Öffentlicher Personennahverkehr
Aug 252004
 

Frust und Geblubber

Weitere Einblicke in das neue ÖPNV-System

(noa) „Lohnt sich das Umsteigen?“, fragten wir uns in der Ausgabe 200. Unser Artikel über den neuen Fahrplan der Verkehrsgesellschaft GmbH hat mehr Staub aufgewirbelt, als wir erwartet hätten. Warme Zustimmung zu, aber auch Kritik an unserer Kritik, Richtigstellungen und Ergänzungen kamen gleichermaßen als Rückmeldung.

Vorweg: Sorry!

Ein kleiner Fehler ist uns im Artikel in der letzten Ausgabe unterlaufen: Die Beschäftigten des Arsenals fahren nicht mit dem Bedarfsverkehr der Linie 2 zur Arbeit, sondern ganz regulär mit der Linie 1. Hier haben wir die Beschäftigten des Stützpunktes gemeint, für die bei Bedarf ein Shuttle-Bus eingesetzt wird. Und da wir nicht nur meckern wollen: Unsere Kritik, „für Arbeitnehmer im Industriegelände West … ist der Wilhelmshavener ÖPNV überhaupt keine Alternative zum Auto“, ist unberechtigt gewesen. Die alte Linie 14 fuhr jahrelang leer zu Krupp und KSW, weil die damaligen Beschäftigten dieser Betriebe wohl einfach lieber ihr Auto benutzten. Dass heute noch täglich ein Bus mit nur einem Passagier, der zu den Groden-Industrieflächen muss, nach Alt-Voslapp fährt, bringt uns auf eine Idee: Könnte der eine Fahrgast nicht zum Busfahrpreis ein Taxi kriegen? Das wäre eine Einsparmöglichkeit, und ums Sparen geht es bei den Neuerungen in Wilhelmshavens Busverkehr.

Wenn Kühe ihre Kälber melken wollen

Was unser städtischer Verkehrsbetrieb mit der Umstellung der Fahrpläne da versucht hat, das hätte man früher wahrscheinlich als „Quadratur des Kreises“ bezeichnet: Einsparungen, ohne dass die Fahrgäste es merken. Als städtische Tochter soll die Verkehrsgesellschaft künftig nicht nur kein Defizit mehr einfahren (welches vordem von den Wasserwerken immer ausgeglichen wurde, nun aber wegen der Herausnahme der Wasserwerke aus den Stadtwerken im Jahr 2000 schmerzlich sichtbar ist), sondern sogar an ihre Mutter, die Stadt, jährlich 2 Mio. Euro abführen. Soviel vorweg: Das war von Anfang an zum Scheitern verurteilt; so viele Mehreinnahmen bei gleichzeitigen Minderausgaben kann ein ÖPNV einfach nicht machen, und schon gar nicht in Wilhelmshaven, wo das Radfahren so bequem ist und die Busse bei schönem Wetter einfach nicht von vielen Menschen angenommen werden. Ein paar Berge müssten her!
Die kriegen wir nicht, wohl aber eine neue Gesellschaft. Eigens zur Verbilligung des Personals wurde die „Fahrbetriebsgesellschaft“ gegründet. Sie stellt die neuen Fahrer der Verkehrsgesellschaft ein, und zwar für einen deutlich geringeren Lohn. Das ist eine Möglichkeit, Lohntarife zu unterlaufen. Die nächste Möglichkeit hierzu wird sich 2008 ergeben. Ab dann müssen sich die Kommunen an europaweiten Ausschreibungen beteiligen, und dann kann passieren, was wir vor einigen Jahren schon einmal befürchtet haben, dass nämlich der billigste Anbieter genommen wird und seine Fahrer, die dann des Deutschen nicht mächtig sind, mitbringen wird. (Gegenwind 154, „Sozialdumping“)

Schneller als die Polizei erlaubt

Acht bis neun Personalstellen spart die Ausdünnung des Fahrplanes (20-Minuten-Takt gegenüber 15-Minuten-Takt vorher) schon mal ein. Außerdem werden die Busfahrer aber recht erbarmungslos gehetzt. Dafür ein paar Beispiele: Die Linie 3 fährt von der Wohnstadt West über die Güterstraße zur Banter Kirche. Auf dieser Strecke gibt es sieben Haltestellen und fünf Ampeln. Rechnet man, wie es üblich ist, pro Haltestelle eine Minute und, wenn eine Ampel dazwischenliegt, zwei Minuten, dann dauert diese Fahrt 12 Minuten – 7 Minuten sind es laut Plan! Sehr ärgerlich für die Fahrgäste, die sich auf den Plan verlassen und zu spät kommen. Dasselbe Problem stellt sich für die Leute aus Altengroden, die zum Rathaus müssen: Die Linie 6, die sie früher genommen haben, fährt nicht mehr durch Altengroden, sondern verkehrt zwischen dem RNK und Voslapp-Süd. Stattdessen fahren sie jetzt mit der Linie 4 von der Johann-Sebastian-Bach-Straße zum RNK und steigen dort in die Linie 6 um. Die bekommen sie – jedenfalls nach Plan. Der Plan ist nämlich, dass die 4 von der Bachstraße in 7 Minuten am RNK ist, und das kann nur klappen, wenn niemand einsteigt.

Sagt ein Busfahrer zum andern:
„Der Plan ist gut, nur das Anhalten stört.“

In diesen beiden Fällen schaffen die Busse es manchmal, und manchmal eben nicht. Die Zeiten sind so knapp kalkuliert, dass eine Mutter mit Kinderwagen, ein Pulk alberner Jugendlicher oder eine Omi mit Rollator so viel Zeit kosten, dass es nicht reicht.
Nicht einmal nach Plan möglich ist es, von Vorlapp zum Rathaus zu fahren, ohne am Bismarckplatz eine deutliche Zwangspause einzulegen: Die Linie 1 kommt dort planmäßig drei Minuten nach Abfahrt der Linie 2 an. Die Planer der Verkehrsgesellschaft haben eine Lösung: Die Voslapper sollen gar nicht bis zum Bismarckplatz sitzen bleiben, sondern in FGroden umsteigen. Für die Voslapper hat das einen Sinn, aber die Leute, die in FGroden südlich der Posener Straße wohnen, würde es bedeuten, dass sie erst mal nach Norden (zur Bushaltestelle Posener Straße) müssten, um dann mit der Linie 6 nach Süden (zum Rathaus) zu fahren.

Science fiction

Auf die vielen Ecken und Kanten des neuen Planes haben die Busfahrer schon vor dem In-Kraft-Treten des neuen Fahrplanes hingewiesen. Etwa einen Monat vor dem 1. Mai haben sie ihn bekommen und Probefahrten unternommen. Einige Knackpunkte wurden danach noch ausgebügelt, aber eben nicht alle. „Was nicht passt, wird passend gemacht“, scheint die Parole geheißen zu haben, und so kam es zu Blüten im Plan, die uns bei den Recherchen zu unserem vorigen Artikel nicht aufgefallen sind, auf die wir mittlerweile hingewiesen wurden. Für die Haltestellen Alt-Voslapp und Leuchtturmstraße steht dieselbe Abfahrtszeit im Fahrplan. Dazwischen liegt allerdings ein Stück Fahrstrecke. StarTrek-Fans wissen, dass man mit TransWarp-Antrieb an zwei Orten gleichzeitig sein kann, aber bekanntlich wird diese Technologie erst in einigen Jahrhunderten entwickelt sein, und auch dann ist es sehr fraglich, ob sie in Wilhelmshavener Linienbussen Verwendung finden wird. Dieselbe Leistung (gleichzeitige Anwesenheit an zwei verschiedenen Plätzen) müssen die Busse der Linie 1 schaffen, wenn sie zweimal am Tag Omi und Opi vom Karl-Hinrich-Stift abholen: Sie müssen gleichzeitig am Stift und an der Nordseestation sein. Da ist es nur konsequent, dass es für die Busfahrer auch keine zusätzliche Zeit gibt, wenn sie am zusätzlichen Haltepunkt Altenheim jemanden einsammeln müssen. Null Minuten darf es übrigens auch nur kosten, wenn Fahrer A Feierabend hat und Fahrer B am ZOB sein Fahrzeug übernimmt. Auch hier könnte StarTrek-Technologie hilfreich sein, mit einer Beam-Vorrichtung ginge das.

Die Lücken der Technik

TransWarp und das Beamen gibt es noch nicht, aber ein anderes Stück moderne Technik hat in Wilhelmshaven Einzug gehalten: die Ampelbeeinflussung. Einige Ampeln erkennen einen sich nähernden Bus und passen sich ihm an, verlängern etwa die Grünphase oder verkürzen die Rotphase. Die 7 Minuten von der Wohnstadt West zur Banter Kirche würden etwas näher in den Bereich der Wahrscheinlichkeit rücken, wenn dort schon die technischen Vorrichtungen zur Ampelbeeinflussung installiert wären, aber das ist noch Zukunftsmusik. Der Fahrplan der Verkehrsgesellschaft ist eben einfach seiner Zeit voraus, oder?! Obwohl er eigentlich seiner Zeit hinterherhinkt, denn die ursprüngliche Planung sah den Einstieg in Wilhelmshavens schöne neue Busplanwelt schon für den 1. Januar vor…

Mehr als erlaubt

Neben den neuen Fahrplänen gibt es seit dem 1. Mai eine weitere Neuerung. In den Bussen können nicht nur die Einzelfahrscheine gekauft werden, sondern alle Arten von Karten. So z.B. die Schülermonatskarte, die auszustellen ein bisschen Arbeit und Konzentration erfordert. Das ist wie das Verkaufen eines Einzelfahrscheins eine Arbeit, die nicht während der Fahrt verrichtet werden darf, weil der Fahrer ja auf den Verkehr achten soll. Aber wer in sieben Minuten von Altengroden zum Krankenhaus muss oder in null Minuten von der Nordseestation zum Altenheim, der kann sich um solche gesetzlichen Spitzfindigkeiten nicht kümmern.
Und so machen die Fahrer es halt während der Fahrt, genauso wie sie während der Fahrt ihrer Informationspflicht nachkommen. Zwar hängt im Bus ein Schild, das es den Fahrgästen untersagt, mit dem Fahrer zu sprechen, aber natürlich gibt dieser Auskunft, wenn man wissen will, wie man weiterkommt.

Wann kommt das Infocenter?

Gegenwärtig passiert es noch häufig, dass Fahrgäste dem Fahrer Fragen stellen müssen, denn (siehe Ausgabe 200): Eine Informations- und Verkaufsstelle fehlt (noch). „… gibt es nur die Touristikinformation in der Ebertstraße, die nebenbei mal eine Busfahrkarte verkauft“, schrieben wir in der letzten Ausgabe, und weiter: „Es seien ‚Bestrebungen im Gange, dieses (Kundenbüro) in Kürze zu installieren.’ Dafür bietet sich der leer stehende Verkaufsraum im Erdgeschoss des ‚Menzelturms’ an der Südseite des ZOB an…“ Nach dem Willen der Verkehrsbetriebe soll dort das Verkaufsbüro entstehen – es sollte schon längst dort sein. Aber hier ist höhere Gewalt oder Ähnliches im Spiel. Der Menzelturm, den die Stadtwerke von der Nordseepassage gemietet haben, ist feucht. Keiner weiß, wie ein so neues Gebäude schon so marode sein kann, aber in den Sozialräumen der Busfahrer im 1. und 2. Stock läuft das Wasser von den Wänden (und es kann nicht vom Sprengen des Menzelturms am 1. April her laufen!!!), und die Verkehrsgesellschaft verlangt von ihrem Vermieter eine Sanierung, die dieser jedoch erst leisten kann (will, wird), wenn er mit dem Architekten geklärt hat, wie es kommen konnte…

Viel Frust für alle

Seit einem guten Vierteljahr fahren unsere Busse jetzt nach den neuen Plänen, und seither lassen täglich mehrere Fahrgäste ihren verständlichen Ärger über die unvermeidlichen Verspätungen an den Fahrern aus. Klar, wen sollen sie sonst anblubbern? Da ist es dann besonders blöd, wenn man unter Zeitdruck während der Fahrt eine Schülermonatskarte ausgestellt hat und der Knabe dann seine Taschen abklopft und grinsend feststellt: „Äh, Geldbeutel vergessen…“ So etwas erleben unsere Busfahrer durchschnittlich einmal täglich, und da ist es verständlich, dass auch sie sich ärgern. Sie blubbern dann allerdings niemanden an, sondern schlucken ihren Ärger runter.

Mehr Geld für weniger Service

Und da kommt zum 1. August, gerade mal drei Monate nach der Ausdünnung der Fahrpläne, auch noch eine Preiserhöhung. Nicht für den Einzelfahrschein, der ist bei 1,60 Euro (Kinder 0,80 Euro) geblieben, aber der Viererblock ist von 5,00 auf 5,20 (Kinder 2,90 auf 3,00) Euro, die 24-Stunden-Karte von 4,20 auf 4,30 Euro, die Monatskarte von 39,50 auf 40,50 Euro, die Schülerjahreskarte von 266,50 auf 272,80 Euro gestiegen – noch mehr Frust und Geblubber, das die Fahrer sich anhören müssen.

Nicht nur zur Sommerszeit

Als besonders kundenfreundlich stellt die Verkehrsgesellschaft es dar, dass es keinen Sommer- und Winterfahrplan mehr gibt, sondern der jetzige Plan für das ganze Jahr gelten soll. Das war ja immer sooo schwierig, sich nun auf den Plan für die andere Jahreszeit einzustellen. Welcher Sinn hinter unterschiedlichen Plänen für Sommer und Winter steckt, ist eigentlich einleuchtend, wobei es hier in Wilhelmshaven nicht unbedingt Eis- und Schneeglätte sind, die die Fahrzeiten verlängern (das passiert hier nicht so häufig wie in den Alpen, und wenn doch mal, haben alle Fahrgäste dafür Verständnis!), sondern die Tatsache, dass die Leute bei Kälte eben doch lieber den Bus als das Fahrrad benutzen. Und wenn es jetzt bei dem strahlenden Fahrradwetter schon nicht immer geklappt hat mit den bewussten sieben Minuten, wie soll es dann klappen, wenn an jeder Haltestelle mehrere Menschen einsteigen wollen? Und so wird es spätestens mit dem ersten Nebel noch mehr Frust geben.

Wohin mit dem Frust?

Für die Busfahrer wäre es schon toll, wenn die Fahrgäste ihren Ärger nicht ihnen, sondern den Verantwortlichen sagen würden. Der Betriebsleiter der Verkehrsgesellschaft heißt Gerold Ahlers, und schätzungsweise weiß er gar nicht, wie viele Fahrgäste sauer sind. Und wir wissen, dass er ein sehr netter Mensch ist, mit dem man sehr gut reden kann. Wichtiger aber noch ist, dem Rat und der Verwaltung die Einsicht zu vermitteln, dass ein ÖPNV wohl kaum kostendeckend, bestimmt aber nicht profitabel sein kann, jedoch, wenn er wirklich gut funktioniert, die Attraktivität einer Stadt enorm steigert.

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