Rechtschreibreform
Aug 252004
 

Müßiges Thema

Rücknahme der Rechtschreibreform: Was soll der Krakeel?

Geht es darum, die Saure-Gurken-Zeit zu überbrücken? Soll das Thema von anderen Problemen ablenken? Oder ist es wirklich ein Thema? Dies war auf einer der letzten Redaktionssitzungen die Frage einer Gegenwindlerin. Vermutlich ist von jedem ein bisschen. Müßig ist das Thema auf jeden Fall.

Schriftsteller und Verlage haben die Reform von Anfang an beklagt. Was Leute, die professionell mit Sprache umgehen, an dem neuen Regelwerk bemängeln, ist auch wirklich schrecklich: Dass man schriftsprachlich nicht mehr unterscheiden kann zwischen einem frisch gebackenen Brot und einem frischgebackenen (das dürfen wir so eigentlich nicht mehr schreiben) Ehepaar, nervt mich auch. Aber wie vielen Leuten fällt so etwas überhaupt auf?
Ministerpräsident Wulff war einer der Ersten, die nach langem Schweigen anfingen zu meckern. Er will von seinem Kultusminister Busemann gehört haben, dass die Rechtschreibreform ihren Zweck, die Fehlerzahl der Schulkinder zu senken, nicht erfüllt habe. Wer beruflich mit der Rechtschreibung von Schulkindern zu tun hat, wird damit auch gar nicht erst gerechnet haben. Und wer – wie ich – mit rechtschreibschwachen Kindern zu tun hat, hat mit der Rechtschreibreform noch den geringsten Kummer. Dass man „daß“ jetzt „dass“ schreibt, daran konnten sowohl meine Kinder als auch ich uns schnell gewöhnen. Ich zuckte aber monatelang jedes Mal ein bisschen zusammen, wenn ich hinter einem Linienbus mit dem Werbespruch, in dem „dass Richtige“ stand, herfuhr. (Der Unterschied zwischen dass/daß und das ist das Schwierige, das manche – auch gebildete – Leute ihr Leben lang nicht raffen.) Dass ich nicht mehr mit Rauhfaser, sondern mit jetzt Raufaser tapeziere, stört mich wenig, doch ich muss schon grinsen, wenn ich hinter einem Auto herfahre, auf dem ich lese, dass ich in einem Wilhelmshavener Restaurant „Früstück“ bekomme.
Sollte Wulffs Ablehnung der neuen Rechtschreibung damit in Zusammenhang stehen, dass er beim „großen Deutschtest“ von RTL im Frühsommer deutlich über 10 Fehler gemacht hat? Zeitlich gibt es diesen Zusammenhang – vor dieser Fernsehsendung habe ich ihn nicht darüber reden gehört. So viele Fehler konnte man da aber gar nicht machen, wenn man korrekt die alte Rechtschreibung anwandte. Und deshalb geht es auch nicht darum zu verhindern, dass die Leute schreiben, wie sie wollen. Die Leute schreiben, wie sie können. Und fehlerfrei (also jeweils regelgerecht) schreiben können nur ganz wenige. An die 35 Fehler in dem Diktat, in dem unser Ministerpräsident zwischen 12 und 20 gemacht hat, das war die Durchschnittsleistung aller, die es mit Wulff probiert haben, und die haben es so gut gemacht, wie sie es konnten. Wahrscheinlich konnte man auch das fehlerreichste Diktat noch lesen und verstehen, und das ist doch wohl der Zweck von Schriftsprache, oder?
Ablenkungsmanöver? In Niedersachsen könnte man von der Kritik an der Schulreform ablenken wollen. Vielleicht ergänzend zu Busemanns Eigenlob, das in der vergangenen Woche um den Schuljahrsanfang rum breit veröffentlicht wurde.
Füllen der Saure-Gurken-Zeit? Mit Sicherheit. Die „WZ“ widmete einer ihrer absolut überflüssigen Mittwochsfragen dem Thema und ließ Schulleiter und andere Menschen dazu Stellung nehmen.
Wirklich ein Thema? Bestimmt nicht für viele. Ich lese viel, und bei manchen Büchern fällt mir frühestens auf Seite 100 auf, ob es in alter oder neuer Rechtschreibung gesetzt ist. Wer lesen kann, versteht jeden Text, der in einer der beiden Schreibweisen einigermaßen richtig geschrieben ist. Sollen die Leute doch tatsächlich schreiben, wie sie wollen! Ich jedenfalls nehme mir die Freiheit, im Gegenwind das frischgebackene Ehepaar ebenso zu erwähnen wie einen Politiker damit zu konfrontieren, dass er etwas „gutgenickt“ hat (nach den neuen Regeln müsste man „gut genickt“ schreiben, und wer würde das auf Anhieb verstehen?) (sh. Interview mit Norbert Schmidt im Gegenwind 200). Da es aber nun mal Rechtschreibregeln gibt und da viele mögliche Fehler die Verständlichkeit eines Textes beeinträchtigen könnten, sollten z.B. Zeitungen schon bemüht sein, die eine oder andere Rechtschreibung einzuhalten. Mir tut es weh, wenn ich schon vor dem Frühstück lese, dass „Bussfahrpläne“ geändert werden müssen oder „Schülerlotzen“ wieder eingeführt werden sollen (beide Beispiele aus WZ-Ausgaben der vergangenen Woche) – wo Lotsen sich doch noch nie auf „kotzen“ gereimt hat!
Anette Nowak

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