Rotes Kreuz
Apr 161990
 

Zweckentfremdet

Fragwürdige Arbeitsbedingungen und schlechte Entlohnung beim Deutschen Roten Kreuz

(ub) ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) heißt das Zauberwort für private Firmen und gemeinnützige Organisationen. Ein vom Arbeitsamt vermittelter und finanzierter Langzeitarbeitsloser ist billig und anscheinend beliebig einsetzbar.

Auch das Deutsche Rote Kreuz in Wilhelmshaven kennt die preiswerten Angebote beim Arbeitsamt und macht davon regen Gebrauch.
Im Herbst 88 sucht das DRK eine Fachkraft, die angeblich ein Lager für gespendete Möbel betreuen soll und stellt einen entsprechenden ABM-Antrag an das Arbeitsamt.
An arbeitslosen Fachkräften herrscht im Spätherbst 88 in Wilhelmshaven kein Mangel, und so erhält der gelernte Bootsbauer Dieter M. vom Arbeitsamt den freudigen Bescheid. Ab dem 1. Dezember darf er befristet auf ein Jahr wieder in seinem erlernten Tischlerberuf tätig sein.
Das Arbeitsamt sichert ihm Bezahlung nach Tischlertarif (16.92 DM pro Stunde) zu. Dies wird später der entscheidende Streitpunkt sein, über den das Arbeitsgericht im Januar 1990 „im Namen des Volkes“ urteilt.
Einen ersten Dämpfer erhält Dieter M. bereits, als er nach Arbeitsantritt das angebliche Möbellager des DRK in Augenschein nimmt. Das „Möbellager“ in den Mauern der ehemaligen Marinebäckerei in der Ebertstraße gleicht eher einer Sperrmüllsammelstelle.
drk, erwin fiegeEs gibt keine elektrische Beleuchtung, die Fensterscheiben fehlen. Merkwürdig auch die dürftige Werkzeugausstattung. Ein kleines Beil und ein Hammer stehen für die notwendigen Reparaturarbeiten zur Verfügung.
Vom damaligen DRK-Geschäftsführer Reiner Hickel wird ihm gleich zu Arbeitsbeginn erläutert, daß er auch noch andere Tätigkeiten erledigen muß.
Dieter M. ist froh, nach 4 Jahren Arbeitslosigkeit wieder Geld zu verdienen. So denkt er sich zunächst nichts dabei, daß er in den ersten Wochen und Monaten für einen Tischler höchst ungewöhnliche Arbeiten zu verrichten hat.
Altkleider sammeln und sortieren, den Fahrdienst für alte Menschen durchführen, Krankenhausbetten aufstellen und Beatmungsmasken säubern etc. wird sein Haupttätigkeitsfeld.
Zum ersten Konflikt mit der Geschäftsleitung des DRK kommt es im Mai 89, als Dieter M. feststellt. daß er lediglich nach einem Mindestlohntarif (MTL) bezahlt wird. Immerhin 1.42 DM pro Stunde weniger, als vom Arbeitsamt zugesagt. In Unkenntnis über den tatsächlichen Tischlertarif – einen Arbeitsvertrag hat Dieter M. trotz mehrfacher Anmahnung nie erhalten – war er zunächst von einer korrekten Entlohnung ausgegangen. Jetzt stellt er eine Differenz von DM 1.736.94 zu seinen Ungunsten für den Zeitraum Dez. 88 bis Juni 89 fest.
Mehrfach fordert er die Differenzsumme ein und besteht auf Bezahlung nach den ihm zustehenden Tarif.
Als Dieter M. mit der Einschaltung des Arbeitsgerichtes droht und seine ABM-Stelle kündigt. Überweist das Rote Kreuz die geforderte Summe.
Geschäftsführer Hickel in einem Schreiben des DRK: „Sie erhalten rückwirkend ab Dezember 1988 den geforderten Tischlerlohn in Höhe von 16.92 DM pro Stunde.“
Dieter M. erklärt schriftlich seine Kündigung für wirkungslos und ist bereit, die ABM fortzusetzen.
Geschäftsführer Hickel stimmt einer Wiederaufnahme der Beschäftigung lediglich unter den bis zur Kündigung geltenden Bedingungen zu. Zwar ist das Arbeitsamt nach wie vor bereit, diese zu 100 % geförderte ABM mit dem zugesagten Tischlertarif zu finanzieren, doch DRK-Geschäftsführer Hickel beharrt auf dem weitaus niedrigeren Haustarif.
Das Arbeitsamt droht jetzt mit einer Sperrfrist bei einem eventuell zu zahlenden Arbeitslosengeld. Dieter M. setzt seine Tischler-ABM unter Bezahlung des Mindestlohntarifes fort und reicht im August 89 Klage beim Arbeitsgericht ein.
Inzwischen sind auch dem Arbeitsamt die merkwürdigen Arbeitsbedingungen im sogenannten Möbellager des DRK bekanntgeworden, und so wird ebenfalls im August 89 eine Arbeitsplatzbesichtigung durchgeführt.
Dieter M. erfährt von den kopfschüttelnden Arbeitsamtvertretern, daß „seine ABM sofort dichtgemacht wird“ was dann aber doch nicht geschieht, wohl auch aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen.
Die ABM läuft fristgerecht zum 30. November 89 aus. Nach monatelangem Schriftverkehr und nicht unerheblichen Rechtsanwaltkosten wird die Klage im Januar 90 vom Arbeitgericht Wilhelmshaven abgewiesen.
Ausschlaggebend für die Abweisung der Klage ist letztendlich die Tatsache, daß Dieter M. aus Angst vor Arbeitslosigkeit und den damit verbundenen Repressalien des Arbeitsamtes (Sperrzeit bei Unterstützungszahlungen) die Arbeit nach seiner Kündigung zu den alten Bedingungen wieder aufgenommen hat.
Warum allerdings das DRK im Sommer 89 zunächst eine Nachforderung für die ersten sieben Monate der ABM akzeptiert und die Differenz zum geforderten Tischlerlohn auch zahlte, es dann aber auf einen Prozeß ankommen ließ, wird wohl das Geheimnis des damaligen Geschäftsführers Reiner Hickel bleiben.
Der ehemalige Bundeswehroffizier „warf Mitte Juli das Handtuch, weil er sich … den Anforderungen einer solchen Aufgabe nicht gewachsen fühlte.“ (WZ Nov. 89)

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