Speerspitze
Mrz 091992
 

Ozonkiller ICI

Interne Unterlagen beweisen: Das Wilhelmshavener ICI-Werk bläst seit Jahren tonnenweise FCKW in die Luft

(hk) Es gibt nur wenige Industriebetriebe die so kontrovers in der Diskussion stehen. wie das PVC-Werk der ICI. Während die Umweltschützer Produktionsweise und Produkte gleichermaßen als schädlich einstufen, wird es von den Lokalpolitikern und anderen „Größen“ als „Speerspitze des Umweltschutzes“ gefeiert. Dieser „Speerspitze“ dürfte nach dem jetzt bekannt gewordenen Umweltskandal wohl endgültig die Spitze abgebrochen sein.

Dem GEGENWIND wurden vor einiger Zeit betriebsinterne Unterlagen der ICI zugespielt, aus denen hervorgeht, daß aus deren Ethylentanklager seit Jahren tonnenweise ozonschicht-zerstörende Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) in die Umwelt gelangen. Anhand der Auswertung der uns vorliegenden Unterlagen läßt sich eine Jahresemissionsmenge von zehn bis zwanzig Tonnen abschätzen. Die ICI gehört damit zu den größten Emittenten dieser Stoffe an der Küste!
Nachdem uns in mehreren Sendungen insgesamt ca. 80 (!) Blätter aus der FCKW-Betriebsmittelbilanz des Ethylentanklagers der ICI zugespielt wurden, schalteten wir das in Hamburg ansässige Umweltinstitut ‚Ökopol‘ ein, von dem eine Beurteilung der Daten vorgenommen wurde.
In der Zeitschrift der Aktionskonferenz Nordsee (AKN) „waterkant“ veröffentlichte dann Anfang des Jahres Andreas Ahrens (Ökopol) eine Auswertung der Unterlagen. Wir drucken im folgenden diesen von uns leicht überarbeiteten Artikel auszugsweise ab:

Leckagen im PVC-Werk
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Der Ethylentank der ICI – Foto: Gegenwind

Für die Herstellung von PVC werden zwei chemische Grundstoffe benötigt: Chlor und Ethylen. Beide Stoffe sind bei Normaltemperatur gasförmig und müssen daher unter Druck und/oder tiefer Temperatur gelagert werden.
Das Kältesystem im Ethylentanklager wird mit sogenanntem R 22, einem teilhalogenierten FCKW, betrieben. Wie in einem ganz normalen Kühlschrank wird auch hier mit Hilfe des Kältesystems Wärme aus dem lagernden Ethylen entzogen und an die Umgebung abgegeben.

Ständig größere Lecks

Aus den vorliegenden Betriebsunterlagen der ICI geht hervor, daß in den Kompressoren und an Schlauchverbindungen ständig größere Lecks aufgetreten sind. Die monatliche Nachfüllmenge läßt sich bis Ende 1990 mit durchschnittlich etwa einer Tonne pro Monat abschätzen. Ein besonderes Problem stellt offensichtlich die Trennung des Kältemittelkreislaufes vom Ölkreislauf der Kompressoren dar. Laut Betriebsunterlagen wurden zeitweise täglich mehr als 100 Liter R22-haltiges Öl abgezogen und in offenen Fässern gesammelt.
Abgesehen davon, daß sich aus den geschilderten Vorgängen ein bemerkenswert schlechter Zustand der ICI-Anlagen ableiten läßt, stellt sich die Frage nach der toxikologischen und umwelttechnischen Bedeutung der FCKW-Emissionen.
R 22 ist als Kältemittel seit Jahren im Einsatz und gilt derzeit noch als Ersatzstoff für vollhalogenierte FCKWs. Das Umweltbundesamt spricht sich inzwischen für einen Verzicht auf den Einsatz von R 22 aus. Allenfalls in genau definierten Einsatzbereichen komme es als Ersatzstoff übergangsweise noch in Frage. Die FCKW-Halon-Verbotsverordnung vom 30.4.91 sieht ein endgültiges Ende der R22-Nutzung in Deutschland bis zum 1. Januar 2000 vor.

Treibhauseffekt

Neben den ozonschädigenden Wirkungen des R22 kommt dem Stoff auch noch eine Mitwirkung am Treibhauseffekt zu, die beim 2.000-fachen des Kohlendioxids liegt. Desweiteren ist die toxikologische Unbedenklichkeit des R22 immer noch nicht belegt Insbesondere fehlt eine hinreichende Bewertung seines mutagenen (erbgutschädigenden) und teratogenen (Mißbildungen hervorrufenden) Potentials.

Mangelhafte Wartung

Die R22-Emissionen der Firma ICI, immerhin etwa 10 his 20 Tonnen pro Jahr, können nicht verharmlost werden. Die ICI ist ein klassisches Beispiel dafür, wie langsam die Unternehmen der Chemischen Industrie sich ihrer Verantwortung für globale Umweltschäden bewußt werden. Die PVC-Produzenten sind direkt mitverantwortlich für die Zerstörung der Ozonschicht durch FCKW. Im hier geschilderten Fall der ICI zeigt sich, daß das „geschlossene FCKW-System“, also ein System bei dem diese Stoffe nicht in die Umwelt gelangen, eine Fiktion ist, die bereits an unzureichender Anlagentechnik und mangelhafter Wartung der Kältesysteme in der Realität scheitert.
Angesichts dieser Verhältnisse in der Praxis ist eine Nutzung von R22 in den Anlagen der ICI bis zum Jahre 2000 nicht vertretbar. Da die Einstellung der PVC-Produktion leider in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, muß die ICI ihre Anlagen unverzüglich auf umweltverträgliche Stoffe umstellen.

Die Menge FCKW, die die ICI jährlich durch Leckagen an die Luft abgibt, entspricht dem FCKW-Potential von 40.000 Kühlschränken (Kühlmittel und Schaum) aneinandergestellt eine Reihe von Wilhelmshaven bis Oldenburg (Luftlinie), oder dem FCKW-Inhalt von 400.000 Spraydosen (150 ml) – aufeinandergestellt ein Turm von 64 Kilometern Höhe!
(Es geht bei diesem Vergleich nicht um die unterschiedliche Schädlichkeit der verschiedenen FCKW in Spraydosen, Kühlschränken und bei ICI, sondern nur darum, eine Vorstellung über die Größenordnung der Verschmutzung zu bekommen.)

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