Kaum wahrgenommen
Neben vielen anderen Wirkungen senkt Hartz IV auch kräftig die Renten
(noa) In der ersten Novemberwoche berichteten die Medien über eine schlimme Wirkung von Hartz IV: Die Kinderarmut wird dramatisch zunehmen. Viele Kinder, die bislang zwar keineswegs als wohlhabend gelten können, werden unter die Armutsgrenze fallen, wenn ihre Eltern ab Januar 2005 Arbeitslosengeld II bekommen. Andere Auswirkungen von Hartz IV werden wir erst sehr viel später zu spüren kriegen.
Die Arbeitsloseninitiative hatte für den 9. November Adolf Bauer, den Präsidenten des Sozialverbandes Deutschland (kurz SoVD) eingeladen, um sich erklären zu lassen, welche Wirkungen das „Herzstück“ der Agenda 2010 – wie Schröder Hartz IV nennt – auf die Renten hat und haben wird.
Normalerweise hält Bauer sich beruflich eher in Hannover und Berlin auf, aber zur ALI-November-Versammlung machte er von seinem Wohnort Westerstede zunächst einen Schlenker über Wilhelmshaven. Zu Beginn seines Vortrages fiel sein Blick auf ein Exemplar des letzten Gegenwindes, der auf dem Tisch lag, und er wandelte unseren Titel „Adieu Soziale Stadt“ ab in „Adieu sozialer Staat“, nicht nur im Hinblick auf das von der ALI angekündigte Thema Renten, sondern auch bezogen auf weitere Aspekte, für die sich der SoVD von seiner Aufgabe her interessiert.
Sein Verband habe den Regierungswechsel vor sechs Jahren begrüßt und Hoffnungen an die rotgrüne Regierung geknüpft. Dann aber hat es eine Fortsetzung und Verschärfung des Sozialabbaus der vorangegangenen 16 Jahre schwarzgelber Regierung gegeben. Den Kürzungen im sozialen Bereich fallen viele Einrichtungen zum Opfer (sh. dazu auch den Beitrag „War’s das?“ in dieser Ausgabe); das Gesundheits„modernisierungs“gesetz modernisiert nicht, sondern entsolidarisiert; auf Betriebsrenten werden seit 1.1.04 Beiträge erhoben usw. usf. – und zusätzlich zu den Einschnitten aus der Bundesgesetzgebung streicht auch das Land Niedersachsen freiwillige soziale Leistungen und verschlechtert die Schulchancen unserer Kinder.
Hartz IV, so Bauer, schafft nicht einen einzigen Arbeitsplatz – gegenwärtig gehen täglich 2000 Arbeitsplätze in Deutschland verloren. „Hartz IV ist eine große Katastrophe!“
Schon ohne Hartz IV werden, so Bauer, die Renten sinken. Durch die beständig hohe Arbeitslosigkeit fehlen Rentenbeiträge; Lohnsenkung senkt auch die Zahlungen in die Rentenkassen. Hartz IV senkt künftige Renten weiter, was, so Bauer, von der Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen wurde. Durch das Gesetz wird der Beitrag, den die Bundesagentur für Arbeit pro Alg II-Empfänger einzahlt, auf 78 Euro festgelegt (es sind also keine Steigerungen in späteren Jahren zu erwarten). Ein Langzeitarbeitsloser erwirbt pro Jahr damit nur eine Rentenanwartschaft in Höhe von 4,26 Euro, während ein Durchschnittsverdiener jährlich 26 Euro Monatsrente ansammelt. Diese niedrigen Einzahlungen in die Rentenkassen „strafen“ aber nicht nur die Langzeitarbeitslosen, sondern machen die Kassen so arm, dass auch diejenigen, die in Lohn und Brot stehen und richtig einzahlen, nicht mehr darauf vertrauen können, dass ihre Rente der erworbenen Anwartschaft entsprechen wird.
Hartz IV, das bedeutet ja zum einen Arbeitslosengeld II für arbeitsfähige Arbeitslose und zum anderen Sozialgeld für nicht arbeitsfähige Menschen. Die Abgrenzung der erwerbsfähigen von den nicht erwerbsfähigen Antragstellern ist zwar angelehnt an das Rentenrecht; anders als dort wird jedoch nicht unterschieden zwischen voller und teilweiser Erwerbsunfähigkeit. Zuständig für die Feststellung der Erwerbsfähigkeit wird die Arbeitsagentur sein. Es ist aber nicht eindeutig geklärt, ob die Rentenversicherungsträger an diese Feststellung gebunden sind. Hier tun sich Verschiebebahnhöfe auf: Wenn ein Langzeitarbeitsloser z.B. schon mit 60 Jahren Rente beantragt, die AA ihn für nicht erwerbsfähig eingestuft hat, die LVA das aber nicht anerkennt, können unerträglich lange Wartezeiten entstehen.
Nirgendwo im Hartz IV-Gesetz taucht der Begriff „Schwerbehinderter“ auf. Die Kommission hat die Menschen mit Behinderungen, ob diese angeboren oder durch Unfall oder Krankheit später erworben sind, einfach ausgeblendet. Dadurch wird die gesellschaftliche Aufgabe der Berufsausbildung behinderter junger Menschen von der Bundesagentur für Arbeit einfach weggeschoben hin zur Sozialgesetzgebung, denn es ist die Arbeitsagentur, die einen entsprechenden Förderbedarf feststellt und für diese Förderung dann auch finanziell aufkommen muss – und nun muss sie einfach nicht mehr feststellen und ist damit eine Last los.
10 % aller in Deutschland lebenden Menschen haben Behinderungen. Diese vielen Menschen sind mit einem Federstrich von der Teilnahme am Arbeitsleben ausgeschlossen worden.
Der SoVD will die Möglichkeit der 1 Euro-Jobs weder auf Bundes- noch auf Landesebene nutzen und empfiehlt auch seinen örtlichen Beratungsstellen, sie nicht einzurichten. Diese „Beschäftigungsmöglichkeiten“ unterliegen nicht dem Arbeitsrecht. Öffentliche Aufgaben sollen nicht auf diese Weise verbilligt werden, sondern von qualifizierten Arbeitskräften auf bezahlten Arbeitsplätzen erledigt werden. Als ein Weg aus der Arbeitslosigkeit in eine Stelle des 1. Arbeitsmarktes könne ein 1 Euro-Job okay sein, ansonsten jedoch nicht, vertritt der SoVD.
der ALI-Versammlungen funktioniert nicht immer so, wie es soll. Schon wieder fragte jemand, was nun eigentlich aus der 58er-Regelung wird – diese Frage kam schon auf vorigen Ali-Versammlungen auf und konnte nicht abschließend beantwortet werden. Ebenfalls immer noch unklar ist, ob die Leute, die jetzt mit dem 31.12. aus der Arbeitslosenhilfe fallen, aber keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben (nach Schätzungen der Bundesagentur 20 bis 25 % aller Langzeitarbeitslosen) rentenversichert sein werden.
Ein Teilnehmer interessierte sich sehr für eine Mitgliedschaft beim SoVD, fand aber, dass ein Monatsbeitrag von 5 Euro für einen (jetzt noch) Sozialhilfeempfänger zu hoch sei – da sei ja die Gesundheit mit 10 Euro Praxisgebühr pro Quartal noch billiger. „Von nichts kommt nichts“, widersprach ihm ein anderer Teilnehmer und verglich zur großen Erheiterung der Versammlung diesen Vergleich mit dem zwischen einem Schwein und einem Schiff. Dem Vorschlag, den Beitrag des SoVD für Arme zu senken, konnte Bauer keine Aussicht auf Erfolg bescheinigen – 65 Kreisgeschäftsstellen allein in Niedersachsen mit sozialversicherungspflichtig beschäftigten SozialberaterInnen, Vertretung bei Gerichten und die vielen anderen Aufgaben des Verbandes kosten eine Menge Geld.
Den größten Lacherfolg hatte ein Mitglied des FA-Teams mit seinem Vorschlag zu den 1 Euro-Jobs. Da man den Feind am besten mit seinen eigenen Waffen schlagen könne, sollten gemeinnützige Einrichtungen (so die ALI) doch viele, viele 1 Euro-Jobs schaffen und Langzeitarbeitslose als Berufsdemonstranten einstellen. Die hätten dann 170 Euro zusätzlich im Monat und könnten für ihre eigenen Interessen eintreten. Mit den 330 Euro Förderungsanteil für den Arbeitgeber könnte die ALI dann auch ihren eigenen Fortbestand als Beratungsstelle sichern.
Günther Kraemmer schloss die Veranstaltung mit dem Hinweis auf die nächste Monatsversammlung der ALI am 14.12. um 10 Uhr im Gewerkschaftshaus. Wie jedes Jahr wird das Dezembertreffen „eine etwas andere Versammlung“ sein – diesmal wird es dann auch Neuigkeiten darüber geben, wie es mit der Arbeitsloseninitiative weitergeht.
Auf der ALI-Versammlung im November trug Adolf Bauer die elf Forderungen bezüglich der „1 Euro-Jobs“ vor, die vom DGB, dem Sozialverband VdK, dem SoVD und der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (KAB) gemeinsam formuliert worden sind. Es handelt sich um Kriterien, deren Anwendung von Institutionen, die „1 Euro-Jobs“ nutzen wollen, wie auch von der Arbeitsagentur gefordert wird.
- Die Beschäftigungsform der Arbeitsgelegenheiten ist nachrangig. Zunächst müssen andere Förderungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. Dabei hat sozialversicherungspflichtige Beschäftigung Vorrang vor Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung. Die Beschäftigung darf für Langzeitarbeitslose nicht zu einer Sackgasse werden. Eine Beschäftigung muss deswegen sowohl die Qualifikation als auch die bisherigen beruflichen Erfahrungen berücksichtigen. Längerfristige Beschäftigung weit unter dem bisherigen Qualifikationsniveau führt zu Dequalifizierung und verschlechtert die Chancen auf weitere Integration in den Arbeitsmarkt.
- Die öffentlich geförderte Beschäftigung muss in jedem Fall zusätzlich sein und darf reguläre Beschäftigung nicht verdrängen. Für die Zusätzlichkeit sind enge Kriterien anzulegen. Im Zweifel muss ein örtlicher Beirat, der mit den örtlichen Akteuren am Arbeitsmarkt besetzt ist, über die Frage nach der Zusätzlichkeit verbindlich entscheiden. Fehlende finanzielle Mittel der Kommunen oder der Träger allein sind kein ausreichendes Kriterium für die Zusätzlichkeit.
- Die Arbeiten müssen dem Allgemeinwohl zugute kommen. Das heißt, es reicht nicht aus, wenn die Arbeiten durch einen als gemeinnützig anerkannten Träger oder eine Kommune durchgeführt werden. Vielmehr muss sichergestellt werden, dass auch das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dient. Deswegen ist der Einsatz von Arbeitslosen in privaten Unternehmen generell ausgeschlossen.
- Die Tätigkeiten müssen so angelegt sein, dass ein Überwechseln in den regulären Arbeitsmarkt jederzeit möglich ist und das Überwechseln durch die Beschäftigung gefördert wird.
- Die „Entlohnung“, bestehend aus dem Arbeitslosengeld II und der Mehraufwandsentschädigung, darf in keinem Fall den arbeitsbedingten höheren Existenzbedarf unterschreiten, sondern muss in einem angemessenen Verhältnis zu der erbrachten Arbeitsleistung stehen. Dabei sollen tarifliche Vereinbarungen oder ortsübliche Löhne als Vergleichsmaßstab hinzugezogen werden.
- Arbeiten, die den Umgang mit Menschen beinhalten, dürfen nur an Arbeitslose vermittelt werden, die ihrer Persönlichkeit nach hierfür geeignet sind. Diese Arbeiten dürfen keine Tätigkeiten umfassen, die eine besondere fachliche Ausbildung erfordern (z.B. Pflege, Betreuung, Erziehung). Darüber hinaus müssen die Arbeitssuchenden die Möglichkeit haben, diese Arbeiten in gemeinsamer Absprache mit dem Träger abbrechen zu können.
- Die Arbeit muss grundsätzlich freiwillig sein. Unentbehrlich ist die Freiwilligkeit, wenn Arbeitlose eingesetzt werden, um pflegebedürftigen, älteren oder behinderten Menschen bzw. Kindern Gesellschaft oder sonstige zusätzliche Dienste zu leisten.
- Auch darüber hinaus sollte die Beschäftigung möglichst freiwillig sein. Die zwangsweise Heranziehung zu Maßnahmen muss auf wenige Ausnahmen begrenzt bleiben.
- Die öffentlich geförderte Beschäftigung muss auf Seiten der Agenturen durch qualifizierte Fallmanager begleitet werden. Die Qualifikation der Fallmanager muss sich sowohl auf die Kenntnisse des örtlichen Arbeitsmarktes als auch auf pädagogische Kenntnisse und Erfahrungen erstrecken. Auch bei Zuweisung in öffentlich geförderte Beschäftigung muss vorher geklärt werden, welche Ziele mit der Maßnahme erreicht werden sollen. Darüber hinaus müssen die Fallmanager Methoden zur Qualitätskontrolle entwickeln und die Qualität der Maßnahmen sicherstellen. Vor Beginn der Maßnahme muss eine Qualifizierung bzw. Vorbereitung auf die Arbeitsgelegenheit erfolgen. Dies gilt insbesondere, wenn Personen eingesetzt werden, um pflegebedürftigen, älteren oder behinderten Menschen bzw. Kindern Gesellschaft oder sonstige zusätzliche Dienste zu leisten.
- Den Arbeitssuchenden ist neben der öffentlich geförderten Beschäftigung ausreichend Zeit für intensive Bewerbungsbemühungen einzuräumen. Gleichzeitig hat auch die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen während der Maßnahme fortzusetzen.
- Personen, die weitere unterstützende Hilfe benötigen, muss diese Hilfe auch angeboten werden. Dies gilt insbesondere, wenn Menschen aufgrund einer Erkrankung in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind oder andere soziale Umstände die Eingliederung erschweren.
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