Unflexible Gewerkschaft
Sep 011988
 

Nicht zuständig

Wie es einen Gewerkschafter in die Arme des Arbeitgeberverbandes trieb

Arend-Roland Rath und Nicola Rath den Wilhelmshavenern bekannt als langjährige, engagierte Mitarbeiter der „Perspektive“ sind sozial denkende Menschen. Und so nahmen sie sich nach vollendeter Berufsausbildung als Sozialpädagogen vor, nicht nur „Vater Staat“, auf der Tasche zu liegen, sondern darüber hinaus auch noch neue Arbeitsplätze zu schaffen.

ArbeitgebergewerkschaftSie nahmen sich das zu Herzen, was die Bundesregierung täglich predigt, sannen auf brachliegende unternehmerische Energien und übernahmen, nach einigem Hin- und Her im Rat der Stadt, die „Seenelke“ am Südstrand, die sie mit viel Arbeit ins „Café Seewärts“ verwandelten, das durch sein variationsreiches Pfannkuchenangebot  mittlerweile vielen ein Begriff ist.

Die Arbeit häufte sich und einer der fleißigsten Helfer sollte als der erste Mitarbeiter eingestellt werden. Nun ist Sozial- und Freizeitpädagoge Rath bekennendes Mitglied der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“, aktiver Jungsozialist und Kritiker allzu kapitalistischen Unternehmergeistes dazu. Einen Ausbeutervertrag wollte er mit seinem neuen Mitarbeiter auf gar keinen Fall schließen. Im Vertrauen auf die Hilfe der großen Mutter aller Werktätigen schickte er Mitarbeiter Uli also zum DGB-Haus – mit der Bitte, dort einen Muster-Tarifvertrag, wie er im Gaststättengewerbe leider nicht immer üblich ist, zu beschaffen. Mitarbeiter Uli kehrte unverrichteter Dinge wieder zurück. Die Gewerkschaft „Nahrung, Genuß und Gaststätten'“ (NGG) gebe es in Wilhelmshaven gar nicht, hatte man ihm gesagt, aber montags um 17.00 Uhr halte die NGG im Gewerkschaftshaus eine Sprechstunde ab.

Jungunternehmer und GEW-Gewerkschafter Rath gewährte seinem neuen Mitarbeiter bezahlten Sonderurlaub und schickte ihn am Montag zum Gewerkschaftshaus. Der durchforstete die DGB-Zentrale Stockwerk für Stockwerk, Tür für Tür, fand aber nur einen Gewerkschafter, der unterm Dach Bücher sortierte – mit der NGG habe er nichts zu tun und die sortierten Bücher halfen in der fraglichen Angelegenheit auch nicht weiter. Wie Rath tags darauf erfuhr, war die Sprechstunde wegen Krankheit ausgefallen. Wie er an den Tarifvertrag herankomme – die Zeit drängte wegen des bevorstehenden Einstellungstermins – konnte ihm niemand sagen.

Da griff GEW-Gewerkschafter Rath kurzerhand zum Telefonhörer und wählte die Oldenburger NGG-Geschäftsstelle an. Nachdem er sich als DGB-Kollege vorgestellt hatte, der als junger Selbstständiger um einen arbeitnehmerfreundlichen Tarifvertrag bitte, erhielt er eine Antwort, die ihm beinahe die Sprache verschlagen hätte: „Selbstständig?“, hörte er am anderen Ende der Leitung eine weibliche Stimme, „dann ist für Sie der Arbeitgeberverband zuständig!“ Wortreich versuchte GEW’ler Rath der NGG-Kollegin klarzumachen, daß er jetzt zwar selbstständig, aber doch Gewerkschaftsmitglied sei, daß er gewerkschaftliche Interessen vertrete und deshalb um einen ordentlichen Tarifvertrag bitte. Mit einem energischen „Nein!“ verwies die Kollegin aus Oldenburg ihn jedoch knapp und bündig abermals an den Arbeitgeberverband. Den Tarifvertragstext gebe sie ihm nicht heraus. Die NGG sei für ihn als Selbstständigen nicht zuständig. Erregt verlangte Rath nun den Geschäftsführer zu sprechen – aber der war nicht erreichbar.

Der Einstellungstermin stand vor der Tür und nun war guter Rat teuer. In seiner Not rief der unternehmende Gewerkschafter – nach einigen Momenten innerer Überwindung beim Arbeitgeberverband an. Und siehe da: Nach zwanzig (!) Minuten hielt er das Muster eines regulären Tarifvertrages in der Hand – durch einen Kurier eigenhändig überreicht. Wen wundert’s, daß es seit diesem Tag in Wilhelmshaven einen überzeugten Gewerkschafter gibt, der gleichzeitig Mitglied im Arbeitgeberverband ist?

Wolfgang Kuschel

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