Abgespeckt
Wochenende an der Jade 2002: Wenig Neues, einiges Fehlendes, aber viel Schönes
(iz/ub) Die hoch verschuldete Wilhelmshavener Projekt GmbH musste in diesem Jahr beim Wochenende an der Jade spürbar auf Sparflamme kochen. Dass weniger BesucherInnen als sonst kamen, lag aber wohl eher am Regen, denn für die Qualität des Programms kann auch gelten „weniger ist mehr“. Begleiten Sie den GEGENWIND bei einem kommentierten Festbummel.
Der Veranstalter will auch dieses Mal die üblichen 300.000 BesucherInnen gezählt haben. Wer sich viel im Festgeschehen herumgetrieben hat, die Bedienungen an den gastronomischen Ständen befragte oder in der Südstadt wohnt, kommt zu einem anderen Ergebnis. An den ersten beiden Abenden spielte manch gute Band engagiert vor dünnem Publikum, und den ganzen Sonntag konnte man noch freie Parkplätze in der östlichen Südstadt ergattern. Abschleppdienst und Ordnungsamt hatten vergleichsweise wenig zu tun, wobei sich so manche Abschleppaktion beobachten ließ, wo man ein Auge hätte zudrücken können, weil der Verkehrsfluss durch die vielen Fußgänger ohnehin auf Schritttempo reduziert ist und durch die so bestraften „Nischenparker“ nicht zusätzlich gefährdet oder behindert wurde.
Die Sicherheitskräfte an den Eingängen machen sich atmosphärisch (auch und gerade für friedlich gesonnene Besucher) nicht so gut, scheinen jedoch mittlerweile ihre Wirkung zu zeigen – es gab deutlich weniger blutige Nasen als sonst.
Auf dem „Flohmarkt“ dominierten die kommerziellen Anbieter. Die Preise der Fest-Gastronomie haben sich der allgemeinen Teuromanie angepasst: Ein Glas Bier um die 2 Euro, und z. B. unsere Bratwurst-Analyse ergab: 1,90 am Bontekai, am Pumpwerk 1,60. Am Südstrand wieder ein Sprung auf 1,80 Euro – und dann die Preisbrecher: 1,50 Euro bei der Marine! Erwartungsgemäß, denn den Arbeitslohn für die Grillmeister im Matrosenanzug hat der Besucher ja schon bezahlt.
Ein kleiner Imbissstand kostet an die 1000 Euro Standgebühr und noch mal das Gleiche an Strom, der nicht direkt von den Stadtwerken, sondern etwas teurer von einer Firma bezogen werden muss. Die deftigen Standgebühren müssen wieder erwirtschaftet werden, und so dreht sich die Preisspirale für den Endverbraucher nach oben.. Trotzdem gab es unter den Festbeschickern lobenswerte Ausnahmen, die tatsächlich nur den DM-Preis vom Vorjahr auf Euro halbiert und damit sogar noch um ein paar Cent unterboten haben.
Auf Dauer wäre es für die Besucher vielleicht billiger, mit dem Kauf von Sponsorenfähnchen die Grundfinanzierung zu sichern, um die Preissteigerungen zu stoppen.
Beim Pumpwerk blieben die Besucherzahlen gegenüber früheren Jahren deutlich zurück. Die Veranstalter schieben das darauf, dass die Wiesbadenbrücke als Bindeglied zwischen großem Hafen und dem westlichsten Teil der Festmeile jetzt fehlt. Wer das „Windfest“ aus früheren Zeiten – ebenfalls ohne Wiesbadenbrücke – als wichtigstes Familienangebot des WadJ kennt, mit Eltern spricht oder sich selbst einen Eindruck verschafft, kommt schnell auf den wahren Grund. Auf der großen Wiese, wo bis vor zwei Jahren das Pumpwerk-Team und ehrenamtliche HelferInnen mit einfachen Mitteln, aber viel Phantasie einmalige Erlebniswelten schufen, wo z. B. ein schlichtes Baugerüst in ein Piratenschiff verwandelt wurde – da hat sich jetzt wie ein Fremdkörper die hochgradig kommerzielle „RTL-Toggo-Tour“ mit einer vorgefertigten, klinischen Plastik-„Erlebnis“-Welt breit gemacht. Und da fahren zum Glück viele Kinder nicht drauf ab, oder zumindest nicht deren verantwortungsvolle Eltern, die den Nachwuchs nicht früher als ohnehin programmiert zur Marionette eines Medienriesen dressieren lassen wollen.
Da sind die liebevoll selbst gebastelten und betreuten Kinderangebote der Marine eine echte Konkurrenz. Moralisch betrachtet gibt es zwar nur den Unterschied, für welche Ideologie die Kinderseele begeistert werden soll: für den Medienkonsum oder fürs Säbelrasseln. Nach Kreativität bewertet, hat die Marine jedoch eindeutig die Nase vorn. Im Gegensatz zum Pumpwerk (wo man dem Medienterror nicht entfliehen konnte) war das Kinderangebot gewalt- und waffenfrei, wenn man davon absieht, dass Tarnnetze zur Dekoration verwendet wurden und man durch Röhren rutschende Erbsen energisch mit einem Hammer zerdeppern musste. Krasse Ausnahme: Auch das originelle Polizei-Puppenbühnen-Festival, ein ausgesprochener Familien-Publikumsmagnet, war vom angestammten Platz beim Pumpwerk zum Arsenal verlagert worden – in die Waffeninstandsetzungshalle voller Lafetten, Maschinengewehre etc. Dass sich die Polizei mit ihrem durchaus erträglichen Verkehrserziehungsangebot für die Kleinsten mit solch einem Standort zufrieden gibt, ist eine kritische Betrachtung wert.
Das alles kann man nur erleben und bewerten, wenn man sich auch oder gerade als PazifistIn in die olivgrüne Höhle des Löwen begibt, um mal zu gucken, mit welchen Mitteln die Jungs um ihre Popularität kämpfen. Da durfte man in einem Infozelt der Waffenspezialisten – Zutritt unter 17 Jahren verboten – einen Stapel Playboy-Hefte hochheben und damit eine versteckte Bombenattrappe „scharf machen“ oder auch das modernste Scharfschützengewehr der Welt mal an die Schulter nehmen.
Jede Diät bringt Verzicht und mengenmäßige Verluste, am Ende aber einen qualitativen Gewinn. Das gilt auch für das „abgespeckte“ Musik- und Kleinkunstprogramm. Ziel der WPG war es, Geld zu sparen; für die BesucherInnen hatte es den positiven Nebeneffekt, dass das Programm übersichtlicher ist und man nicht mehr ständig vor der Qual der Wahl steht, welches „Highlight“ man jetzt sausen lässt, um ein anderes nicht zu verpassen. Dabei ist immer noch mehr als genug im Angebot.
Auch das Feuerwerk ist einfach immer wieder schön und bedarf keiner jährlichen Steigerung. Etwas unfair ist es, dass die besten Plätze z. B. auf den Schiffen und Anlegern und der Oceanis-Terrasse ausgewählten Besuchern vorbehalten sind und gleichzeitig etliche Meter des Kais mit Buden und Fahrzeugen zugestellt werden (z. B. 15 Meter „Bibel-Bus“ – wie unchristlich!), die auch im rückwärtigen Bereich der Panorama-Meile Platz hätten, statt dem gemeinen Volk die Sicht zu versperren.
Bei aller (konstruktiv gemeinten) Kritik ist das Wochenende an der Jade einfach ein nettes wiederkehrendes Angebot, das sich über die (mittlerweile 28) Jahre überregional einen Namen gemacht hat. Für das unstete Wetter kann keiner was (und dafür muss sich auch die WPG nicht mit unglaubwürdigen Besucherzahlen herausreden). Mit den jetzt vorgenommenen und notfalls auch noch weiteren Sparmaßnahmen kann man leben. Nur strukturell wäre einiges zu verändern (s. Kasten), vor allem, wenn das – von der Anlage her sehr attraktive – Pumpwerkgelände wieder mehr in den Mittelpunkt rücken soll.
Die Kritik muss sich das Pumpwerk-Management gefallen lassen: Ohne Geld und Personal und guten Willen bleibt das „Windfest“ gegenüber früheren Ausgaben ein laues Lüftchen. Das Personal des Pumpwerks ist überfordert, der federführende Mitarbeiter war in Urlaub. Hausmeister Kalli Gerdes ist ganz offensichtlich der „letzte Mohikaner“ der die alte Kinderangebotsideologie noch trägt und mit seinem toll gestalteten Bauwagen einen deutlichen Akzent setzte. Vielleicht sollte man ihn zukünftig vom Kabelschleppen und anderen Hilfsarbeiten freistellen und stattdessen die Kinderaktionen federführend organisieren lassen?!
Die für viele Stammbesucher Kult gewordene Südstrandbühne fehlte. Das Problem sind Beschwerden der Anwohner wegen Lärmbelästigung. Eine durch die bevorzugte Wohnlage ohnehin privilegierte kleine Anwohnerschar, der man ein kulturelles Glanzlicht vor die Haustür stellt, ist nicht bereit, vier Tage im Jahr das einmalige Wohnumfeld mit anderen zu teilen. Mit dieser Intoleranz schaden die Nörgler ihren MitbürgerInnen, den Gästen und dem Image der Stadt. Zukünftig sollten die Veranstalter, im Interesse von Tausenden Gästen, konfliktfreudiger mit der Handvoll Spielverderber umgehen.
Es wurde bekanntlich gespart bei den Ausgaben für Großsegler und andere Schiffe. Dies ist eine Qualitätsminderung, die eine gefährliche Spirale nach unten einleiten kann. Viele Touristen aus dem Binnenland kommen nicht wegen einer „Maritimen Meile“, die von Sauf- und Fressbuden, irischer Musik und kommerziellem Flohmarkt geprägt ist. Die wollen Schiffe sehen – unter Dampf und unter Segel. Das ist was Besonderes. Alles andere wird auch in Gelsenkirchen und umzu geboten! Hier wurde am falschen Ende gespart.
Uwe Brams / Imke Zwoch
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