Demografische Probleme
Aug 252004
 

Befindlichkeiten

Eine Praktikantin kann demografische Probleme der Stadt nicht lösen

(iz) „Wilhelmshavener lieben ihre Stadt.“ So bewertet man im Rathaus erfreut die Ergebnisse einer Umfrage zur Zufriedenheit der BürgerInnen mit ihrem Wohnort. Im Rahmen unserer losen Serie zur demografischen Entwicklung haben wir uns diese Arbeit näher angeschaut. Sie bietet viele Ansätze, um die seitens der Stadt geplante umfassende Befragung optimal zu strukturieren.

Das Umfrageprojekt „Stimmungslage der Wilhelmshavener gegenüber ihrer Stadt – unter besonderer Berücksichtung der für das Stadtmarketing interessanten Bereiche“ entstand im Rahmen eines 3monatigen Praktikums. Bearbeiterin der Befindlichkeitsstudie ist die gebürtige Jeveranerin Claudia Janssen. Sie studiert Soziologie, Neuere Geschichte und Medienwissenschaften an der TU Braunschweig und hat zusammen mit einem ihrer Professoren den Fragenkatalog strukturiert. Bis auf ein paar Änderungen stieß er auf Zustimmung der Stadtverwaltung.
Das Einwohnermeldeamt steuerte etwa 300 Adressen von EinwohnerInnen bei, die nach bestimmten Kriterien die Bevölkerung repräsentieren sollten, so Pressesprecher Arnold Preuß. 200 davon konnte Frau Janssen im Frühjahr 2004 telefonisch befragen. Es waren insgesamt 85 Fragen zu den Bereichen „Zufriedenheit“, „wirtschaftliche Stimmung und Verbundenheit“ und „Information und Kommunikation“.
Die Befragten (Probanden) wurden nach Alter, Geschlecht und ihrer Herkunft (5 Postleitzahlbereiche) innerhalb der Stadt eingeteilt (City, Heppens, Rüstersiel/Altengroden/Neuengroden, Sengwarden/Fedderwardergroden/Fedderwarden, Aldenburg/Wiesenhof).

Die Umfrage als .pdf-Datei zum Runterladen: Umfrage
Fragebogen und Tabellen sind unter www.wilhelmshaven.de abrufbar.

Der Fragebogen
Die Befragung gliederte sich wie folgt:
1. Allgemeine Verteilung der Stichprobe
Alter, Geschlecht, Postleitzahl, Wohndauer
2. Stadtbild
Sauberkeit, optischer Gesamteindruck
3. Beurteilung der Verkehrswege im Innenstadtbereich
4. Zufriedenheit mit dem Einkaufsangebot
5. Parken
6. Sicherheit
7. Sportangebot
8. Kulturangebot
9. Gastronomie
10. Angebot für Kinder
11. Wirtschaftliche Stimmungslage (inkl. JadeWeserPort …)
12. Verbundenheit
13. Information und Kommunikation

Bis auf „Leben Sie gern in WHV? Ja/Nein“ konnte zu jeder Frage bzw. deren Untergliederungen (z. B. Sicherheit Innenstadt Tag / Nacht) die Einschätzung auf einer Skala von 1 bis 5 eingestuft werden.

Außen hui, innen pfui?

Die Reihenfolge und Gewichtung und die Art der Fragen erwecken den Eindruck, als sollten die Befragten und die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung gedrängt werden.
Frage 1 lautet: „Leben Sie gern in Wilhelmshaven?“ und greift damit allen folgenden Fragen vor. Der Proband kann sich seine Antwort auf diese Kernfrage merken und – wenn auch unbewusst – alle anderen Antworten dazu „passend“ geben, um sich nicht zu „blamieren“. Ans Ende gestellt, hätte die Frage eine Kontroll- und Analysefunktion gehabt: Nachdem der Proband alle Einzelkriterien beantwortet hat, deren Beantwortung er im Nachhinein unmöglich erinnern kann, hätte man schauen können, inwiefern seine Gesamtbewertung mit dem Ergebnis der Einzelbewertungen korrespondiert.
Es folgen 6 Fragen zum Thema „Sauberkeit“. Die Probanden können die Sauberkeit von Nordseepassage, Fußgängerzone/Marktstraße, Parkanlagen und Grünflächen, Südstrand, Spielplätzen und „in ihrem Stadtteil“ benoten – aber nicht äußern, was sie darunter verstehen: Hundehaufen, Graffitis, ungemähten Rasen, Obdachlose, Hakenkreuze? Und warum steht das Thema weit vor Arbeitslosigkeit, Kulturangeboten und Kinderfreundlichkeit? Will man Klischees der gefürchteten Tageszeitung bedienen, ist der äußere Eindruck wichtiger als soziale und kulturelle Werte?
Auf Platz 3 folgt der „optische Gesamteindruck der Innenstadt“ (Nordseepassage, Fußgängerzone, Parkanlagen und Grünflächen, Südstrand). Aber was verstehen die Befragten darunter? Manche mögen keine Altbauten, andere finden die Nordseepassage hässlich, manche stehen auf Begonien, andere auf Biotope. Und wie steht’s mit dem optischen Eindruck des eigenen Stadtteils, ist der nicht wichtig? Das alles bleibt offen.
Auf Platz 4 wird die Qualität von Straßen, Fuß- und Radwegen in der Innenstadt abgefragt – aber nicht, wie sich die Probanden bevorzugt bewegen. Notorische Autofahrer finden die Radwege möglicherweise OK, Radfahrer hätten gerne welch an den Hauptstraßen, Rollstuhlfahrer hätten es vielleicht gern alles ein bisschen ebener.
Vieles, was wichtig zu wissen wäre, wird gar nicht abgefragt. Zum Beispiel, ob das Angebot an Kindergarten- und Hortplätzen ausreicht. Die (unangenehme) Antwort kennt man schon aus der bundesweiten Demografiestudie: 48 Plätze pro 100 Kinder sind nicht die Welt. Stattdessen sollten die Probanden beurteilen, ob das Angebot an Veranstaltungen für Kinder ausreichend ist. Beschäftigungstherapie? Haben Kinder ausreichend Spiel-Räume, um eigene Fantasie zu entwickeln, dann brauchen sie nicht dauernd Berieselung mit Karaoke-Wettbewerb oder was gerade so trendy ist.
Es wird gefragt, ob genug Parkplätze vorhanden sind, aber nicht, ob Netzplan und Bedienungstakte der Busse ausreichen. Es wird nach Parkanlagen gefragt, aber nicht nach Naturschutzgebieten.
Und nirgends wird das Warum abgefragt. Was heißt „Beurteilung des Spielplatzangebotes“? Die Zahl, die Größe, die Ausstattung? Manche Eltern mögen DIN-genormte und –geprüfte Spielgeräte bevorzugen, für andere stehen kindliche Bedürfnisse nach Versteck- und Gestaltungsmöglichkeiten im Vordergrund. Die es am besten beurteilen könnten, nämlich die Kinder selbst, werden erst gar nicht gefragt.
Warum fühlen sich Leute nachts in der City unsicherer als in F’Groden? Warum finden die Heppenser ihren Stadtteil dreckiger als die Aldenburger? Sind einzelne Stadtteile wirklich sicherer oder sauberer, oder haben die Leute, die jeweils dort wohnen, verschiedene Maßstäbe und Prioritäten?
Unterm Strich handelt es sich um eine Zustandserfassung nach ausgewählten, zum Teil oberflächlichen Gesichtspunkten. Sie orientiert sich nur vereinzelt an den Kriterien der bundesweiten Studie, was es ermöglicht hätte, Stärken und Schwächen der Stadt zu differenzieren. Den Befragten werden die Kriterien für Wohl- bzw. Unwohlsein vorgegeben, ohne sie zu fragen, was für sie eigentlich Lebensqualität bedeutet und was sie von einer Stadt erwarten, was ihnen wichtig ist und was weniger wichtig, um sich dort wohl zu fühlen. Solche so genannten offenen Fragen sind natürlich viel aufwändiger in der Auswertung, aber sie bringen wesentlichen Erkenntniszuwachs.

Eulen nach Athen

UmfrageEs werden nur Leute befragt, die – warum auch immer – in Wilhelmshaven wohnen. Spannender wäre es, Leute zu fragen, warum sie gerade weggezogen sind oder gar nicht erst hierher ziehen. Denn vordringliches Problem ist es, den derzeitigen Bevölkerungsschwund der Stadt aufzuhalten. Man würde viel über das Außenbild der Stadt erfahren, könnte schauen, was daran stimmt und somit verbesserungswürdig ist, bzw. was vielleicht „draußen“ verzerrt ankommt.
Frau Janssen sind die Mängel der Untersuchung nicht anzulasten. Sie hat keine Examensarbeit vorgelegt, sondern ein Praktikum absolviert und in diesem begrenzten Rahmen eine Fleißarbeit bewältigt. Eine umfassende Bürgerbefragung seitens der Stadt ist gerade in Vorbereitung. Im September wird die Verwaltung das Konzept vorstellen, das derzeit unter Federführung von Stadtbaurat Klaus Kottek entsteht, teilte uns Pressesprecher Arnold Preuß mit. Man will sich dabei auch Erfahrungen anderer Städte zu Nutze machen.
Quasi als Vorstudie bietet Frau Janssens Praktikumsarbeit eine Grundlage, um die „große“ Befragung optimal zu strukturieren. Es ist wichtig, herauszufinden, was hier nach Ansicht von BürgerInnen und Auswärtigen nicht so gut läuft. Wenn es nur wieder darum geht, ein möglichst positives Licht auf Stadt und Rathaus zu werfen, dann kann ja alles so weitergehen wie bisher. Und das geht in die Hose.

Ausgewählte Ergebnisse
In den Tabellen ist jeweils die absolute Häufigkeit der Nennungen von 1 bis 5 aufgeführt. Die Spalten mit den Prozentwerten sind leider nicht nutzbar, da (vermutlich bei der Umwandlung für die Internetfassung geschehen) vorm Komma die erste Stelle zweistelliger Zahlen fehlt. So bleiben nur die Grafiken im Ergebnisbericht, die die Einzelergebnisse der verschiedenen Fragen nur zusammenfassend darstellen.
93% leben gern in Wilhelmshaven
83% fühlen sich mit der Stadt verbunden
69% glauben, dass der JadeWeserPort einen Aufschwung bringen wird
41% meinen, dass sich die wirtschaftliche Situation der Stadt in Zukunft verschlechtern wird
23% sind mit der Sauberkeit von Park- und Grünanlagen zufrieden
über 60% der Einwohner im Wiesenhof/Aldenburg finden ihren Stadtteil sauber
42% halten die Optik der Fußgängerzone für mittelmäßig
63% finden die Spielplätze schlecht
jeweils 88% finden die Straßen bzw. Radwege in der Innenstadt mittelmäßig bis sehr schlecht
57% vermissen Poststellen
82% sind zufrieden mit dem Lebensmittelangebot
64% möchten mehr Musikgeschäfte
13% halten das Möbelangebot für gut
Die Heppenser (60%) sind am zufriedensten mit dem Einkaufsangebot in ihrem Stadtteil, die Einwohner im Stadtnorden sind am unzufriedensten (50%)
45% finden das Parkplatzangebot in der Innenstadt schlecht bis sehr schlecht
21% fühlen sich tagsüber in der Innenstadt sehr sicher, nachts nur 5%
Im Wiesenhof /Aldenburg fühlt man sich auch nachts sicher (60%)
In der City haben fast 40% der Einwohner nachts Angst
60% sind unzufrieden mit den Freibädern, 65% geben dem Hallenbad schlechte Noten
52% gefällt das Theaterangebot
26% finden das Museumsangebot schlecht
70% möchten mehr / bessere Musikveranstaltungen
Etwa 90% gefällt das gastronomische Angebot
43% können nichts mit den Diskotheken anfangen
61% möchten mehr / bessere Veranstaltungen für Kinder
56% bewerten die Spielplätze als schlecht

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