachten besteht aus zwei Teilen. Der erste analysiert auf 51 Seiten den Standort Wilhelmshaven, nimmt das Jade-Zentrum unter die Lupe und untersucht die allgemeinen Rahmenbedingungen für eine Umstrukturierung. Der zweite Teil befasst sich auf 74 Seiten konkret mit den Marktchancen, der Neupositionierung des Jadezentrums und eben einem neuen Nutzungskonzept.

Papier ist geduldig

„Es gibt viele Gutachten, die meisten verschwinden in der Schublade, und oft ist das gar nicht schlecht“, äußerte FDP-Sprecher Dr. Michael von Teichman im Zusammenhang mit einem ganz anderen Gutachten (s. „Ratssplitter“). Teilweise trifft das für das Gutachten zum Jadezentrum zu: Lange Passagen wirken aufgeblasen, Themenblöcke werden wiederholt, Tabellen und Grafiken werden mehr beschrieben als analysiert. Belangloses und Selbstverständliches wird durch Imponiersprache auch nicht wichtiger. Einige Zahlen und Daten sind überholt. Großzügig aufgerundet wurde bei den „rund 90.000 Einwohnern“ (Teil I / S. 12; das waren auch im Bezugsjahr 2003 schon lange nicht mehr so viele). Die Recherche wirkt teilweise schlampig, mal so eben aus dem Internet gefischt, und auch sprachliche Unsauberkeiten erwecken den Eindruck, als wäre das Ganze mit heißer Nadel gestrickt. Manche Aussagen wirken wie Gefälligkeiten – mit der Gefahr, bei möglichen Investoren überzogene Erwartungen zu wecken: „Das Zukunftsprojekt Tiefwasserhafen „JadeWeserPort“ ist planerisch abgeschlossen“ (falsch! Der Planfeststellungsbeschluss steht noch aus). „Rund um die Jadestadt entstehen mittelfristig mit dem Großprojekt … mehrere Tausend neue Arbeitsplätze.“ Wäre schön, ist bisher aber weder hier noch anderswo statistisch sauber belegt. Der Containerhafen wie auch der Biotechnologiepark müssen gleich mehrfach als positive Standortfaktoren herhalten.
Doch wenn man sich durch solche Ärgernisse gekämpft hat, stößt man doch auf Informationen, die nicht nur für die Zukunft des Jadezentrums, sondern insgesamt für die Stadtentwicklung verwertbar sind. Wir können diese hier nur schlaglichtartig vorstellen und hoffen, dass das Gutachten in Gänze bald der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Als lokale Informationsquellen nutzte die ggh eine Expertenrunde mit Vertretern aus Touristik und Wirtschaft der Stadt sowie Befragungen von potenziellen Mietern (Unternehmen) sowie Einheimischen und Gästen. Die Experten sehen das Jadezentrum als „schwierigstes Objekt in Wilhelmshaven“, und auch für Betriebe und BürgerInnen ist das negative Image des Komplexes das zentrale Problem. Wenig attraktiv ist auch die Lage an der stark befahrenen Kreuzung Peter-/Grenzstraße, damit verbunden die schwierige Zufahrt für Fahrzeuge und eine kaum einladende Eingangssituation.
Von 200 befragten Unternehmen waren nur 12 motiviert, sich überhaupt zu äußern. Von diesen war niemand bereit, den bisherigen Standort für Räumlichkeiten im Jadezentrum aufzugeben, trotz der Ansicht, dass es mit der Stadt wirtschaftlich bergauf geht.

Nutzung als Markthalle …

Die ggh stellt verschiedene Beispiele für gut frequentierte Markthallen in Deutschland vor. Diese sind allerdings, im Unterschied zum Jadezentrum, architektonisch sehr attraktiv. Die Gebäude der Markthallen in Stuttgart, Dresden und Chemnitz sind sämtlichst Jugendstil- bzw. Gründerzeitbauten aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende, der 2005 eröffnete Bau in Pforzheim ist lichtdurchflutet und mit einem riesigen Dachgarten versehen. Eine Konkurrenz zur bestehenden Wochenmarktkultur in Wilhelmshaven ist nicht gewollt bzw. für eine Markthalle in dieser Lage und diesem Bau kaum aussichtsreich.

… für Factory Outlet

Bundesweit gibt es Zentren für den Fabrikverkauf (factory outlet) begehrter Markenartikel. Beispielhaft wird im Gutachten das „Wertheim Village“ vorgestellt, das direkt an der A3 liegt und architektonisch in anheimelndem Dorfcharakter gestaltet ist. Auch für diese Nutzung fehlen dem Jadezentrum die Voraussetzungen.

… für Gesundheit, Spa und Wellness

Nach eigener Aussage gehen fast 20% der 200 befragten Bürgerinnen bzw. Gäste regelmäßig in ein Fitnesszentrum. Ältere Menschen („aktive Alte“) geben rein statistisch bis zu 3000 Euro jährlich für ihre Gesundheit aus. Vor dem Hintergrund, dass der Anteil älterer Menschen in unserer Stadt weiter wächst, hätten „Wellness“-Einrichtungen im Jadezentrum theoretisch eine Zukunft. Die Befragten zeigten jedoch wenig Interesse an neuen Angeboten an diesem Standort, d. h. wohl an Standardeinrichtungen wie Apotheke oder Arztpraxis, aber weniger an Massage, Beauty oder Wellness.

Shopping und Freizeit

70% der Befragten würden neue Shopping- und Freizeitangebote im Jadezentrum begrüßen, sofern sie im einfachen bis mittleren Qualitäts- und Preisniveau angesiedelt sind. Der Kinobesuch steht bei den Befragten in Wilhelmshaven hoch im Kurs, und 29% könnten sich ein neues Kino im Jadezentrum gut vorstellen. Beim Blick auf das Kinozentrum an der Bahnhofstraße hat man jedoch den Eindruck, dass der Betrieb dort schon stark rationalisiert wurde. Bundesweit leiden Filmtheater unter dem boomenden Heimkinomarkt und Filmpiraterie. So ist fraglich, ob ein Kinounternehmen das Risiko einer Neuinvestition im Jadezentrum eingehen würde. Als weitere Freizeitangebote wurden Billard, Bowling, Internetcafé und Spielhalle genannt; Anspruchsvolleres wie Theater, Konzerte oder Musicals wurden nicht angesprochen.

Hotelangebote unzureichend

Das Gutachten geht dann den Veranstaltungen auf den Grund, die vorab als zukunftsfähiges Kerngeschäft in der Stadthalle und den Nebenräumen prognostiziert wurden: Kongresse, Ausstellungen, Messen. Als Beispiele werden Stadt- bzw. Kongresshallen in Augsburg, Bielefeld, Chemnitz, Neu-Ulm und Würzburg benannt. Dabei wird vor allem auf das hochpreisige Segment abgehoben, z. B. Ärztekongresse, verbunden mit First-Class-Hotels in direkter Anbindung zum Tagungszentrum. Dies ist beim Jadezentrum nicht der Fall. Zudem fehlen, stellt die ggh fest, in Wilhelmshaven 5-Sterne-Hotels. „… die aktuelle Angebotssituation im Beherbergungsbereich“ ist laut ggh „für die zukünftige Entwicklung im Veranstaltungsmarkt quantitativ und qualitativ als unzureichend anzusehen … Dieses Defizit wird auch nach der Realisierung des geplanten Holiday Inn Hotels nicht ausgefüllt sein.“
Als konkurrierende Tagungszentren vor Ort werden das Gorch-Fock-Haus und das Pumpwerk genannt, die ebenfalls mehrere Hundert Sitzplätze bieten, sowie einige größere Hotels. Eine genaue Analyse, was TeilnehmerInnen von Tagungen etc. verschiedenster Art vom Standort erwarten, fehlt allerdings. So ist die ermittelte Zahl der Parkplätze möglicherweise weniger relevant als die Anbindung an den überregionalen Zugverkehr. Moderne Geschäftsreisende fahren nicht unbedingt im Auto vor, sondern sitzen entspannt im Zug, wo sie nebenbei arbeiten bzw. sich auf die Tagung vorbereiten können. Zwar hat Wilhelmshaven regelmäßige Verbindungen zur Außenwelt, es gibt jedoch keinen direkten IC-oder gar ICE-Anschluss wie z. B. bei der Stadthalle Bielefeld. Dafür liegt unser Bahnhof schön zentral zwischen Stadtmitte und Meer, was man entsprechend vermarkten sollte.
Auch das Umfeld trägt neben einem ansprechenden Gebäude zu einer attraktiven Tagungsatmosphäre bei. Nach Stunden trockener Themen in trockener Luft tut ein Spaziergang im Grünen in der Kaffee- oder Mittagspause gut. Auch beim Weg zwischen Tagungsstätte und Hotel bzw. Bahnhof sind plusminus 100 Meter weniger wichtig als die Art, ihn zurückzulegen. Natürlich hat jedes Klientel andere Ansprüche – vielleicht sollte man für Wilhelmshaven nicht ausschließlich Ärzte und Spitzenmanager ins Auge fassen, sondern kleinere Brötchen backen. Doch auch unter Berücksichtigung aller genannten Rahmenbedingungen hat die Stadthalle einen schweren Stand.
Sind die von ggh und Stadt erwarteten 300 Tagungsveranstaltungen jährlich im Jadezentrum realistisch? Im Eröffnungsjahr 1979 kam die Stadthalle auf 159 Veranstaltungen an 326 Veranstaltungstagen mit 146.000 Besuchern, mit einer Steigerung im Folgejahr. Ab dann fielen die Zahlen – nicht linear, aber signifikant – nach unten ab. 1986 war noch mal ein Rekordjahr mit 186 Veranstaltungen. Ab Mitte der 90er Jahre pendelte sich die Zahl der Veranstaltungen im zweistelligen Bereich ein, auch die „Expo am Meer“ im Jahr 2000 brachte nicht den Durchbruch. 2004 waren es schließlich nur noch 44 Veranstaltungen mit knapp 38.000 BesucherInnen. Der Nutzen für Hotellerie, Gastronomie und Handel steigt natürlich mit der Dauer der Veranstaltungen – wenn An- und Abreise am gleichen Tag erfolgen, bleibt nicht so viel hängen.
Als eine Möglichkeit, die auch eine breitere Zielgruppe anspricht, werden regionale Messen genannt, wie sie bundesweit auch in kleineren Städten zu Hunderten stattfinden. Naheliegend erscheint der Vorschlag, eine Messe mit maritimen Themen zu etablieren (unser Ideenbeitrag: „Maritima Wilhelmshaven“ mit Infos zu Wassersport/-tourismus, Schiffszubehör, Präsentation von Werften, Liegeplätzen etc). Einen Versuch ist es allemal wert.
Spannend wird die Aufgabe, die unterschiedlichen Erwartungen einer wenig betuchten bzw. bescheidenen lokalen Bevölkerung mit denen eines anspruchsvolleren Tagungs- und Veranstaltungspublikums unter einen Hut zu kriegen. Solarien und Spielhallen würden laut Umfrage Ersteren entgegenkommen, bei auswärtigen Gästen aber vermutlich einen „billigen“ Eindruck erwecken. Hier wird man glasklare Entscheidungen in einer Richtung fällen müssen.
Unterm Strich werden neben den skizzierten Veranstaltungen den Sparten „Fachhandel“ sowie „Gesundheit & Spa“ hohe Chancen in einem zukünftigen Nutzungskonzept eingeräumt, während eine Markthalle oder der Einzelhandelsmix keinen Erfolg versprechen.

Marketing mangelhaft

„Die Analyse des Veranstaltungsaufkommens in der Stadthalle macht deutlich, dass die Zahl der Veranstaltungen und die der Besucher von einem in den Anfangsjahren hohen Niveau kontinuierlich zurückging. Dies gilt sowohl für den Tagungs- und Kongressmarkt, der sich in der gleichen Zeit in der gesamten Bundesrepublik mit hohen Zuwachsraten zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für die Städte und Gemeinden entwickelte. Dies gilt aber auch für den Bereich der Kultur- und gesellschaftlichen Veranstaltungen, die in Wilhelmshaven ständig an Bedeutung verloren. Die Gründe für diese Negativentwicklung … können nicht allein der mangelnden Attraktivität und Anziehungskraft des Jade-Zentrums zugeschrieben werden. Zahlreiche Stadthallen und Veranstaltungszentren mit weniger ansprechender Hülle verbuchten deutschlandweit durchaus Zuwachsraten. Der Hauptgrund für die Entwicklung in Wilhelmshaven liegt vielmehr in der mangelnden Vermarktung des touristischen Standortes insgesamt und in einer äußerst zurückhaltenden Akquisition im Veranstaltungsmarkt.“ (ggh-Konzept Teil II S. 10-11). Neben baulichen Veränderungen ist also ein Marketingkonzept das Kernstück einer erfolgreichen Zukunft für das Jadezentrum.
Unverständlich bleibt, warum dieses Gutachten bzw. die daran Beteiligten so lange in der Schublade gehalten werden. Zwar legt die ggh offen, dass die Probleme zum Teil hausgemacht sind. Doch in der Schelte für hiesige Marketing-Verantwortliche liegen gleichzeitig Chancen, es zukünftig besser zu machen. Vor allem zeigen die Verantwortlichen der Stadt, die entgegen anders lautender Behauptungen durchaus am vorgestellten Nutzungskonzept beteiligt sind, dass sie das Problemkind Jadezentrum nicht aussitzen, sondern anpacken wollen. Dafür hätten sie unter anderen Umständen eigentlich ein Lob verdient.

 

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