Full House
Jun 121989
 

Jugendliche Spielsucht

Jugendschutz machtlos gegen Automatenaufsteller

(ub) Die Anrufe besorgter Eltern beim Wilhelmshavener Jugendschutzbeauftragten A. Friedel sowie bei zuständigen Beratungsstellen haben in letzter Zeit drastisch zugenommen.

Spielende Kinder und Jugendliche. die ihr gesamtes Taschengeld in Spielautomaten stecken sind keine Seltenheit mehr. Vereinzelt klagen Eltern auch schon über kleine Diebstähle ihrer Kinder. Die anrufenden
Eltern sind empört über die Tatsache, daß es offenbar keine Maßnahmen von örtlichen Behörden gibt, die den Zugang von Kindern zu diesen Geräten verhindern.
In der Tat sind Jugendschutzbehörden hier machtlos. Bei näherem Hinsehen handelt es sich bei besagten Automaten nämlich nicht um Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit, sondern um sogenannte „Kartenwendegeräte“ die vom Gesetzgeber als reine Unterhaltungsgeräte eingestuft wurden. Diese Geräte sind genauso wie Tischfußballgeräte, Flipper und Billard nicht mit Altersauflagen versehen.
Im Unterschied zu Automaten. An denen man Geld gewinnen kann, handelt es sich hier um Geräte. Bei denen statt Geld Punkte gewonnen werden können, die den Spielbetrieb verlängern. Ansonsten weisen
diese Geräte frappierende Ähnlichkeiten zu den in Spielhallen aufgestellten Geldspielgeräten auf. So können z.B. auch hier durch die sogenannte „Risikotaste“ erzielte Gewinne vervielfacht oder wieder verloren werden.
Bereits 1985 hatte der Gesetzgeber das Jugendschutzgesetz in einigen Punkten verändert und den bestehenden Bedingungen auf dem Freizeitmarkt angepaßt. Die zu der Zeit weit verbreiteten Spielgeräte mit elektronischem Bildschirm – sogenannte Videospiele – dürfen seither erst ab einem Alter von 16 Jahren gespielt werden. Zudem ist eine Aufsicht notwendig.
Die Automatenindustrie, hat schnell reagiert. Mittlerweile ist ein Großteil der Videogeräte durch die neue Generation dieser „Kartenwendeautomaten“ mit so klangvollen Namen wie „Jackpot“ und „Full-House“ ersetzt worden.
Besonders empört es betroffene Eltern, daß diese Geräte in Häusern und Einrichtungen stehen, die direkt von der Stadt Wilhelmshaven betrieben werden bzw. mit städtischen Mitteln gefördert werden.
In den Vorräumen vom Hallenbad und der Eishalle stehen mehrere dieser Automaten und locken oftmals mehr Jugendliche an als Schwimmbad und Eisfläche. Einen regelrechten Spielhallenbetrieb findet man im unteren Bereich des Kinos am Rathaus. Hier stehen nicht weniger als 15 (!) Automaten. Der Vorraum des Kinos ist damit nichts anderes als eine alternative Spielhalle für Kinder und Jugendliche.
Mitarbeiter aus Jugendschutzbehörde, Jugendpflege und andere mit Jugendfreizeitarbeit Beschäftigte sehen in oben beschriebenen Automaten eine große Gefahr. Abgesehen davon, dass es sich hier wohl kaum um eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung handelt, ist das Spielen an diesen „Unterhaltungsgeräten“ ein verhängnisvoller Schritt hin zu einer abhängigen Spielerpersönlichkeit.
Auf gesetzliche Einschränkungen reagieren Automatenaufsteller bekanntlich sehr flexibel. Eine neue, für Kinder noch verlockendere Automatengeneration ist bereits in Planung. Um diesen Geschäftemachern den Boden zu entziehen, ist es notwendig, die Profitmöglichkeiten radikal einzuschränken. Diese ruinöse Geldschneiderei wird erst einzudämmen sein, wenn es sich für die Betreiber nicht mehr lohnt, diese Automaten aufzustellen.
Dem Rat der Stadt bieten sich Möglichkeiten dazu. Diese Automaten müssen gleichbehandelt werden mit Automaten in Spielhallen. D.h., daß diese Geräte mit einer drastischen Vergnügungssteuer belegt werden müssen.
Darüber hinaus ist eine kritische Distanz aller Politiker zu örtlichen Automatenaufstellern notwendig. Sinnvolle Jugendpolitik und Imagepflege der Automatenindustrie sind unvereinbar!

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