Drogensucht
Jun 221992
 

Jedem das Seine

Professor aus Göttingen referierte über neue Mittel gegen die Abhängigkeit

(hh/iz) Wir berichteten im GEGENWIND bereits mehrfach zum Thema Hartdrogenkonsum in Wilhelmshaven und Möglichkeiten der Hilfe. Leider wird dieses Thema auch in Zukunft kaum an Brisanz verlieren. So fand eine von der Suchtberatungsstelle der Diakonie veranstaltete Informations- und Diskussionsveranstaltung regen Zuspruch von Ärzten, Apothekern, Betroffenen und Interessierten.

Der Leiter der hiesigen Suchtberatungsstelle, Hergen Gerdes, sprach für Wilhelmshaven von 3500 Alkoholikern, die das Vollbild der Krankheit zeigen, von 1500 Medikamentenabhängigen und 500 Hartdrogenkonsumenten.
Professor Poser, Pharmakologe, Psychiater und Leiter des Methadonprogramms in Göttingen, sprach von durchschnittlich 350 Heroinabhängigen pro 100.000 Einwohner. Staunen verursachte eine Statistik, nach der die Kurve der Rauschgifttoten seit 1987 exponentiell ansteigt – ohne daß eine genaue Erklärung hierzu vorliegt.
Herr Poser stellte den interessierten ZuhörerInnen ein Präparat mit Namen NALTREXON vor. Es ist ein Gegenspieler von Heroin und hebt dessen Wirkung völlig auf. Somit stellt es eine Möglichkeit dar, Rückfällen nach einer Therapie vorzubeugen. Für Langzeitabhängige ist es nicht geeignet. Es erfordert eine stabile Bindung an den behandelnden Arzt oder Therapeuten, da erhebliche Nebenwirkungen auftreten, falls sich noch Heroin im Körper befindet. Der Patient muß zwei Tage vor der Einnahme „clean“ sein.
Eine Behandlung mit Codein für Langzeitabhängige wird in Göttingen abgelehnt, da dieses Mittel im Gegensatz zu Methadon den Patienten mitgegeben werde und so der ordnungsgemäße Gebrauch nicht kontrolliert werden könne.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß Poser, offensichtlich überzeugt von NALTREXON, im Gegensatz zu anderen Kritikern andere Therapeutika wie METHADON oder CODEIN nicht pauschal ablehnt. In einer Statistik über Wirkungen verschiedener Therapieformen schnitt Methadon u.a. dadurch relativ gut ab, dass Folgeerkrankungen bzw. dadurch verursachte Todesfälle (AIDS, Hepatitis) deutlich abnehmen, da ohne gemeinsam benutzte oder schmutzige Spritzbestecke keine Infektion mehr erfolgen kann.
Poser machte deutlich, daß es „so viele Therapieformen wie Abhängige“ gibt – was bei einem Patienten nichts fruchtet, kann bei anderen genau die richtige Entzugsmethode sein, wobei die richtige Kombination verschiedener Therapieformen und vor allem die individuelle Betreuung wichtig ist.
In Wilhelmshaven gibt es bislang nur einen Arzt, der die notwendige Zusatzausbildung besitzt, um am landesweiten Methadonprogramm
mitzuwirken. Beim optimalen Verhältnis von 5 Methadonpatienten pro Praxis wären hier gut zwei Dutzend Ärzte erforderlich! Auf diesen – nach jetzigen offiziellen Maßstäben – vorbildlichen Mediziner war vor Inkrafttreten des Programms eine regelrechte Hexenjagd veranstaltet worden, wurde er doch von den Krankenkassen wegen illegaler Behandlungsmethoden finanziell belangt, von „Kollegen“ in Leserbriefschlachten niedergemacht und steckte in der Bredouille, zu viele Methadonpatienten zu haben, da er psychisch nicht in der Lage war, Hilfesuchende abzuweisen. Ob die ehemaligen Inquisitoren jetzt seinem guten Beispiel folgen werden?
Gegen Ende der Veranstaltung meldeten sich Drogenabhängige und ehemals Abhängige zu Wort, die darauf hinwiesen, daß Schuldenregulierung und Reststrafen noch Jahre nach erfolgreichen Therapien zum Zuge kämen und die Eingliederung ins „normale“ Leben erschwerten. Das System läßt ihnen keine Chance, ihre Vergangenheit vollständig abzustreifen. Dies erfordere im nachhinein nochmals einen großen Kraftaufwand – und stellt den nachhaltigen Erfolg der Therapie in Frage.
Mit ihrem sozial-systemkritischen Diskussionsansatz waren die Betroffenen – darunter auch ein engagierter Vater eines abhängigen Sohnes – auf dieser Veranstaltung fehl am Platze. Professor Poser zog sich in den medizinischen Elfenbeinturm zurück, und auch Dr. Michael von Teichman erwies sich als Moderator als absolute Fehlbesetzung. Er ist bekannt für seine konservative Haltung in der Drogentherapie und gehörte ebenfalls zu den Leserbrief-Inquisitoren…
Insgesamt ist Hergen Gerdes als Veranstalter für den Ansatz der öffentlichen Auseinandersetzung zu loben – eine Folgeveranstaltung im Interesse der Betroffenen bleibt abzuwarten.

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