Störung der Ansiedlungspolitik?
Sykes: Harte Vorwürfe gegen Dienstleistungsgewerkschaft
(noa) Am 24. April führte das ver.di Projekt Call Center, vertreten durch Hugo Waschkeit, ein Gespräch mit der Geschäftsführerin der Firma Sykes im TCN in Roffhausen. Ergebnis der recht kurzen Unterredung, bei der auch die Personalreferentin zugegen war: Am 7. Juni wird es eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes geben.
Die Betriebsversammlung wird außerhalb der Arbeitszeit und außerhalb des Betriebsgeländes stattfinden – so ganz entspricht das dem Sinn des Betriebsverfassungsgesetzes nicht. Der „Normalfall“ wäre eine Betriebsversammlung in einem Raum des Betriebs und innerhalb der Arbeitszeit. Die Firma verfügt aber über keinen Raum, der die insgesamt 1300 MitarbeiterInnen fassen könnte, und da sie der Meinung ist, keinen Betriebsrat zu brauchen, räumt sie auch keine Arbeitszeit dafür ein.
Immerhin beschränkt sich die hiesige Niederlassung von Sykes auf Behinderung der gewerkschaftlichen Betätigung. In München und Pasewalk hat der Konzern noch versucht, mit einstweiligen Verfügungen die Wahl von Wahlvorständen zu verhindern – und ist in einem Fall vor Gericht unterlegen und hat im anderen Fall den Antrag zurückgezogen.
Dass im Gespräch mit der Geschäftsführerin Corinna Janssen deutlich zu spüren war, dass Sykes keinen Betriebsrat will, hat den Gewerkschaftsvertreter nicht gewundert. Es handelt sich um einen US-amerikanischen Konzern, und dort kennt man kein Betriebsverfassungsgesetz. Und die Trade-Unions, die US-Gewerkschaften, erinnern eher an die Mafia. In allen deutschen Zweigwerken wird die Wahl von Betriebsräten und nach der Wahl deren Arbeit so weitgehend wie möglich behindert. Erstaunt war Waschkeit allerdings, dass nicht nur bei Sykes, sondern anschließend auch im Gewerkschaftshaus ihm bzw. seiner Projektgruppe „Störung der Ansiedlungspolitik“ vorgeworfen wurde.
Das US-amerikanische Unternehmen Sykes betreibt in Deutschland zahlreiche Niederlassungen im Bereich der Telefondienstleistungen. Dabei gibt es viel Wechsel, der allerdings nur zum Teil auf die sich ständig wandelnden Erfordernisse in dieser Branche zurückzuführen ist. Sykes macht sich die Gesetze und Bestimmungen zur Wirtschaftsförderung zunutze und baut dort neue Standorte auf, wo staatliche Fördermittel zur Verfügung gestellt werden. Das ist außer in den neuen Bundesländern in unserer strukturschwachen Region der Fall.
Die Branche ist sehr personalintensiv. Neben „Ihrer sympathischen Stimme“ (aus einem Stellenangebot eines Telefondienstleisters) braucht sie Computer und Telefonleitungen. Letztere werden immer billiger, und um viel Gewinn zu machen, müssen auch erstere möglichst billig sein.
Für die Arbeit eines „Call Center Agents“, wie die Mitarbeiter eines solchen Unternehmens genannt werden, braucht es keine besondere Qualifikation. Je nach der Dienstleistung im Einzelfall ist mehr oder weniger Geistesgegenwart und Flexibilität, auf jeden Fall aber Freundlichkeit und Höflichkeit notwendig. Den Job hat man dann schnell gelernt.
Für ein Call Center findet man also die idealen Arbeitskräfte da, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und man davon ausgehen kann, dass die Besitzer der Stimmen auch mit wenig Lohn zufrieden sein werden und vor der Arbeitslosigkeit so viel Angst haben, dass sie brav und willig ihre Arbeit tun, auch wenn die Arbeitsbedingungen nicht unbedingt gesetzlichen Anforderungen genügen und die Löhne nicht den Tarifen entsprechen. Zum Beispiel hier in unserer Region.
Wenn man hier oder an einem anderen Standort mit vergleichbaren Bedingungen einen neuen Zweigbetrieb eröffnet hat, kann man dann einen teureren woanders schließen, oder man kann zumindest mit Schließung drohen, wenn die Beschäftigten einen angemessenen Lohn oder sonstige Erleichterungen fordern.
Betriebsräte sind in einem solchen Unternehmen natürlich sehr hinderlich. In Roffhausen hat Sykes stattdessen das „amerikanische Modell“ installiert: Die einzelnen Teams haben Gruppensprecher, die im Kontakt zu den Vorgesetzten stehen. Ihre Rechte sind aber nicht gesetzlich abgesichert. Unabhängig von den ver.di-Bemühungen um einen Betriebsrat haben sie versucht, ihre Möglichkeiten zur Interessensvertretung der KollegInnen und ihre Mitspracherechte definiert zu bekommen. Was dabei herausgekommen ist, bezeichnet einer von ihnen als lächerlich – „die Vorgesetzten können uns anhören, wenn sie wollen“.
Was in der „WZ“ vom 26.05.01 zu lesen ist, dass nämlich das Betriebsklima gut sei und man deshalb keinen Betriebsrat brauche, stimmt unseren Informanten nach mitnichten. Mal in dieser, mal in jener Abteilung ist der Druck so groß, dass die Beschäftigten nicht einmal miteinander sprechen können; auch, dass die Gruppensprecher sich unangekündigt in die Leitungen einschalten und ihre Teammitglieder überwachen müssen, verbessert nicht gerade das Vertrauensverhältnis zwischen Teams und Teamsprechern – und wäre ganz unmöglich, wenn es einen Betriebsrat gäbe.
Für Gewerkschaften ist es schwierig, an jedem einzelnen Ort, an dem z.B. Sykes einen Zweigbetrieb eröffnet, im Betrieb Fuß zu fassen, die Installierung eines Betriebsrates zu betreiben, die Beschäftigten zu organisieren und zu beraten. Gerade in Roffhausen arbeiten bei Sykes neben erfahrenen älteren sehr viele junge unqualifizierte Leute, die froh sind, überhaupt erst mal Arbeit zu haben.
Die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und vorher ihre Vorläufergewerkschaften haben eine Projektgruppe Call Center gegründet, die standortungebunden arbeitet. Wo das herumvagabundierende Kapital Halt macht, um Fördermittel und billige Arbeitskraft zu nutzen, taucht diese Projektgruppe auf . Wie im Märchen vom Hasen und dem Igel, nach dem Motto „Ich bin schon da“.
Vor den Toren unserer Stadt gab es mal einen großen Arbeitgeber. Olympia in Roffhausen bot vielen Wilhelmshavenern Arbeit und Brot. Das langsame Sterben dieses Großbetriebes hat bundesweit Aufmerksamkeit gefunden, weil die Olympianer gut organisiert waren und hart gekämpft haben. Schon in den letzten Tagen von Olympia haben ideenreiche Beschäftigte Vorschläge erarbeitet, wie die Arbeitsplätze oder wenigstens ein Teil von ihnen zu retten wären. Das Ergebnis war das TCN, das mittlerweile eine ganze Reihe von kleinen und mittleren Betrieben beherbergt. Der ehemalige Olympia-Betriebsratsvorsitzende Holger Ansmann ist seither Geschäftsführer der Marketinggesellschaft und war bei der Ansiedlung der TCN-Betriebe maßgeblich beteiligt.
Man freut sich über jedes Unternehmen, das man dafür gewinnen kann, sich im TCN anzusiedeln. Natürlich lassen sich die Arbeitsplätze nicht mit denen bei Olympia vergleichen, aber alles andere ist besser als die Arbeitslosigkeit. Und jeder neue Arbeitsplatz im TCN wird bejubelt. Da man hier in Wilhelmshaven und Friesland auch einigermaßen billig leben kann, muss der Lohn ja auch nicht unbedingt so hoch sein wie in den Ballungszentren.
Diese zwei Geschichten bilden den Hintergrund eines unerfreulichen Missverständnisses, das leicht zu einem handfesten Krach zwischen Gewerkschaften und zu einer Spaltung der Beschäftigten von TCN-Betrieben führen kann.
Im TCN sitzt auch Sykes. Ein Sykes-Betrieb ist aus der Firma Telcare herausgewachsen; jüngst hat ein zweiter (außerhalb des Olympia-Geländes) in einem Neubau die Arbeit aufgenommen. Die ver.di Projektgruppe Call Center verfolgt Sykes überallhin, wo dieser Konzern sich niederlässt und seine eigenen Gesetze zu schreiben versucht. Sie tut das zum Schutz der Sykes-Beschäftigten am Ort selber, wo das Betriebsverfassungsgesetz außer Kraft gesetzt werden soll und wo Billiglöhne gehalten werden sollen, und zum Schutz der Sykes-Beschäftigten an anderen Orten, wo Lohnsenkung oder Schließung droht, wann immer der Konzern einen billigeren Standort auftut.
Und so geschah es auch in Roffhausen.
Für die Gewerkschaften in Wilhelmshaven stellte sich das anders dar. Aus ihrer Sicht kamen da (unangekündigt) Leute aus Hamburg und Bremen, bauten sich vor dem Olympia-Gelände auf und versuchten, Mitglieder zu gewinnen. Sie machten Stimmung gegen einen Betrieb, indem sie ihm unlautere Methoden vorwarfen, und verunsicherten die Beschäftigten.
Hartmut Tammen-Henke (IG Metall-Bevollmächtigter) hält das Vorgehen der Projektgruppe für ungeschickt. Seiner Meinung nach kann man einen Betriebsrat nicht von außen aufbauen, sondern mit Beschäftigten zusammen, die sich ihrerseits an die Gewerkschaft wenden.
Um Fragen eines geeigneten Vorgehens zu besprechen, wurde Hugo Waschkeit am 24. April, als er für das Gespräch mit der Sykes-Geschäftsführerin hierher reiste, ins Gewerkschaftshaus eingeladen. Holger Ansmann nahm an dem Treffen ebenfalls teil. Er ist seiner alten Gewerkschaft, der IG Metall, noch immer verbunden, und vor allem kennt er die Verhältnisse im TCN wie kein anderer. Aber er ist nicht mehr der „Arbeiterführer“ aus den Tagen des Kampfes um die Olympia-Arbeitsplätze, sondern steht heute auf der anderen Seite. Für das Gespräch mit dem ver.di-Vertreter aus Hamburg war es deshalb eher unpassend, dass Ansmann die Runde aus Doro Jürgensen für den DGB und Tammen-Henke für die IGM ergänzte. Für Waschkeit bildeten die hiesigen Gesprächspartner eine einheitliche Front, die das Vorgehen seiner Gruppe kritisierten, und es stellte sich für ihn so dar, dass Gewerkschaften ihn bremsen wollen.
Ansmann findet einen Stundenlohn von 14 DM im „neuen“ Sykes-Betrieb angesichts der Konkurrenz zu Pasewalk, wo Sykes sich ebenfalls niederlässt, „marktgerecht“, und aus seiner Interessenlage als Wirtschaftsförderer heraus stellt sich die Öffentlichkeitsarbeit der ver.di-Projektgruppe als Störung der Ansiedlungspolitik dar. Es ist für die weiteren Schritte in Richtung Betriebsrat bei Sykes bestimmt nicht gut, wenn die Leute vom ver.di-Projekt Call Center nun den Eindruck haben, dies sei auch die Meinung der Wilhelmshavener Gewerkschaften und sie müssten ihre Arbeit nun gegen sie machen.
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