Recycling
Mrz 171993
 

Öko-Nische

Wilhelmshavener Recyclinghof steht kurz vor seiner Inbetriebnahme

(AGM/jm) Die Aktionsgemeinschaft gegen Müllverbrennung (AGM) hatte einen Besuchstermin in der Admiral-Klatt-Str. 43-45. Hier bauen fünfundzwanzig ABM-Kräfte – Beschäftigte des zukünftigen Betreibers „Beratung, Kommunikation und Arbeit e.V.“ (BKA) – im Auftrag der Stadt einen Recyclinghof auf.

Als wir durch die Tür im hochverbretterten Eingangsbereich auf das Grundstück gelangten und uns Orientierung suchend umschauten, stachen uns zunächst zwei verputzte Flachbauten im Vordergrund und eine dahintergelegene fabrikartige Halle ins Auge, die wie willkürlich in ein unwirtliches Gelände hineingestellt wirkten.
Ein auf dem Holpergrund abgestellter weißlackierter kastenförmiger Lastwagen mit den Riesenlettern Recyclinghof Wilhelmshaven auf lila Grund gab uns die Gewißheit, an der richtigen Adresse zu sein. Gleich darauf finden wir uns bei unseren Gesprächspartnern, dem Leiter der Umbau- und Instandsetzungsarbeiten Jochen Grimm und dem städtischen Umweltberater Andreas Wylenzek, ein. Sie führen uns nach der Begrüßung zunächst durch nagelneue Büro-, Aufenthalts-, Verkaufs-, Umkleide-, Heizungs- und Sanitärräume und sparen nicht mit Lob für die ABM-Werker, die – bis auf den Rohbau – innerhalb weniger Wochen vom Parkettfußboden an aufwärts alles erneuert haben. Nur die vorgesehenen Sonnenkollektoren auf dem Dach sind noch nicht installiert.
Im letzten Raum verweilen wir etwas länger: „Der Seminarraum wird der Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit dienen“ erklärt Herr Wylenzek. „Hier sollen später für Schulklassen, Kindergärten sowie Gruppen, die was mit Abfall, Abfallvermeidung, Abfallverwertung zu tun haben, Seminare abgehalten werden. Wir planen hier auch Dia-Vorträge für Interessierte zu halten und den Raum für abfallwirtschaftsbezogene Ausstellungen zu nutzen.“

Wir betreten eine große Halle von 30 mal 12 Metern Bodenmaß. Hoch über unseren Köpfen hängt eine Laufkatze, die im Hallenviereck flächendeckend Lasten anheben, transportieren und absetzen kann. Wylenzek: „Diese ehemalige Fabrikhalle gehört jetzt zur städtischen Liegenschaft. Wir sind froh, sie wegen ihres vergleichsweise guten Zustandes und dem günstigen Standort des Werksgeländes innerhalb eines dicht besiedelten Stadtteils für den Betrieb eines Recyclinghofs zur Verfügung gestellt bekommen zu haben.“
Aber auch die Arbeitsbedingungen scheinen uns – im Rahmen dieses im Verhältnis zum Wilhelmshavener Abfallaufkommen leider sehr bescheidenen Recyclingprojektes – bei einer Arbeitsfläche von 360 m2 optimal zu sein. Da sind die vier Meter tiefen Seitentaschen, die für die Zwischenlagerung sortierten Recyclingguts genutzt werden sollen, noch gar nicht mit eingerechnet.

„Mit dem Recyclinghof wollen wir die vorhandene Nische zwischen geplanter Gewerbemüllsortierung und den Sammelsystemen der GMA (Sammelcontainer für Glas und Papier, Gelber Sack und Grünabfälle) füllen. Denn in der Stadt fallen jährlich 3.500 t Sperrmüll an, die von diesen Systemen nicht erfaßt werden. Deshalb werden wir das Schwergewicht unserer Arbeit auf die Sammlung brauchbarer bzw. erneuerbarer Möbel und auf Metallgegenstände – z.B. Waschmaschinen – legen. Die Möbel werden hier wieder gebrauchsfertig gemacht und beispielsweise übers Sozialamt an Bedürftige weitergegeben. Die Metallteile werden hier zerlegt und sortiert. Das mindert nicht nur den Abfallberg, sondern bringt auch Geld.“
Für die Abholung sei in Erweiterung der jetzt noch vom Stadtreinigungsamt ausgegebenen Bestellkarte eine zweigeteilte Karte – für verwertbares Sperrgut und für Sperrmüll – vorgesehen, sodaß der Bürger eintragen kann, was vom Recyclinghof und was von der Müllabfuhr abgeholt werden solle. „Die wöchentliche Tourenplanung muß dann in enger Abstimmung zwischen unseren Fahrzeugen und den Presswagen der Müllabfuhr erfolgen, wobei unsere vorne weg fahren müssen, um die verwertbaren Stücke aufzuladen, bevor der liegengelassene Rest im Preßwagen verschwindet.“
Wir treten ins Freie. Jochen Grimm und Andreas Wylenzek lassen vor unserem geistigen Auge ein total verändertes eingeebnetes Gelände entstehen: weitgehend gepflastert mit Zu- und Abfahrtspuren, Ent- und Beladerampen, Parkflächen, überdachten Behälterstellplätzen für Wertstoffe wie Hohlglas, Papier, Metall usw., einer „grünen Insel“ mit verschiedenen Demonstrationskompostieranlagen und natürlich Stellplätzen für den eigenen Fahrzeug- und Gerätepark.
Immerhin nennt man schon zwei Lastwagen und einen mobilen Schredder sein eigen. Dazu soll schon bald ein Geschirrmobil kommen.
Die Außenrenovierungen (Bodenarbeiten, Gebäudeanstriche) sollen sofort nach der Frostperiode beginnen und man hofft es dann nach wenigen Wochen geschafft zu haben. Nach der offiziellen Eröffnung können dann auch Altstoffe aus den Haushalten dort abgegeben werden.
Und wer bezahlt das alles? „Das Arbeitsamt hat der Stadt Gelder aus ihrem „490 Mio-Programm“ (Rahmenprogramm für förderungswürdige ABM-Projekte) bewilligt. Die Finanzierung erstreckt sich über einen Zeitraum von zwei Jahren, von Dez. ’92 bis Dez. ’94.

Kommentar:

Erfreulich, daß endlich auch Wilhelmshaven einen Recyclinghof bekommt. Erfreulich, daß der Verein BKA von der Stadt mit dem Betrieb betraut wird, denn diese Leute haben in der Vergangenheit bewiesen, daß sie was auf die Beine stellen und ihre ABM-Kräfte handwerklich sauber arbeiten können. Erfreulich auch, daß der Recyclinghof verwert- und verwendbares Sperrgut vor der Müllkippe rettet.

Getrübt wird die Freude durch die Tatsache, daß
  • die ABM-Maßnahmen mal auslaufen werden und somit die Zukunft des Recyc1ingshofs ungewiß ist
  • der Recyclinghof weit weniger als ein Promille des Wilhelmshavener Abfallaufkommens vor der Müllkippe retten kann
  • solche ökologisch fortschrittlichen und gesellschaftlich nützlichen Projekte unter den gegebenen Machtverhältnissen ein ungewisses Mauerblümchendasein mit stark beschränkten Entwicklungsmöglichkeiten fristen müssen.

Vom Vorschlag der AGM in einer Denkschrift – dem Rat der Stadt anläßlich einer Bürgeranhörung vorgelegt – ist diesbezüglich kaum mehr als der Name „Recyclinghof“ übriggeblieben. Die AGM hatte damals vorgeschlagen, den gesamten Wilhelmshavener Haus- und Gewerbemüll und die Altstoffe zur Entgiftung und Sortierung über einen Recyclinghof zu leiten, um neben der Wertstoffrückgewinnung auch die Problemstoffe aus dem Restmüll rauszukriegen. Aber solche Art Herangehensweise ist derzeit leider nicht kompatibel mit den politischen Rahmenbedingungen. Im Gegenteil: Letztere werden vom Bundesumweltministerium zielstrebig auf die Verpflichtung zur Müllverbrennung zurechtgebogen, wie sich das im Entwurf der neuen TA-Siedlungsabfall andeutet.

Jochen Martin

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