JadeWeserPort
Mai 302001
 

Ein Lehrstück in Sachen Demokratie

Verändert die Diskussion um den Jadeport das Bewusstsein der Wilhelmshavener Wähler/innen?

(iz) Immer wieder suchen die Kritiker des Jadeport den Dialog mit den Betreibern des Projekts. Immer wieder bemühen sich die Verantwortlichen aus Rat, Verwaltung und Hafenwirtschaft, sich diese kritischen BürgerInnen vom Hals zu halten und sie zu diskreditieren. Im Jahr der Kommunalwahl vergraulen sich die Autokraten mit ihrem bürgerfeindlichen Verhalten zunehmend auch potentielle WählerInnen.

Für den 9. Mai hatten die „Bürger gegen den Jade-Weser-Port“ (BI) eine öffentliche Informations- und Diskussionsveranstaltung anberaumt zum Thema „Die Standortentscheidung ist gefallen – was nun?“ Der Oberbürgermeister und der Oberstadtdirektor der Stadt Wilhelmshaven sowie alle Oberbürgermeisterkandidaten waren eingeladen, in Kurzvorträgen ihre Standpunkte darzulegen und sich anschließend der Diskussion mit dem Publikum bzw. Vertretern der BI, der anderen Parteien und der Presse zu stellen. Obwohl die Einladung frühzeitig im April erfolgt war, erschienen nur Joachim Tjaden als OB-Kandidat der WALLI (Wilhelmshavener Alternative Liste) und Jürgen Petersen als Vertreter des FDP-Vorsitzenden Michael von Teichman. Johan van Weelden, Initiator des Jadeport-Projekts und OB-Kandidat der CDU, wollte für seinen Auftritt 250 DM, worauf die Gastgeber dankend ablehnten. OB Menzel und Marianne Fröhling, stellvertretende Bürgermeisterin und OB-Kandidatin der Grünen, entschuldigten sich mit einem Termin auf dem deutschen Städtetag in Leipzig.
Zwei Tage später, auf einer Jadeport-Veranstaltung der SPD, hatten übrigens plötzlich alle Zeit und Lust zu kommen.
WALLI-Kandidat Tjaden (Vortragsthema „Auswirkungen des geplanten Hafens auf Arbeitsplätze und Steuern“) nutzte die Einladung für einen durchaus sympathischen und fachkompetenten Auftritt zum „CT 5“ – denn für ihn gibt es keinen Jadeport, sondern nur ein fünftes Terminal der Eurogate, die mit jeder modernisierten Erweiterung nachweislich Arbeitsplätze abbaut, statt neue zu schaffen. „Nicht Deutschland braucht einen neuen Hafen, sondern die Eurogate“. Währenddessen pokern sich die Befürworter gegenseitig hoch in ihren Beschäftigungsprognosen für den Mammuthafen, doch „kein Kandidat schafft mehr!“, so Tjaden, als OB Menzel, der von bis zu 12.000 neuen Arbeitsplätzen träumt. Realistisch sind, berechnet aus den Zahlen bestehender Container-Umschlagshäfen, maximal 180 neue Stellen. Da die Güter nur umgeschlagen werden, ohne dass durch Verarbeitung eine Wertschöpfung entsteht, ist auch kaum ein steuerlicher Gewinn für das Wilhelmshavener Stadtsäckel zu erwarten.
Petersen (Vortrag „Vor- und Nachteile des Tiefwasserhafens für den Stadtnorden“) bezog stellvertretend die Prügel für alle nichtanwesenden Befürworter. Nichtsdestotrotz war er zumindest erschienen, hatte sich der Konfrontation gestellt und damit sicherlich bei manchen Bürgern gepunktet. Vom Publikum und der auch anwesenden überregionalen Presse nach einer Konkretisierung seiner Vorstellungen zu Beschäftigungs- und Steuereffekten gefragt, gab Petersen allerdings ein enttäuschendes Bild ab. Doch ist die FDP aus dem Rat wegen ihrer nonkonformistischen Haltung zur vorgefassten Mehrheitsmeinung noch viel härtere Prügel gewohnt.
Die BI-Vertreter boten erneut fundierte Informationen zu aktuellen Entwicklungen. Hans Freese erläuterte allgemeinverständlich den Weg zum Planfeststellungsverfahren und gab allen Betroffenen Hinweise, wie sie sich form- und fristgerecht äußern können. Angesprochen wurden weiterhin aktuelle Gerüchte, wonach am Banter See, zu Lasten der dort ansässigen Gartenbesitzer, Ersatz für Camping und Erholung am Geniusstrand (der durch den Jadeport endgültig verloren ginge) geschaffen werden soll. Die Grundstücksbesitzer wurden aufgefordert, um eine langfristige Sicherung ihrer Nutzungsrechte nachzusuchen – anhand der Reaktion der Stadt würden sich die Gerüchte dann bestätigen oder aber entkräften.
Aufschlussreich war der Schlussvortrag von BI-Mitglied Manfred Berger („Beeinflusst der JadeWeserPort die Kommunalwahl?“) zum Demokratieverständnis und Wahlverhalten in Wilhelmshaven. Hatte schon Tjaden dazu aufgefordert, bei der Wahl am 9.9. „die Kreuze im oberen Drittel des Wahlzettels“ zu machen – „denn unten stehen die, die Sie wählen, wenn sie nicht wählen!“ (nämlich rechtsradikale und andere dubiose Splitterparteien), so gab Berger deutliche Hinweise zum Wahlrecht und zur nicht juristisch, aber moralisch vorhandenen Wahlpflicht. Neutral, ohne eine bestimmte Partei in den Mittelpunkt zu stellen, wenngleich in deutlicher Abkehr von rechtsradikalen Parteien, gab er eine genaue und verständliche Anleitung zur Nutzung der Wahlzettel, zur Wahl von Kandidaten und Listen, erläuterte die Rolle der Nichtwähler und Kriterien zur Wahl glaubwürdiger Kandidaten und Parteien. Über ihre ursprüngliche Rolle in der Auseinandersetzung mit dem Jadeport hinaus beschäftigen sich Mitglieder der BI jetzt auch mit Kommunalpolitik schlechthin und geben ihre diesbezüglichen Erfahrungen und Kenntnisse an ihre MitbürgerInnen weiter – eine beachtliche Entwicklung und Funktion einer aus der Not geborenen Bürgergemeinschaft.

Kommentar:

Wir sind das Volk
Es war einmal eine brave Siedlergemeinschaft, deren Mitglieder wochentags ihrer Arbeit nachgingen, samstags den Rasen mähten, alle 5 Jahre ihre Stimme den gleichen Parteien gaben und sich ansonsten wenig um Politik scherten. Bis die von ihnen gewählten Ratsvertreter drohten, mit einem gigantischen Projekt die Idylle zu zerstören. Da ließen die Siedler Rasen Rasen sein und gingen auf die Barrikaden.
Normale Voslapper BürgerInnen sind mittlerweile zu Experten in Sachen Hafenwirtschaft, Ökologie und Kommunalpolitik mutiert – Letzteres insbesondere durch die bittere Erfahrung, dass „ihre“ Politiker das Volk nur so lange lieb haben, wie es das Maul hält. Plötzlich eröffnen sich ganz andere Sichtweisen des Lebens. Die Betroffenen explodieren förmlich vor Frust und Zorn. Die kinetische Energie, die sich aufstaut, wenn man gegen plötzlich verschlossene Rathaustüren rennt, wissen sie jedoch positiv umzuwandeln.
Das Gros der organisierten Voslapper gehört deswegen noch lange nicht zur politischen Linken. Ihr Verständnis dafür, dass Demokratie ein Prozess ist und kein Zustand, den die bisherigen Nutznießer einfach so definieren können, ist jedoch gewachsen – wie auch das Bedürfnis, diese jähe Erleuchtung auch anderen Mitbürgern kund zu tun. Genau das tut die BI jetzt. Und es ist kein Zufall, dass die neue Wilhelmshavener Wählerliste WALLI, die etwa im gleichen Zeitraum entstanden ist wie die BI und noch alle Entwicklungsmöglichkeiten offen lässt, nun gewaltigen Zulauf erhält.
Die Bürgerinitiative gegen den JadeWeserPort vertritt mittlerweile über 6.000 BürgerInnen, die mit ihrer Unterschrift gegen den Jadeport votiert haben. Das sind etwa 8,5 Prozent aller wahlberechtigten WilhelmshavenerInnen. Da ist es schon interessant, welche Prioritäten diejenigen setzen, die am 9. September von den BürgerInnen gewählt werden möchten, deren Einladung zum Dialog sie immer wieder ausschlagen.
Die Zahl und die organisierte Kraft jener, die der etablierten Politik einen Denkzettel erteilen möchten, ist spürbar gewachsen. So eine spannende Kommunalwahl wie die kommende hat es in Wilhelmshaven wohl lange nicht gegeben.

Imke Zwoch

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