Rechter Wahlerfolg
Jun 121989
 

Die Saat geht auf

3000 Wilhelmshavener wählten rechtsradikal!

(hk) Das besondere Augenmerk der Öffentlichkeit galt bei der hinter uns liegenden Europawahl nicht etwa bei einem möglichen Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD oder bei der Frage, wieviel Prozent „grün“ wählen, ob die FDP wieder an der 5%-Klausel scheitert. Hauptinteresse und -sorge: Das Abschneiden der rechtsradikalen Parteien DVU und Republikaner.

Das Auftauchen dieser Parteien, ihre Erfolge bei den Wahlen u.a. in Hessen und Berlin, ihr Abschneiden bei der Europawahl – das ist kein „Phänomen“, wie es der FDP-Abgeordnete Bredehorn auf einer Veranstaltung im Pumpwerk bezeichnete. Das Erstarken der Rechten – dafür wurde in den letzten Jahren in der Bundesrepublik der Boden bereitet. Die rechtsradikalen Grüppchen und Parteien, die es ja. auch in Wilhelmshaven seit Jahrzehnten gibt, sie profitierten von der Kohl’schen Wendepolitik. Die Wendepolitik – das ist der Umbau im sozialen Bereich, das „sich Abfinden“ mit mehr als 3 Millionen Menschen ohne Arbeit, von denen ein Großteil chancenlos aus dem Arbeitsleben geschmissen wurde.
Während die Wendepolitik das Schönen von Statistiken als Politik gegen die Arbeitslosigkeit verstand, bekämpfte sie gleichzeitig die Forderungen und Programme anderer Parteien und insbesondere der Gewerkschaften bis aufs Messer. [SCM]actwin,0,0,0,0;Microsoft Excel - europawahl EXCEL 22.06.2015 , 11:07:05Erinnert sei hier, als ein Beispiel unter vielen, an die üblen Aktionen und die Stimmungsmache gegen die 35Stunden-Woche. Diese Wendepolitik überzog schließlich alle gesellschaftlichen Bereiche – vom Wohnungsbau (der eingestellt wurde) über die Wirtschaftspolitik (die sich nur noch am Unternehmerprofit orientierte) bis zum Gesundheitswesen (wo das Gesundwerden wieder eine Frage des Geldbeutels wurde). Sichtbares Ergebnis dieser Politik: Eine Gesellschaft, die fast ein Drittel ihrer Bürger an den Rand drängte. Nichtbeachtet und sich selbst überlassen. Doch diese „Einfachdenker“ in den Parteizentralen hatten auch schnell Sündenböcke gefunden, als die Fehlleistungen ihrer Politik nicht mehr zu übertünchen waren: Ausländische Arbeitnehmer und Asylbewerber. Die in ihren Startlöchern lauernde Rechte brauchte nur noch die Ernte einzufahren: Der Boden war gut bestellt – Die Saat ging auf!
Mit Sicherheit ist dieses Erklärungsschema zu einfach, zu oberflächlich und reicht nicht aus, die Frage nach dem „Warum“ wirklich zu beantworten.
Dennoch bleibt unverrückbar festzustellen: Die Wahlkampfparolen der Rechtsradikalen entspringen eindeutig der CDU-Wendepolitik. Und die CDU weiß auch, daß es ihre Inhalte sind, mit denen DVU und Republikaner auf Stimmenfang gehen. Wenn Max Streibl (CSU) sagt: „Schönhuber vertritt weithin CSU-Positionen, gerade im Bereich der Ausländerpolitik“, wenn Lummer und Wagner (CDU) den Reps die Koalitionsfähigkeit bescheinigen; dann wird deutlich, wie eng die Rechtsradikalen um Frey und Schönhuber mit dem rechten Rand der CDU/CSU, zumindest inhaltlich, verwoben ist.

Stimmen zur Wahl:

Oberbürgermeister Eberhard Menzel (SPD):
Das Wahlergebnis der Rechten ist ein Aufruf an alle Demokraten, noch mehr als bisher zusammenzustehen – geschlossene Reihen gegen diejenigen zu bilden, die sich auch heute abend hier im Wahlbüro in sehr pöbelhafter Form gezeigt haben (Anm.: Im Wahlbüro im City-Haus hatten sich bis zu 1 Dutzend DVU-Anhänger eingefunden).
Eine nur verbale Auseinandersetzung scheint mir hier zu wenig zu sein wir müssen an die Wurzeln der Ergebnisse herangehen. Mit einem Verbot ist da zu wenig getan. Wir müssen aber auch überlegen: Was haben die politischen Parteien in der Stadt falsch gemacht?
Es ist ein ganz persönliches Anliegen von mir, noch mehr als bisher an die Jugendlichen heranzutreten. In den Schulen mit ihnen zu diskutieren. Denn es sind viele junge Leute nicht zur Wahl gegangen – diese Nichtbeteiligung stärkt die Parteien am äußersten rechten Rand. Wenn sich dieser Trend in den nächsten Jahren fortsetzt, dann wird das ganz schlimm.
Mit diesem erschreckenden Ergebnis hätte ich nicht gerechnet. Es bestätigt in gewisser Weise die Auffassung, dass hier doch eine gewisse Struktur vorhanden ist, ein gewisses latentes sich hinwenden zur rechten Szene, das ist eigentlich das Erschreckende.

Manfred Klöpper, Vorsitzender des DGB-Kreises Wilhelmshaven/Friesland:
Das Wahlergebnis ist für uns außerordentlich erschreckend und beunruhigend. In Wilhelmshaven muß die Arbeit im „Antifaschistischen Bündnis“ jetzt verstärkt fortgesetzt werden. Aufgabe des DGB und der Gewerkschaften wird es sein, gemeinsam mit anderen gegen alle rechtsradikalen und faschistischen Tendenzen anzugehen.
Inhaltlich muß es unter anderem um mehr und sicherere Arbeitsplätze um den Wohnungsbau, um die soziale Sicherung gehen – und das muß gemeinsam mit und im Zusammenhang mit unseren ausländischen Kollegen geschehen .
Möglich war ein solches Ergebnis auch, weil die Erziehung, das Elternhaus, die Schulen hier versagt haben. Es hat nie eine Aufarbeitung des Faschismus gegeben.
Nichts verschweigen und nichts vergessen – das muß die Aufgabe der Zukunft sein.

Stefan Leimbrinck, Geschäftsführer des Ausländerbeirates:
Die DVU und die Republikaner haben in Wilhelmshaven mit Sicherheit ihr angestrebtes Ziel nicht erreicht. 3000 Stimmen, 7%, das ist natürlich sehr viel. Aber bundesweit liegen diese beiden Parteien bei 10%. In Wilhelmshaven konnten die Rechten mit ihren platten Parolen nicht gegen die Verständigung zwischen Deutschen und Ausländern ankommen. Sicherlich auch ein Erfolg der Arbeit des Ausländerbeirates. Das Ergebnis ist schlimm – aber durch Aufklärung und durch die Bewusstmachung der Probleme kann da für die Zukunft noch etwas getan werden.

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