Genossen!
Mrz 111991
 

Wie eine Hinrichtung

Kandidatenkür nach „Ratsherrenart“

(noa) Rechtzeitig vor dem Internationalen Frauentag lieferte der Ortsverein Rüstersiel der SPD ein Lehrbeispiel dafür, wie man „erfolgreich“ die politische Karriere einer Frau hintertreibt. Als Demonstrationsobjekt diente Marianne Fröhling.

Marianne Fröhling ist nicht irgendeine Genossin. Sie arbeitet seit zehn Jahren aktiv in den verschiedensten Gremien der Wilhelmshavener SPD mit, war einige Jahre lang stellvertretende Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Wilhelmshaven und vertrat diesen auch auf Parteitagen. Somit hätte sie alle Voraussetzungen, bei der Kommunalwahl im Oktober 1991 erfolgreich für einen Ratssitz zu kandidieren. Schließlich gibt es in der SPD „die Quote“, und so viele fähige Frauen kann die SPD noch nicht vorweisen.
Doch der Umgang mit der Quote war und ist für viele Parteigremien schwierig – und für den Ortsverein Rüstersiel zudem schmierig.
Zwei KandidatInnen konnte der OV Rüstersiel küren, nur für eine/n von beiden besteht eine realistische Chance auf einen Ratssitz, und die Quote würde zugunsten der Frau wirken.

Bild: Erwin Fiege

Bild: Erwin Fiege

Hans Gabriels, seit langem im Rat, möchte jedoch seinen vertrauen Ratssessel behalten. Was macht mann da? Mann (männer?) sucht sich eine ungefährliche Quotenfrau. Eine, die ziemlich unbekannt ist und auch gar keinen Drang hat, Ratsfrau zu werden. Wenn mann dann noch die Werbetrommel rührt und selbst GenossInnen, die sonst nur in der Kartei, aber nie bei Versammlungen erscheinen, aktiviert und sie zuvor noch auf das „Wahlziel Gabriels“ einschwört, kann eigentlich nichts schiefgehen.
Und so präsentierte man auf der Ortsvereins-Sitzung, auf der die KandidatInnen zu benennen waren, als Kontrahentin zu Marianne Fröhling eine weitgehend Unbekannte – so unbekannt, daß der Gatte es als notwendig erachtete, den Familiennamen des Ehegespons‘ zu buchstabieren: „Paula – Ulrich – Karl – Richard – Otto – Paula“. Das war auch notwendig, weil Irmtraud P. in den letzten fünf Jahren die Nestwärme des Ortsvereins kaum gesucht hat.
Die gute Vorarbeit zahlte sich aus: Die unbekannte Genossin P. schlug die versierte, parteierfahrene Marianne F. mit 28:12 Stimmen.
Treffender als mit den Worten eines alten Rüstersieler Genossen: „Das war wie eine Hinrichtung!“ kann man diese Wahl kaum beschreiben.
Nützen wird dieser Coup der SPD bei der Kommunalwahl wohl kaum. Eingefleischte SPD-Wähler, vor allem aus Rüstersiel, reagierten auf die Vorkommnisse spontan mit der Ankündigung: „Da wählen wir lieber die CDU!“
Und so manche, die Marianne Fröhling kennen und ihr auf jeden Fall ihre Stimme geben würden, bedauern, daß sie im Unterschied zu ihrem Mann und ihrer Tochter ihr Parteibuch behalten will. „Sie sollte auf der Liste der GRÜNEN kandidieren. Die geben einer fähigen Frau gerne eine Chance“, ist neuerdings zu hören.

Kommentar:

Als beim SPD-Parteitag 1988 in Münster endlich eine Frauenquote beschlossen wurde, gab es unter den Delegierten keinesfalls nur freudige Gesichter. Daß es gerade die Genossen der Enkelgeneration waren, die gegen diesen Beschluß votiert hatten, wertete die SPD-Politikerin und Kabarettistin Karin Hempel-Soos so: „Die haben schlicht und einfach Angst um ihre Karriere!“
Sollte das, was sich jüngst im OV Rüstersiel abspielte, auch nur aus dieser Angst entstanden sein? Sollte der rührige derzeitige Rüstersieler Ratsherr, bereits lange Zeit Mandatsträger, der zweifellos für seinen Ortsteil und darüber hinaus für diese Stadt und ihre Menschen Wesentliches geleistet hat, am Beginn des Seniorenalters plötzlich die Kraft der zwei Herzen in sich gespürt und unbedingt und mit allen (auch krummen) Mitteln versucht haben, seinen durch die Quotierung in die Ferne gerückten Ratssitz zu sichern? Ich kann es mir nicht vorstellen.
Oder waren andere „Kräfte“ am Werk und er nur Werkzeug? Hatte man höheren Orts nicht schon längst über die Mitbewerberin den Stab gebrochen? Vielleicht, weil sie als stete Mahnerin versucht hatte, dem Unterbezirksvorstand wieder mehr Gesicht und Gewicht zu verschaffen? Vielleicht, weil sie nicht damit einverstanden ist, daß Politik – Kommunal- und Parteipolitik – nur von einem Viererbund der Fraktion gemacht wird? Wollte man sie strafen, weil sie im Herbst 1990 entnervt vom vergeblichen Kampf dagegen ihren Posten als stellvertretende Vorsitzende aufgab? Oder – und dieser Gedanke drängt sich auf – befürchtete der Vorstand der Fraktion, daß eine versierte und zudem auch resolute Frau im Ratssessel dem Paschatum einiger Abbruch tun könnte?
Am 16.3. hat mann gewonnen. Aber es war ein Pyrrhus-Sieg, denn welche von den fähigen Genossinnen in unserer Partei wird künftig noch bereit sein, mit diesem Risiko ein Mandat anzustreben?

Erwin Fiege

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