Mindestlohn
Jul 312007
 

In die Lohntüte gehört Geld!

Lutz Bauermeister fordert zum Widerspruch heraus

(red) In seinem Gastbeitrag in der Wilhelmshavener Zeitung vom 12. Juli äußert sich Lutz Bauermeister, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Nordmetall und Geschäftsführer des Allgemeinen Wirtschaftsverbandes, zum Thema Mindestlohn. „Menschenwürde hat in der Lohntüte nichts zu suchen“, sagt er.

„Recht hat er! In die Lohntüte gehört keine Menschenwürde, sondern Geld. Und zwar so viel Geld, dass die Person, die die Lohntüte bekommt, davon leben kann“, sagt dagegen die Linke Alternative Wilhelmshaven in einer Presseerklärung. Ein Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Gegenwind: „Bauermeister bringt es auf den Punkt, wie die Unternehmer in Deutschland ticken, wie sie denken. Dieser Bauermeister-Text gehört in die Schulungsunterlagen der Gewerkschaften.“ Wir veröffentlichen im Folgenden die Presseerklärung der LAW:
Es sei erstens nicht richtig, sagt Bauermeister, dass Unternehmer höhere Löhne zahlen könnten und es aus Profitinteresse nicht täten; tatsächlich zahlten Unternehmer geringe Löhne, um konkurrenzfähig zu bleiben und nicht pleite zu gehen. Die Konkurrenz im Ausland arbeite billig, da müsse unser deutscher Unternehmer eben auch billig produzieren; und die Konkurrenz im Inland werde auch von Vater Staat angeheizt.

Kein Lohnverzicht

Darauf kann man unterschiedliche Antworten geben. Zum Beispiel: Unternehmer werden auf jeden Fall und immer sagen, dass sie die Löhne niedrig halten und sogar senken müssten, da ihnen das Wasser bis zum Hals stehe. Das sagen sie, wenn es stimmt, und das sagen sie, wenn es nicht stimmt. Die Lohnabhängigen sind gut beraten, es ihnen nicht so ohne weiteres zu glauben. Wo sie – in der Gestalt von Gewerkschaften und Betriebsräten – es ihnen in der jüngeren Vergangenheit geglaubt haben und zur Sicherung ihrer Arbeitsplätze einem Lohnverzicht zugestimmt haben, gab es in vielen Fällen hinterher doch Entlassungen. Der Lohnverzicht hat nicht nur nicht verhindert, dass viele arbeitslos wurden, sondern ihnen auch noch ihr Arbeitslosengeld gesenkt.
Eine andere mögliche Antwort darauf wäre: Stimmt. Bei vielen Unternehmern ist es so, dass ihnen das Wasser bis zum Halse steht und sie um ihre Existenz fürchten müssen. Um ihre Existenz als Unternehmer, wohlgemerkt – ihre private Existenz haben sie mehrheitlich abgesichert und durch entsprechende Vorsorgemaßnahmen vom Bestehen ihres Betriebes unabhängig gemacht – was ihren Beschäftigten mehrheitlich nicht möglich war, so dass sie jetzt von 347 Euro im Monat leben müssen.

Andere Erfahrungen

Das ist eben das Schlimme an diesem Wirtschaftssystem: Wer „nicht konkurrenzfähig“ ist, wird von einem anderen geschluckt und hat das Nachsehen. Aber hilft der Verzicht auf einen Mindestlohn dagegen? – Unsere Nachbarstaaten haben eine andere Erfahrung gemacht: In den europäischen Ländern, die in den letzten Jahren einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt haben, blieben die Horrorszenarien, die die deutschen Unternehmer immer wieder an die Wand malen, aus. Sie haben im Gegenteil ein Wirtschaftswachstum verzeichnen können. Der Mindestlohn erwies sich hier als Schutz nicht nur für die abhängig Beschäftigten, sondern auch für die Wirtschaft.
Deutschland ist Exportweltmeister. Wir produzieren hier ungeheure Mengen Waren, die aber nicht hier, sondern in anderen Ländern konsumiert werden. Und während die Unternehmer, die ihre Produkte exportieren, immer größere Gewinne einstreichen, sinkt hier die Kaufkraft mit den Löhnen.
Zweitens, sagt Bauermeister, sollen wir nicht glauben, mit einer 40-Stunden-Woche auskommen zu müssen – die Unternehmer arbeiten auch mehr. Auch dazu gibt es mehrere mögliche Antworten. Z.B., dass in den USA mittlerweile Millionen von Menschen mehrere Jobs haben und 60 oder mehr Stunden in der Woche arbeiten, aber dennoch nicht genug Geld zum Leben verdienen.
Oder: Dass die kleinen Unternehmer, die Handwerker mit Familienbetrieb, die Mittelständler ohne Urlaub 60 Stunden wöchentlich ackern müssen, um über die Runden zu kommen, ist schlimm. Ihnen ist Besseres zu gönnen. Sie werden es aber nicht kriegen, solange die Arbeiter und Angestellten sich ihre Produkte und Dienstleistungen nicht leisten können und nach Feierabend ihre Wohnung selber tapezieren und ihr Dach selber ausbessern müssen.

Unternehmer entlasten

Bauermeisters „Drittens“ erklärt die Überschrift des Beitrages: Weil nach Grundgesetz die Staatsgewalt die Menschenwürde schützen muss, soll es auch der Staat sein, der die Unternehmer von der Lohnzahlung entlastet! Er schreibt es ein bisschen anders: „…kann der Staat doch nicht auf die Unternehmer in Form von Lohnzahlungen abwälzen, wenn die Arbeit eben nur wenig wert ist.“ Hier sind zwei Denkfehler zu verzeichnen:
Wenn ein Unternehmer einen Menschen für sich arbeiten lässt, dann hat er dessen Arbeitskraft gekauft. Die muss er auch bezahlen. Wenn der Staat erwartet, dass Unternehmer ihren Beschäftigten einen ausreichenden Lohn zahlen, dann ist das kein Abwälzen, sondern vollkommen richtig. Und der Wert der Ware Arbeitskraft wird nicht vom Unternehmer bestimmt, sondern er bemisst sich (wie der Wert jeder anderen Ware auch) danach, was zu seiner Produktion und Reproduktion erforderlich ist. Dass Unternehmer beständig versuchen, ihre Arbeitskräfte unter Wert zu bezahlen, also den Preis der Arbeitskraft zu senken, ist bekannt und in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem, in dem Warenproduktion stattfindet, normal. Ebenso normal ist es, dass Menschen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben müssen, darum kämpfen, einen Preis zu erzielen, der dem Wert entspricht. Dasselbe tut der Händler, der seine Waren nicht billiger hergibt, als er sie selber erstanden hat.

Lohnsenkungen

Durch eine Wirtschaftspolitik, die es den großen Unternehmen jahrelang gestattet hat, den Preis der Arbeitskraft zu senken, ist das Spiel der Kräfte im Ringen um einen angemessenen Lohn aus den Fugen geraten. Inzwischen ist das Lohnniveau so weit abgesunken, dass staatliche Hilfe z.B. eben in Form der Einführung eines Mindestlohns nötig ist, um den Binnenmarkt nicht völlig zu Boden gehen zu lassen.
Bauermeister möchte da lieber den Staat belasten. Der Sozialstaat und nicht der Arbeitgeber sei gefragt, meint er. Und wovon soll der Staat all diejenigen alimentieren, die nicht genug zum Leben verdienen? Von den Steuern natürlich. Aber wer schreit beständig nach immer weiteren Steuersenkungen? Ist das nicht die Wirtschaft?
Viertens, sagt Bauermeister, seien die Geringverdiener so schlecht ja gar nicht dran. Nur 17 % der schlecht bezahlten Beschäftigten müssen vom geringen Lohn leben. Ja, aber die müssen es!

Transferleistungen

Und fünftens schließlich stellt Bauermeister fest, dass „ganz unten“ die Empfänger und Empfängerinnen von staatlichen Transferleistungen stehen, denen es z.T. sogar noch besser gehe als den Geringverdienern. Ja, tatsächlich. Es gibt in unserem reichen Land wirklich Leute, die trotz Arbeit arm sind und zusätzlich zum Lohn Arbeitslosengeld II beantragen müssen. Das zeigt, wie dringend notwendig ein gesetzlicher Mindestlohn ist.
Sechstens beginnt Bauermeister zu drohen. Der Arbeitgeber, der zur Zahlung von Mindestlohn gezwungen werde, werde eher die Arbeitsstelle streichen. Schließlich sei ein Unternehmer nicht die Caritas. Nun, wenn ein Unternehmer eine Arbeitskraft nicht benötigt, eine Stelle also streichen kann, dann hat er bisher jemanden beschäftigt, den er eigentlich nicht braucht. Ist er also doch die Caritas?

Nicht irre machen lassen

Lutz Bauermeister ist Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Nordmetall und Geschäftsführer des Allgemeinen Wirtschaftsverbandes in Wilhelmshaven. In diesen beiden Eigenschaften muss er so Sachen schreiben. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt vom Verkauf ihrer Arbeitskraft. Sie muss sich von Beiträgen wie dem des Herrn Bauermeister nicht irre machen lassen.
Übrigens: Susanne Bauermeister, seine Ehefrau, ist offenbar gar nicht so sehr dafür, dass „immer gleich und selbstverständlich nach staatlicher Hilfe gerufen wird.“ In diesem Sinne äußert sie sich am 16. Juli auf der Service-Seite der Wilhelmshavener Zeitung. Haben Bauermeisters jetzt ein Eheproblem?

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