Naturraumzerstörung
Mrz 091992
 

Stoppt die Bagger!

Gegen den Widerstand der Natur- und Umweltverbände will die Stadt den wohl wichtigsten Naturraum in der Stadt zerstören

(hk) Wieder soll Wilhelmshaven um ein Stück Natur und um ein Stück Heimatgeschichte ärmer werden: Das Gebiet zwischen Ladestraße/ Ebkeriege/ Ems-Jade-Kanal und Alter Banter Weg soll für Gewerbeansiedlungen erschlossen werden. Wilhelmshavens Natur- und Umweltschutzverbände laufen Sturm um den längst beschlossenen Plan doch noch zu kippen.

Peter Hopp, Vorsitzender des Kreisverbandes Wilhelmshaven/ Friesland des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), vielen WilhelmshavenerInnen als ausgeglichener und stets den Ausgleich suchender Mensch bekannt, sah rot, als er von der letzten Sitzung des Wirtschaftsausschusses kam. Auf dieser Sitzung ging es unter anderem auch um die Erschließung des Gebietes an der Ladestraße.

Die Art und Weise, wie in diesem Ausschuß über Natur und Umwelt gedacht wird, wollen wir unseren LeserInnen nicht vorenthalten:
Zeichnung: Erwin Fiege

Zeichnung: Erwin Fiege

  • CDU-Ratsherr Rolf Fehnders: „Das kann ja wohl nicht sein, daß die (gemeint sind die Ansiedlungswilligen -hk-) wegen so was (gemeint ist die Natur -hk-) abgewiesen werden. Man maßte auch mal über die Flächen im Norden mit der Planierraupe rübergehen – vorbeugend, damit sich da erst gar nicht erst etwas biotopähnliches entwickelt.“
  • Herr Beutner, Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung: „Viele Interessenten wollen dorthin und die sollen von uns auch bedient werden. Von den grünen Flächen werden wir so viele wie möglich für uns reklamieren – möglichst alles!“
  • CDU-Ratsherr und Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses Bernhard Rech zu dem Einwand, daß in Feuchtgebieten das Bauen nicht so einfach sei: „Das ist doch gar kein Problem – Bodenaustausch – den Schiet (gemeint sind die Lebensräume für Tiere und Pflanzen, die die meisten nur noch von Fotos kennen -hk-) raus und was anderes rein – Kein Problem. Naturschutz: Ja! Aber wir müssen unsere Bevölkerung ernähren und das geht nur durch die Wirtschaft – Arbeitsplätze gehen vor Naturschutz!“
  • CDU-Ratsherr und Vorsitzender des Umweltausschusses Theo Eppelmann: „Ich habe kein Verständnis dafür, daß in einem Gewerbegebiet Flächen für den Naturschutz ausgespart werden, da kann ich auch die Naturschutzverbände nicht verstehen.“
  • Monika Schwarz von der Frauenliste war die einzige, die sich der Forderung der Naturschutzverbände, das gesamte Gebiet unter Schutz zu stellen, anschloß. Zum Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung gerichtet sagte sie: „Auch Sie, Herr Beutner, müssen sich genauso an die Gesetze halten wie die Bauämter.“

Erwähnenswert zu dieser Sitzung des Wirtschaftsausschusses ist noch, daß Oberstadtdirektor Schreiber bei der Diskussion eines anderen Tagesordnungspunktes sagte, daß „noch genügend freie Flächen für Ansiedlungswillige im Stadtnorden vorhanden sind.“
Für das Gebiet südlich der Ladestraße existieren zwei Bebauungspläne, die gegen die Einwände der Naturschutzverbände vom Rat der Stadt beschlossen wurden. Erst als im April 1990 das Niedersächsische Naturschutzgesetz novelliert wurde, gab es für die Verbände die Möglichkeit, gegen die großräumige Zerstörung des Gebietes aktiv zu werden. Nach diesem Gesetz, so die Verbände, wäre die Aufstellung der Bebauungspläne nicht möglich gewesen. Die Wilhelmshavener Natur- und Umweltschutzverbände vertreten die Auffassung, daß die kommunalen Planungen nichtig sind, da sie dem höherwertigern Recht (Landesrecht bricht kommunales Recht) entgegenstehen.

Das Gelände südlich der Ladestraße
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Foto: gegenwind

Der Bereich des Landschaftsschutzgebietes Hessens gehört zu den ältesten historischen Siedlungsschwerpunkten im Stadtgebiet Wilhelmshavens, in denen die Siedlungsgeschichte aus der Zeit vor dem Einbruch des Jadebusens sowie der Eindeichung und Verlandung der Maadebucht dokumentiert wird. Es sind hier Wurten und alte Deiche sowie ein dichtes Grüppensystem und unregelmäßige, alten Prielläufen folgende Gräben als Zeugen der historischen Siedlungs- und Nutzungsstrukturen erhalten geblieben, die die besondere Eigenart der Marschlandschaft verdeutlichen.
Darüber hinaus besitzt das heute überwiegend als Grünland genutzte, weniger intensiv bewirtschaftete Gebiet, Bedeutung als Lebensraum für z.T. gefährdete Wiesenbrüter. In seinem nördlichen Bereich sind zudem die einzigen Feucht- und Naßgrünlandbereiche innerhalb des Stadtgebietes erhalten geblieben. Sie stellen letzte Rückzugsräume für solche Pflanzen- und Tierarten sowie ihrer Lebensgemeinschaften dar, die auf extensiv bewirtschaftetes Feucht- und Naßgrünland angewiesen sind.
In dem Gebiet befinden sich u.a. 3 Vogelarten (Bekassine, Rotschenkel, Rebhühner) sowie 4 Pflanzenarten der „Roten Liste“. In dem Gebiet gibt es intakte Kleingewässer mit hohem Pflanzenartenreichtum und mit reichem Laichvorkommen von Amphibien und Libellen.
Die Röhrichte und Sumpfvegetationstypen gehören nach dem Niedersächsischen Naturschutzgesetz zu den besonders geschützten Vegetationseinheiten.
Unterschiedliche Geländestrukturen, Vegetationsverhältnisse und Biotoptypen prägen das vielfältige Landschaftsbild.

Das Gebiet im Ganzen erhalten

Die Natur- und Umweltschutzverbände vertreten die Auffassung, daß das Gebiet nur dann seinen Wert behält, wenn es als Ganzes erhalten und unter Schutz gestellt wird. Die Planungen der Verwaltung dagegen sehen vor, einige besonders schützenwerte Biotope, Wurten und ähnliches von der Bebauung auszusparen. Wenn das Gebiet jedoch erst einmal kanalisiert ist, die Wasserläufe von verdichteten Straßen unterbrochen und das Oberflächenwasser seinen geregelten Weg in die Gullys sucht, wird es nicht lange dauern, bis auch die letzten in Wilhelmshaven brütenden Bekassinen verjagt sind. Am 5.6.1991 schrieben die Verbände an Rat und Verwaltung: „Eine teilweise Umwidmung dieses zusammenhängenden Natur- und kostenlosen Naherholungsgebietes zum „eingeschränkten Industriegebiet“ bzw. für weitere Gewerbeansiedlung, wie in den Bebauungsplänen vorgesehen, würde durch die hiermit verbundene Verkleinerung und Zerstückelung dieser Landschaft nicht nur deren ökologischen und artenschützerischen Wert torpedieren, sondern ebenso gegen Landschaftsästhetik und heimatpflegerische Werte verstoßen.
Das großräumige schöne Landschaftsbild typisch friesischen Charakters wäre verkümmert, zu kleinkariertem Fleckenteppich verarmt (…) und hätte seine bisherige Unverwechselbarkeit gegen ein Dutzendgesicht vertauscht.

Wir müssen jetzt kämpfen

Noch geschockt von der Sitzung des Wirtschaftsausschusses und von der Einrichtung der Baustelle neben dem Tierheim als untrüglichem Zeichen des bevorstehenden Baubeginns, leitete Peter Hopp die Sitzung der Umweltverbände am 5.3.92 mit den Worten „Wir müssen jetzt kämpfen“ ein. Zu hoffen bleibt nur, daß die rechtlichen Schritte, die unter Beratung eines Rechtsanwaltes ins Auge gefaßt wurden, auch zum Erfolg führen.
Die Leute von der Tiefbaufirma Bokelmann wissen scheinbar, daß das, was sie machen, von den Umweltverbänden kritisiert wird: Als der Fotograf des GEGENWINDES am 10.3. einige Fotos von den naturfressenden Baggern machte, stürzte gleich der Vorarbeiter auf ihn zu und fragte, ob er von der Presse sei. Und er solle doch gefälligst auch davon berichten, daß in der einen Nacht, in der die Bagger dort standen, diesem die Fensterscheiben eingeschlagen und die Spiegel abgebrochen wurden.

Aktivitäten der Natur- und Umweltverbände Wilhelmshavens seit der Novellierung des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes

  • 19.3.91: Gemeinsame Begehung des Gebietes mit Vertretern der Verbände, der Naturschutzbehörde, Ratsmitgliedern und der Presse
  • 5.6.91: Brief an Rat und Verwaltung. Forderung: Aufhebung der Bebauungspläne und Ausweisung des Gebietes zwischen Ebkeriege, Güterstraße, Ems-Jade-Kanal und Alter Banter Weg als Landschaftsschutzgebiet. Hinweis an die Stadt, daß sie unter Umständen schadensersatzpflichtig wird, wenn sie Zusagen für Ansiedlungen gibt.
  • 11.11.91: Brief an Oberstadtdirektor Schreiber mit der Bitte um Beantwortung des Schreibens vom 5.6.91 (!). Die Verbände protestieren gegen beabsichtigte Vermessungsarbeiten.
  • 11.11.91: Brief an die Bezirksregierung Weser-Ems. Die Verbände legen Einspruch gegen die von der Bezirksregierung gewährten Förderungsmittel ein und weisen auf mögliche rechtliche Konsequenzen hin.
  • 11.11.91: Übersendung des Schriftwechsels an die Untere und Obere Naturschutzbehörde und an den Vorsitzenden des Umweltausschusses, Theo Eppelmann
  • 27.11.91: Oberstadtdirektor Schreiber bedauert in einem Brief an den BUND, dass die Verwaltung noch nichts von sich hat hören lassen, kündigt eine endgültige Antwort an und weist auf ein inzwischen erstelltes Rechtsgutachten hin.
  • 18.12.91: Telefonische Auskunft vom Leiter des Hauptamtes, Herrn Carstens, daß es sich bei dem Rechtsgutachten um ein Gutachten handelt, in das nicht einmal die Ratsmitglieder Einblick erhalten. Den Verbänden werde in Kürze Bescheid gegeben
  • 8.1.92: Die Bezirksregierung beantwortet das Schreiben vom 11.1l.91 mit dem Hinweis, daß die Stadt Wilhelmshaven zuständig sei.
  • 27.1.92: Das Stadtplanungsamt beantwortet das Schreiben der Verbände vom 5.6.91 mit einer rechtlich nicht abgesicherten Feststellung, daß eine Aufhebung der Bebauungspläne nicht begründbar und nicht zulässig sei.
  • 26.2.92: Anläßlich der Verleihung des BUND-Umwelttalers weist der BUND-Vorsitzende Peter Hopp vor Vertretern von Rat und Verwaltung nochmals auf die Dringlichkeit der Unterschutzstellung des Gebietes hin.
  • 4.3.92: Auf der Wiese westlich des Tierheimes werden Kanalisationsrohre gelagert, die Firma Bokelmann stellt einen Bauwagen auf und umzäunt einen Lagerplatz
  • 5.3.92: Sitzung der Umweltverbände unter Herbeiziehung eines Rechtsanwalts
  • 8.3.92: Brief an die Bezirksregierung als kommunale Aufsichtsbehörde: Die Verbände bitten die Bezirksregierung, der Stadt Wilhelmshaven jegliche naturnachteiligen und landschaftsverändernden Maßnahmen in dem betreffenden Gebiet zu untersagen – Kopie des Briefes an die Obere Naturschutzbehörde
  • 8.3.92: Briefliche Informierung der Niedersächsischen Umweltministerin Monika Griefahn: „Die Glaubwürdigkeit rotgrüner Erneuerungspolitik steht auf dem Spiel“
  • 10.3.92: Die Bagger fangen an zu arbeiten

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