Wer Wind sät ...
Engstler bewirkt Rückschlag für die PVC-Industrie
(hk) Wer viel fragt, kriegt viel Antwort. Diese Binsenweisheit kann der Wilhelmshavener Landtagsabgeordnete Dr. Horst Engstler bestätigen, der unlängst eine Anfrage an die Landesregierung stellte, welche in den „Richtlinien öffentliches Auftragswesen“ PVC als umweltbelastend einstufen will.
Engstlers „Kleine Anfrage“ umfaßt sieben Teilfragen, die Dr. Peter Fischer, niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Technologie und Verkehr namens der Landesregierung detailliert auf sieben Seiten beantwortete. Das Schriftstück stellt eine bemerkenswerte Zusammenfassung der gesamten PVC-Problematik dar.
ist gleich Inhalt zweier der sieben Fragen. Dieser alte Hut ist aus dem lokalen Pressekrieg der PVC-Befürworter hinlänglich bekannt. Niemand hinterfragt dabei die schleichende Vernichtung von Gesundheit und Menschenleben. Auch die Asbest- oder FCKW-produzierende Industrie mußte und muß sich dieser Frage durch gesetzliche Verbote und Beschränkungen stellen.
Fischer stellt hierzu fest, daß die Zahl der Arbeitsplätze bei der ICI Wilhelmshaven (einschließlich ICI Atlantik) etwa 500 beträgt, setzt jedoch die Flexibilität der Industrie hinsichtlich der Umstellung auf umweltverträgliche Produkte voraus.
Daß die ICI angesichts der geplanten Richtlinie nicht laut hurra brüllt, liegt auf der Hand. Dennoch hat sie „den Aussagen des Erlaßentwurfs, Produktionsprozesse so zu gestalten, daß sie energiesparend und umweltverträglich sind, grundsätzlich zugestimmt“, wobei natürlich die weiteren Ziele des Umweltschutzes von ihr „vorbildlich praktiziert“ werden.
Welche andere Aussage wäre auch im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit möglich gewesen? Besser noch: „Gerade auch unter Umweltgesichtspunkten“, so die ICI, „dürfe … PVC nicht von einer Verwendung im Hoch- und Tiefbau ausgeschlossen werden“.
„Werde PVC gleichwohl diskreditiert, so sei für ICI und für die PVC-verarbeitende Industrie mit schwerem wirtschaftlichen Schaden zu rechnen.“ Ehrlich währt am längsten …
Der Umfang der Umsatzeinbußen und der gefährdeten Arbeitsplätze, so Fischer, läßt sich nicht genau ermitteln, da der Umfang der möglichen Substitution (= Ersatz) nicht bekannt ist. (Anm. der Redaktion: laut Studie der Wartig-Chemieberatung ist in 95 % der Anwendungen eine Substitution möglich.)
ist Inhalt der 5. Frage. Der Landesrechnungshof (LRH) befürchtet, so Fischer, daß die Richtlinien im Entwurf „zu allgemein gefaßt“ seien und „keine präzisen Regelungen“ enthielten. „Insoweit sei zu befürchten, daß solche Regelungen dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zuwiderliefen“ und „die Beurteilung … damit in das Belieben der Mitarbeiter gestellt“ werde“.
Die subjektive Unterstellung des „Beliebens“ lautet offiziell „pflichtgemäßes Ermessen“, was zum Ausdruck bringt, daß es sich bei den SachbearbeiterInnen um Fachleute handelt, welche mit der LHO und anderen rechtlichen Bindungen der öffentlichen Hand vertraut sind.
Engstler muß sich zunächst darüber aufklären lassen, daß die genannten Haushaltsgrundsätze keinen absoluten Bindungsgrad entfalten, sondern daneben andere Rechtsprinzipien zu berücksichtigen sind.“
Diese Prinzipien – z.B. Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes – führt Fischer auf und versäumt es nicht, darauf hinzuweisen, daß sich „mit ökologisch vorteilhaften Maßnahmen oft gleichzeitig auch Kosteneinsparungen erreichen“ lassen.
Diese Frage beantwortet Fischer ausschließlich und eindeutig mit dem Wort „Ja.“
Umso ausführlicher (3 Seiten) gestaltet sich die Antwort auf die zweite Teilfrage „und wenn ja, warum?“ Da die Aussagen zur Umweltbrisanz von PVC aufmerksamen GEGENWIND-LeserInnen hinlänglich bekannt sein müßten , sollen folgende Aussagen ausreichen:
An erster Stelle steht für Fischer die Entsorgungsproblematik, da zur Gewährleistung der umweltgerechten Entsorgung verbrauchter Erzeugnisse „große technische Anstrengungen erforderlich sind“ und zu den vorhandenen sieben Millionen Tonnen „jedes Jahr eine weitere Million Tonnen hinzukommen wird.“ (Schätzung Umweltbundesamt)
Problematisch sind für Fischer auch „die Zusätze (bis zu 50 % des Endproduktes), die dem Polymer zugegeben werden, um die erwünschten Eigenschaften der fertigen PVC-Produkte zu erreichen.“
PVC ist in der Deponie nicht abbaubar, hingegen werden ökotoxikologisch bedenkliche Zusatzstoffe herausgelöst, werden in der Umwelt verteilt, können nicht abgebaut werden und reichern sich
demzufolge an.
„Obwohl der PVC-Anteil im Hausmüll derzeit etwa nur 1 % beträgt“, (worauf sich die Industrie ständig ein Ei pellt), ist etwa die Hälfte der Chlorwasserstoffbildung in den Müllverbrennungsanlagen auf diesen Anteil zurückzuführen und damit für einen hohen Kostenanteil bei der Rauchgaswäsche verantwortlich“.
Gilt es doch, Dioxine und Furane , Salzsäure, Cadmium, Blei und weitere Folgeemissionen der PVC-Verbrennung aus der Umwelt fernzuhalten.
Das Recycling beschränkt sich auf Produkte „mit eingeschränkter Verwendbarkeit“ wie Lärmschutzwände und Parkbänke.
Bezugnehmend auf die vorhergehende Frage erkundigt sich Engstler abschließend, „welche anderslautenden wissenschaftlichen Stellungnahmen von PVC … die Landesregierung “ kennt.
Da der Inhalt der Bezugsaussage vorher nicht bekannt sein kann und damit „anderslautende“ nicht definiert ist (Red.), benennt Fischer acht Quellen verschiedenster Aussage, von der PVC-Industrie über die Bundesregierung bis zu den Umweltverbänden.
„Die Landesregierung hat alle diese Publikationen, die die Problematik der Umweltauswirkungen dieses Kunststoffes aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und demzufolge auch zu unterschiedlichen Bewertungen gelangen, gewürdigt und kommt zu dem Ergebnis, dass es erforderlich ist, umweltverträgliche Ersatzstoffe für PVC zu fördern „
Engstlers Fragen sind übrigens – fast typisch für solche „Kleinen Anfragen“ – subjektiv-rhetorisch gehalten, d.h. sie setzen die Aussage der Antwort zumindest teilweise als bekannt voraus. In diesem Fall wird Engstlers Beeinflussung durch die PVC-Industrie aus seiner Fragestellung heraus deutlich.
Ob er damit gerechnet hat, eine „große“, d.h. umfassende und sachverständige Antwort zu erhalten , ist fraglich. Letztlich hat er damit den Interessen der PVC-Industrie, die ihre Widersacher gern als inkompetente Hobby-Umweltschützer darstellen, einen Bärendienst erwiesen.
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