Aufgespießt
Unlängst stolperte ich in der WZ über folgenden Brief an „Jan“: „Lieber Jan! Gestern habe ich einen Bummel über den Weihnachtsmarkt gemacht. Das Lied ‚ave maria’ ertönte. Es roch nach Glühwein und Bratwurst. Eben so, wie es auf einem Weihnachtsmarkt duftet. Aus der Ferne entdeckte ich ein riesiges rosa Schweinchen. Meine Neugier war geweckt. Hatten sich die Schausteller etwas einfallen lassen und solch ein ‚Riesenschweinchen‘ aus Marzipan gefertigt? Aus der Nähe betrachtet, musste ich entsetzt feststellen, dass es sich um ein echtes Schweinchen handelte, ein Spanferkel am Spieß. Meine Stimmung war hinüber, hatte ich doch gerade den netten Kinderfilm mit dem Schweinchen ‚Babe‘ gesehen. Ob es anderen Menschen auch so geht wie mir?“
Na hoffentlich! Nehmen wir das zum Anlass, jetzt zur Weihnachtszeit, dem Fest der Liebe und der Völlerei, mal unsere kulinarischen Gewohnheiten zu überdenken. Merke: Auf dem Markt riecht es nach Bratwurst. Die ist auch aus „Babes“ gemacht, nur sieht man das nicht mehr, weil „Babe“ durch den Wolf gedreht und dann in seinen eigenen Darm gestopft wurde. Insofern ist das „Babe am Spieß“ eine ehrlichere Haut, denn es zeigt dem, der es isst, was es ist.
Ähnlich verhält es sich mit den Kaninchen, die unlängst erst vor dem Bräter gerettet und dann im Garten der Halterin heimtückisch von Unbekannten ermordet wurden. Die Belohnung für die Ergreifung der Missetäter wurde mittlerweile auf 200 Euro heraufgesetzt. Die habe ich mir leicht verdient: Geh ich in den Supermarkt, guck ich in die Kühltruhe und notiere mir die Namen der Schlacht- und Frostbetriebe, die jährlich Millionen von süßen „Hasen“ um die Ecke bringen. Vorausgesetzt, die trauernde Tierhalterin ist Vegetarierin, gilt ihr natürlich unser Mitgefühl. Aber warum wird der Vorfall derart aufgeblasen in der Lokalzeitung, die jetzt alle Naselang Werbung für Tiefkühl-Kleintiere abdruckt? Das ist ebenso verlogen, wie wenn jemand, mit der Bratwurst in der einen Hand, mit der anderen vorwurfsvoll auf die Spanferkelgriller zeigt.
Wer kein Problem damit hat, dass Tiere geschlachtet werden und zumeist, im Interesse billiger Angebote, schon vorher leiden müssen, soll weiter Fleisch essen. Andernfalls sollte er es ganz lassen und nicht unterscheiden zwischen „süßen“ Kuscheltieren und anonymen, abgezogenen, eingeschweißten und tiefgefrorenen Schlachttieren.
Es gibt noch einen Kompromiss: Fleisch aus artgerechter, ökologischer Tierhaltung. Das ist natürlich „teurer“ als die Massenware, aber unterm Strich preiswerter. Es ist gesünder und von besserer Qualität. Und wenn es doppelt so viel kostet wie Fleisch aus Intensivtierhaltung, dann isst eben jedes Familienmitglied nur halb so viel Fleisch, das ist dann noch mal gesünder. Eine Alternative sind z. B. auch Wild oder unsere Deich- und Salzwiesenschafe – auch die haben zumindest glücklich und frei gelebt, ehe sie ihren letzten Gang Richtung Kochtopf angetreten haben.
In diesem Sinne: Ein frohes Weihnachtsfest für unsere LeserInnen und unsere Mitgeschöpfe im Stall und auf der Weide! (iz)
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